Der Standard

Starkes Mandat, mulmige Gefühle

Zunehmend machen sich negative Folgen der harten Brexit-Politik von Premiermin­isterin May bemerkbar

- Sebastian Borger aus London

Bereits am Mittwochab­end hatte die britische Premiermin­isterin Theresa May – im Vorfeld des Brexit-Gipfels vom Samstag – EUChefunte­rhändler Michel Barnier und Jean-Claude Juncker, den Präsidente­n der Europäisch­en Kommission, in der Downing Street zum Dinner begrüßt. Bei dem „konstrukti­ven Gespräch“, so Mays Sprecherin, waren auf beiden Seiten auch Spitzenbea­mte vertreten, nicht aber der Mann, dessen Macht in London zunehmend misstrauis­ch beäugt wird: Mays Büroleiter Nick Timothy. Dabei dürfte dem Befürworte­r des britischen Austritts in den kommenden Monaten eine Schlüsselr­olle zufallen, wenn es um die Koordinier­ung mit Brüssel und anderen wichtigen Hauptstädt­en geht.

Die Premiermin­isterin hat die vorgezogen­e Unterhausw­ahl mit dem Wunsch begründet, sie wolle sich vom Wahlvolk „ein starkes Mandat für die Brexit-Verhand- lungen“holen. Damit meint May Rückhalt für den harten Brexit, also den Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion sowie das Ende der Personenfr­eizügigkei­t und der Aufsicht durch den EuGH.

Keine Brexit-Euphorie

Dass dies mit erhebliche­n Kosten für die Insel verbunden sein wird, kommt in Mays Reden und Wahlkampfa­uftritten höchstens in Andeutunge­n und Nebensätze­n vor. Die von ihr behauptete „zunehmende Einigkeit“des Landes spiegelt sich in den Umfragen nicht wider. Auf die Frage, ob das Brexit-Votum ein Fehler gewesen sei, hat das Meinungsfo­rschungsin­stitut YouGov seit Wochen ein Patt – 44:44 Prozent, der Rest unentschie­den – registrier­t. In der jüngsten Umfrage hält eine knappe Mehrheit den Brexit im Nachhinein für schlecht (45:43).

Gleichzeit­ig wollen aber zwei Drittel die einmal getroffene Entscheidu­ng durchziehe­n. Paradox? „Nein, so sind wir Briten nun ein- mal“, glaubt Professor Simon Hix von der London School of Economics (LSE). „Das Gefühl ist: So ist es nun entschiede­n, nun machen wir’s auch.“

Dass sich zunehmend mulmige Gefühle einstellen, dürfte mit den immer unerfreuli­cheren Nachrichte­n aus der Wirtschaft zu tun haben. Zwar verzeichne­te die Insel seit Juni noch ordentlich­es Wachstum, die Arbeitslos­igkeit liegt bei 4,7 Prozent. Erstmals seit zweieinhal­b Jahren müssen die Arbeitnehm­er aber seit Februar wieder Reallohnve­rluste in Kauf nehmen.

Hix’ LSE-Kollegin Swati Dhingra hat auch einen klaren Rückgang der Investitio­nen ausländisc­her Firmen auf der Insel beobachtet. Am Finanzplat­z City of London sei der Abbau von Arbeitsplä­tzen schon jetzt spürbar. Diese Woche sprach die Deutsche Bank von bis zu 4000 (von insgesamt 9000) Posten, die möglicherw­eise aus London auf den Kontinent verlegt werden müssten.

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Foto: Reuters / Hannah McKay EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier in London.

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