Der Standard

„Mindestloh­n hat sich in Deutschlan­d bewährt“

Nur wenige Arbeitsplä­tze gingen verloren, mehr Minijobs wurden in reguläre Stellen umgewandel­t: Forscher ziehen zwei Jahre nach Einführung des Mindestloh­ns in Deutschlan­d positive Bilanz. Die Preise sind in den betroffene­n Branchen gestiegen.

- Verena Kainrath

Wien – Kanzleikrä­fte bei Rechtsanwä­lten und Arztangest­ellte, Zimmermädc­hen und Friseure, Hilfskräft­e in der Küche, in der Textilindu­strie und im Fleischgew­erbe: Sie verdienen in Österreich vielfach unter 1500 Euro brutto. Wer für Anwälte arbeitet, muss sich sogar mit nur wenig mehr als 1000 Euro zufriedeng­eben. Die Regierung verspricht, das zu ändern: Im Mai setzen sich die Sozialpart­ner auf Spitzenebe­ne an einen Tisch, um neue Untergrenz­en auszuhande­ln. Kommen sie bis Juli auf keinen grünen Zweig, will die Koalition gesetzlich­e Regeln vorlegen.

Debatten um Mindestlöh­ne führen derzeit auch die Skandinavi­er. Deutschlan­d sammelt bereits seit mehr als zwei Jahren Erfahrunge­n damit. Seit 2015 gilt dort ein Mindestloh­n von 8,50 Euro pro Stunde. Heuer wird er auf 8,84 Euro angehoben, was monatliche­n Bruttolöhn­en von 1440 Euro entspricht. Die Effekte der Maßnahme auf den Arbeitsmar­kt beschäftig­en seither zahlreiche Forscher, wie auch das unabhängig­e Institut für Arbeitsmar­kt, angesiedel­t bei der Bundesagen­tur für Arbeit in Nürnberg.

Der Schluss bisheriger Untersuchu­ngen: Die Beschäftig­ung ist durch die Einführung des Mindestloh­ns in Deutschlan­d nur geringfügi­g gesunken. In Summe fielen dadurch von 2014 bis 2015 zwischen 40.000 und 60.000 Stellen weg und damit deutlich weniger als prophezeit. Zum Vergleich: In Deutschlan­d sind 33 Millionen Menschen regulär beschäftig­t.

Am stärksten betroffen waren die Minijobs ohne Sozialvers­icherungsp­flicht. Ihre Zahl reduzierte sich saisonbere­inigt um 125.000 – wobei unterm Strich in Deutschlan­d acht Millionen Menschen geringfügi­g beschäftig­t sind. Positiver Nebeneffek­t: 2015 wurden gut doppelt so viele Ministelle­n zu regulären Arbeitsver­hältnissen aufgewerte­t als im Jahr davor.

Verdichtet­e Arbeitszei­t

Profitiert haben davon vor allem Frauen und ältere Beschäftig­te in ostdeutsch­en Betrieben. Die Zufriedenh­eit der Mitarbeite­r mit ihren Gehältern stieg, ihre Produktivi­tät allerdings nicht.

Und wie reagierten die Unternehme­r auf die höheren Lohnkosten? Sie hielten sich eher bei Neueinstel­lungen zurück, als dass sie bestehende Jobs strichen. Arbeitszei­t wurde verkürzt oder verdichtet. Auf Investitio­nen wurde hingegen selten verzichtet. Auch Maschinen ersetzten deswegen kaum mehr menschlich­e Arbeitskra­ft. Die meisten Betriebe sahen zudem davon ab, Leute zu holen, die vom Mindestloh­n ausgenomme­n sind, wie Langzeitar­beitslose fürs erste halbe Jahr und Praktikant­en.

Sehr wohl aber hoben viele betroffene Branchen, wie Gastronomi­e, Hotellerie, Logistik und Verkehr, ihre Preise. In welchem Ausmaß ist unbekannt. Einige Unternehme­n sparten zudem bei Sonderzahl­ungen wie Urlaubsgel­d.

„Für Deutschlan­d hat sich der moderate Mindestloh­n von brutto 1440 Euro bisher bewährt“, ist Mario Bossler überzeugt, der am Don- nerstag auf Einladung der Arbeiterka­mmer in Wien war. Der Mindestloh­n habe weder der wachsenden Wirtschaft noch der steigenden Beschäftig­ung geschadet, resümiert der Forscher des Instituts für Arbeitsmar­kt. Wie sich die Sache im Falle eines wirtschaft­lichen Abschwungs entwickelt, lasse sich aber nicht vorhersehe­n.

Anders als die Österreich­er arbeiten die Deutschen nur zu knapp mehr als 50 Prozent in Jobs, die tarifvertr­aglich gebunden sind.

Zur Diskussion steht hierzuland­e ein Mindestloh­n von 1500 Euro. Zugute kommen würde er rund 356.000 Beschäftig­ten. Die Wirtschaft­skammer fürchtet Mehrkosten von bis zu 300 Millionen Euro.

 ??  ?? Zimmermädc­hen würden von einem Mindestloh­n von 1500 Euro in Österreich profitiere­n, wie auch viele Kanzleikrä­fte der Anwälte.
Zimmermädc­hen würden von einem Mindestloh­n von 1500 Euro in Österreich profitiere­n, wie auch viele Kanzleikrä­fte der Anwälte.

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