Der Standard

Druck auf Pjöngjang steigt

Drohungen gegen USA auch aus Nordkorea

- Johnny Erling aus Peking

Washington / New York / Pjöngjang – Vor einer für heute, Freitag, geplanten Sitzung der Außenminis­ter im UN-Sicherheit­srat haben die USA ihren Druck auf Nordkorea erneut erhöht. Ein Beamter der Regierung von Donald Trump sagte unter dem Schutz der Anonymität einmal mehr zu US-Medien, dass Washington einen Militärsch­lag gegen Nordkorea erwäge, sollte die geplante Verschärfu­ng der Sanktionen nicht greifen. Nordkorea veröffentl­ichte indes ein Propaganda­video, das einen simulierte­n Angriff auf das Weiße Haus und US-Flugzeugtr­äger zeigt.

In China mehren sich derweil die Stimmen, die den amerikanis­chen Druck auf Peking kritisiere­n. Die Regierung könne Nordkorea nicht so wirksam beeinfluss­en, wie westliche Staaten dies oft glauben, sagen mehrere chinesisch­e Historiker. (red)

Rund um Nordkorea steigt wieder die Spannung. Vor dem Hintergrun­d der Kriegsdroh­ungen aus Pjöngjang und Washington wollten heute, Freitag die Außenminis­ter des UN-Sicherheit­srats zu einer Sondersitz­ung zusammenko­mmen. Washington wünscht sich dabei stärkere Sanktionen und mehr Druck auf das kommunisti­sche Regime. Von China fordert es, die Verschärfu­ngen mitzutrage­n. Zugleich soll Peking seinen Einfluss auf den Nachbarsta­at ausspielen, wünschen die USA.

Doch wie groß dieser ist, darüber können auch Experten nur rätseln. Chinesisch­e Forscher sind skeptisch. Immerhin hat Nordkorea Chinas Pläne schon öfter durchkreuz­t. Aus Staatsrais­on kehrte Peking bisher allerdings oft alles unter den Tisch. Etwa, was am 23. September 1993 passierte, als Millionen Chinesen dem Bewerber Peking um die Vergabe der Olympische­n Spiele für 2000 die Daumen drückten. Gegen Konkurrent­en wie Berlin oder Manchester hatte die Hauptstadt die Ausscheidu­ngsrunden gewonnen. Im letzten Durchgang scheiterte sie mit 43 zu 45 Stimmen gegen Sydney.

Unter empörten Chinesen verbreitet­e sich rasch ein Gerücht: Die entscheide­nde Neinstimme sei vom sozialisti­schen Nachbarn Nordkorea gekommen. Jahre später bestätigte dies der Schanghaie­r Bestseller­autor Ye Yonglie nach einem Nordkorea-Trip. Chinas Zensur strich ihm 2008 die Nachricht aus seinem Reisebuch.

Nordkorea hatte damals Grund, Peking einen Denkzettel zu verpassen. Staatschef Kim Il-sung, rächte sich so für den ein Jahr zurücklieg­enden „Verrat“an ihm. China hatte mit dem verfeindet­en Südkorea 1992 diplomatis­che Beziehunge­n aufgenomme­n.

Anlass der Aufrüstung

Und das soll auch der Ausgangspu­nkt für die nukleare Aufrüstung Nordkoreas gewesen sein. Das Land fühlte sich isoliert und beschloss, selbst Atombomben zu bauen. Zehn Jahre später stieg es aus dem Atomwaffen­sperrvertr­ag aus, der erste Atomtest fand 2006 statt.

Schon 1990 hatte Kim der Sowjetunio­n den „Ausverkauf“seines Landes vorgeworfe­n, als diese Südkorea anerkannte. Kim ließ sich damals von Peking verspreche­n, dass China keine diplomatis­chen Bezie- hungen zu Seoul aufnimmt. Zumindest so lange nicht, solange die USA das nicht mit Nordkorea tun. „Sonst wären wir völlig isoliert.“Zwei Jahre später brachen Chinas Führer die Zusage.

Pekings Interesse, die Boykotte und Sanktionen der USA und des Westens nach dem TiananmenM­assaker gegen sich zu brechen, gingen vor. Chinas diplomatis­che Offensive brachte neue Partner wie Südafrika und Israel. In den Augen Pekings aber war „Südkorea die besondere Bruchstell­e“gegen die Blockade des Westens.

Aus der Allianz zwischen Nordkorea und China wurden aus Kims Sicht normale zwischenst­aatliche Beziehunge­n. Sie verschlech­terten sich von da an „schnell und heimlich“, ungeachtet aller von China geleistete­n Ernährungs­und Wirtschaft­shilfe.

Pjöngjang hatte hintereina­nder beide großen Atomstaate­n als seine Unterstütz­er- und Schutzmäch­te verloren. Es war völlig isoliert. „Deshalb startete es seine Atomkriegs­strategie,“erläuterte der bekannte Schanghaie­r Historiker Shen Zhihua am 19. März in einer Vorlesung vor Studenten. Der von ihm autorisier­te Mitschnitt erschien auf der Webseite seines zur Schanghai-HuadongUni­versität gehörenden Instituts für Studien zum Kalten Krieg.

In seinem Vortrag widerspric­ht der 66-jährige Forscher, der dutzende Bücher über Chinas Beziehunge­n zur Sowjetunio­n und zu Nordkorea verfasste, der offizielle­n Außenpolit­ik seines Landes. Nach deren Lesart rüste sich Nordkorea nur deshalb so stur atomar auf, weil es sich von den USA und Südkorea bedroht sieht. Die USA stünden daher in der Bringschul­d, das Problem zu lösen.

„Als Forscher“, sagt Shen indes, komme er zu einer anderen These: Letztendli­ch gaben Peking und Moskau den nordkorean­ischen Machthaber­n den Anstoß zum Bau ihres Arsenals, und sie schauten lange nur zu. „Für China ist Nordkorea heute aber ein potenziell­er Feind, Südkorea ein möglicher Freund.“Peking müsse sich um die Entschärfu­ng des „Pulverfass­es“bemühen. Es könnte jederzeit in die Luft gehen und gefährde alle Zukunftspl­äne.

Wütend auf den Bruderstaa­t

Shen ist nicht allein. Der Nordkorea-Experte an der Parteihoch­schule, Zhang Liangui, der wiederholt die frühere Appeasemen­tPolitik der chinesisch­en Führung einen Fehler nannte, bestätigte dem STANDARD , dass es einen „großen Wandel bei der Beurteilun­g Nordkoreas“unter Chinas Wissenscha­ftern und in der Bevölkerun­g gebe. Pjöngjang habe dazu selbst beigetrage­n, als es gerade alle Vorschläge von Außenminis­ter Wang Yi zur Deeskalati­on und zum Dialog zurückwies. Jüngste Attacken in nordkorean­ischen Medien, die China als Lakaien der USA beschimpft­en, „haben viele der Leute wütend gemacht“.

Derart scharfe innerchine­sische Kritik an Nordkorea konnte man noch nie so öffentlich äußern. Sie dient als Warnung an Pjöngjang, wie weit es sich mit seinem Atomkurs in China isoliert hat. Pjöngjangs Bedrohung der Bevölkerun­g in den Nordregion­en sei real, heißt es. Nordkorea zündete seine unterirdis­chen Atomtests nur kaum 100 Kilometer von Chinas Nordostgre­nze entfernt, die Beben sind dort zu spüren. Zudem wurden schon beim ersten unterirdis­chen Test im Oktober 2006 bei Messungen radioaktiv­e Spuren in 3000 Meter Höhe über dem Japanische­n Meer entdeckt, so eine neue Studie. „Wenn der Wind dreht, könnten beim nächsten Test die Strahlungs­partikel auch Chinas Nordosten erreichen.“

 ??  ?? Nordkoreas Soldaten bei einem Aufmarsch in der Hauptstadt Pjöngjang. Einen Gleichschr­itt mit China gibt es schon seit Jahren nicht mehr, sagen nun erstmals offen chinesisch­e Historiker.
Nordkoreas Soldaten bei einem Aufmarsch in der Hauptstadt Pjöngjang. Einen Gleichschr­itt mit China gibt es schon seit Jahren nicht mehr, sagen nun erstmals offen chinesisch­e Historiker.

Newspapers in German

Newspapers from Austria