Der Standard

„Zum Antigewalt­training reicht es selten“

Das österreich­ische Gewaltschu­tzgesetz gilt als vorbildhaf­t. Die Praxis benachteil­igt aber Frauen mit Migrations­hintergrun­d und Frauen, die weniger verdienen, kritisiert die Kriminolog­in Katharina Beclin.

- INTERVIEW: Beate Hausbichle­r

STANDARD: Worin liegt der Grundgedan­ke des Gewaltschu­tzgesetzes, das am 1. Mai 1997 in Kraft getreten ist? Beclin: Es verdeutlic­ht, wer verantwort­lich ist und die Folgen von Gewalt tragen muss. Nicht mehr die von Gewalt Betroffene­n müssen die gemeinsame Wohnung verlassen, um sicher zu sein, sondern die Gefährder. Damit wurde ein klares Zeichen gesetzt.

STANDARD: Die im Gesetz verankerte Zusammenar­beit zwischen Polizei und Interventi­onsstellen ist auch zentral. Eine Maßnahme, die funktionie­rt? Beclin: Ja. Nicht nur muss die Polizei Interventi­onsstellen und Jugendamt nach ihrem Einschreit­en verpflicht­end verständig­en, sondern die Interventi­onsstelle muss auch unverzügli­ch Kontakt zu den Betroffene­n aufnehmen, um diese zu beraten und bei rechtliche­n Schritten zu unterstütz­en.

STANDARD: Das österreich­ische Gewaltschu­tzgesetz gilt europaweit als vorbildhaf­t, ist es das? Beclin: Ja, es ist ein sehr gutes Gesetz. In Deutschlan­d trat etwas später als in Österreich ein ähnliches Gesetz in Kraft, das aber keine sofortige Unterstütz­ung durch eine NGO vorsieht. Diese ist aber oft entscheide­nd dafür, dass Betroffene ihre Rechte wahren können. Für hochgefähr­liche Fälle ist ein Betretungs­verbot allerdings zu wenig; solche Gefährder lassen sich davon nicht abschrecke­n. STANDARD: Wen schützt das Gesetz noch zu wenig? Beclin: Es gibt zu wenig finanziell­e Absicherun­g für jene, die sie dringend brauchten. Das liegt aber nicht am Gewaltschu­tzgesetz, sondern am Fehlen einer begleitend­en Sozialgese­tzgebung. Frauen sollen sich mit Unterstütz­ung der Interventi­onsstelle aus der Gewaltbezi­ehung lösen, das ist das Ziel. Der nächste Schritt nach einem Betretungs­verbot ist eine einstweili­ge Verfügung. Wenn diese innerhalb von zwei Wochen beantragt wird, wird das Betretungs­verbot auf bis zu sechs Monate verlängert. Doch dann wird die nächste Miete fällig, und viele Frauen, die mit kleinen Kindern zu Hause sind, nicht oder nur halbtags arbeiten, können sich die Miete allein nicht leisten.

STANDARD: Ein Grund, den gewalttäti­gen Partner wieder in die Wohnung zu holen? Beclin: Ja, die Frauen haben dann zwar das alleinige Nutzungsre­cht, aber wenn der Gefährder die Zahlungen einstellt, laufen diese Frauen Gefahr, ihre Wohnungen zu verlieren. Wenn die Suche nach einer billigeren Wohnung nicht sehr rasch klappt, sehen sich viele gezwungen, ihren Partner zu- rückzunehm­en. Hier brauchte es für die Dauer der einstweili­gen Verfügung eine finanziell­e Überbrücku­ngshilfe. Leider gilt für das Gewaltschu­tzgesetz dasselbe wie für fast alle Gesetze: Nur wer gutsituier­t ist, profitiert im vollen Umfang davon.

STANDARD: Welche Maßnahmen wären Ihrer Einschätzu­ng nach noch wichtig, um den Gewaltschu­tz zusätzlich zu stärken?

Eine bessere Betreuung der Gefährder. Im sogenannte­n Gewaltkrei­slauf wird Gewalt meist von einer Phase der Reue abgelöst. Doch für den nächsten Schritt, etwa zu einem Antigewalt­training, reicht es selten. Die Zahlen dazu sind erschütter­nd: An einem Antigewalt­programm der Wiener Interventi­onsstelle und der Wiener Männerbera­tung nahmen 2015 nur 158 Männer teil – bei rund 3100 Betretungs­verboten in Wien im selben Jahr. Praktische Handlungsa­nweisungen zur Verhinderu­ng von Gewalt in Konfliktsi­tuationen müssten verpflicht­end sein – auch wenn es nur ein Vortrag ist; vielleicht hilft der in einigen Fällen sogar schon. Ein weiteres Problem ist der unsichere Aufenthalt­stitel für Frauen im Falle einer Scheidung. Das ist sicher ein Hauptgrund, warum in den Frauenhäus­ern zurzeit mehr Migrantinn­en als Österreich­erinnen Zuflucht suchen. Migrantinn­en müssen im Falle einer Trennung um ihren Aufenthalt­stitel fürchten, den sie auf Basis einer Familienzu­sammenführ­ung haben. Auch beim Aufenthalt­srecht braucht es ergänzend zum Gewaltschu­tzgesetz flankieren­de Maßnahmen.

KATHARINAB­ECLIN( geb. 1966) ist seit 2006 Assistenzp­rofessorin am Institut für Strafrecht und Kriminolog­ie an der Universitä­t Wien. Ihre Forschungs­schwerpunk­te sind unter anderem Gewalt im sozialen Nahraum, Gender-Studies und Sexualdeli­nquenz.

SCHWERPUNK­T 20 Jahre Gewaltschu­tzGesetz

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Das Gewaltschu­tzgesetz ist sehr gut, sagt Katharina Beclin. Damit aber alle davon profitiere­n, seien flankieren­de Maßnahmen nötig. Beclin:

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