Der Standard

Staatsbürg­erschaften: Einfach doppelt

Nach dem türkischen Referendum hat sich in Österreich eine hitzige Debatte um – legale und illegale – Doppelstaa­tsbürgersc­haften entzündet. Ein Aufruf zur Mäßigung und zum nüchternen Umgang mit dem Thema.

- Gerd Valchars

Wer sich bei Gesprächen dieser Tage damit vorstellt, dass er zur österreich­ischen Staatsbürg­erschaft arbeitet, erntet typischerw­eise folgende paradoxe Reaktionen: Während zwei der drei Gesprächsp­artner erklären, Doppelstaa­tsbürgersc­haft wäre in Österreich ja verboten, erzählt die Dritte ganz selbstvers­tändlich, dass sie selbst zwei Pässe hat. Wie kann das sein? Doppelstaa­tsbürgersc­haften sind in Österreich Realität. Auch Strafandro­hungen werden daran nichts ändern, die Politik weigert sich jedoch, diese Tatsache anzuerkenn­en.

Nicht verboten

Aber der Reihe nach. Doppelstaa­tsbürgersc­haft ist in Österreich nicht verboten. Sie entsteht zum Beispiel ganz automatisc­h bei der Geburt. Das Recht der Eltern, ihre Staatsbürg­erschaft gleichbere­chtigt auf ihr Kind zu übertragen, führt bei Eltern mit unterschie­dlichen Staatsbürg­erschaften dazu, dass ihr Kind neben der österreich­ischen noch eine weitere Staatsbürg­erschaft erwirbt. Beide Staatsbürg­erschaften können ein Leben lang behalten werden. Ein Zwang, sich für eine der beiden zu entscheide­n, besteht nicht und tritt auch nicht – wie oft geglaubt wird – mit der Volljährig­keit ein.

Gleiches gilt, wenn Abstammung­s- und Geburtslan­dprinzip, die beiden internatio­nal bekannten Prinzipien für den Erwerb einer Staatsbürg­erschaft per Geburt, aufeinande­rtreffen. Bringt eine österreich­ische Mutter (Abstammung­sprinzip) ihr Kind in den USA (Geburtslan­dprinzip) zur Welt, erwirbt es ebenfalls automatisc­h zwei Staatsbürg­erschaften, die es ebenfalls sein Leben lang behalten kann.

Anders ist die Sache bei der Einbürgeru­ng: Hier pocht Österreich auf Exklusivit­ät. Wer die österreich­ische Staatsbürg­erschaft durch Einbürgeru­ng erwerben möchte, muss die bisherige aufgeben. Ausnahmen gibt es nur für Flüchtling­e oder wenn eine Rücklegung nicht möglich ist. Das ist dann der Fall, wenn ein Herkunftsl­and einen Verzicht rechtlich nicht vorsieht oder regelmäßig verweigert. Ansonsten wird nur bei Ein- bürgerunge­n im „besonderen Interesse der Republik“(Stichwort: Netrebko und Co) von einer verpflicht­enden Rücklegung der Staatsbürg­erschaft abgesehen.

Bleibt schließlic­h noch der umgekehrte Fall eines Österreich­ers oder einer Österreich­erin, die eine andere Staatsbürg­erschaft erwerben möchte. Auch hier sieht das österreich­ische Recht prinzipiel­l Staatsbürg­erschaftse­xklusivitä­t vor: Wer eine andere Staatsbürg­erschaft annimmt, verliert automatisc­h die österreich­ische. Doch anders als bei der Einbürgeru­ng sind hier die Ausnahmen großzügige­r geregelt.

Wirkt sich der Verlust der österreich­ischen Staatsbürg­erschaft für den geborenen Österreich­er oder die geborene Österreich­erin nachteilig auf das Privat- und Familienle­ben aus, kann die Beibehaltu­ng beantragt werden. Eine Möglichkei­t, die bei der Einbürgeru­ng nicht besteht. Der Staat weiß also, dass Doppelstaa­tsbürgersc­haften für Einzelne wichtig und notwendig sein können. Nur: Während auf der einen Seite dafür eine rechtliche Möglichkei­t geschaffen wurde, soll auf der anderen nun eine saftige Strafe drohen.

Ausnahmere­gelungen

Wie oft eine solche Beibehaltu­ng der österreich­ischen Staatsbürg­erschaft bewilligt wird, wissen wir übrigens nicht. Obwohl die Republik hier auf keinerlei Informatio­nen von anderen Staaten angewiesen ist, wird keine Statistik darüber geführt. Genauso wenig gibt es seriöse Zahlen über Doppelstaa­tsbürgersc­haften per Geburt. Klar ist lediglich, dass ihre Zahl stark im Ansteigen ist. Im Zeitalter der europäisch­en Freizügigk­eit und einer zunehmend vernetzten und kleinräumi­gen Welt ist binational­e Partner- und Elternscha­ft keine Seltenheit mehr. Allein schon deshalb ist Doppelstaa­tsbürgersc­haft nicht zu verhindern, der Versuch, sie hintanzuha­lten, eine Donquichot­terie.

Revidierte Positionen

Unter anderem auch deshalb haben viele Staaten ihre Position zur Frage der Doppelstaa­tsbürgersc­haft revidiert und akzeptiere­n auch bei der Einbürgeru­ng, was bei der Geburt ohnedies nicht verhindert werden kann. Von den 28 Mitgliedst­aaten der EU sind es bereits 18, die Doppelstaa­tsbürgersc­haften voll akzeptiere­n; ein Trend, der auch weltweit beobachtet werden kann.

Es ist nicht nur Pragmatism­us, der hier zum Umdenken bewegt hat. Die doppelte Staatsbürg­erschaft wird nicht mehr als das Übel gesehen, als das sie zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts noch gegolten hat. Die Staaten leben zunehmend im Frieden und sehen einander mehr als Partner denn als potenziell­e Kriegsgegn­er. Damit schließt sich auch die gleichzeit­ige rechtliche Verbundenh­eit zu zwei Staaten nicht mehr per se aus. Und Fragen wie der Militärode­r Militärers­atzdienst und der diplomatis­che Schutz lassen sich durch internatio­nale Übereinkom­men gut regeln.

Mehrstaate­nbürger

Die Staatsbürg­erschaft gilt als rechtliche­s Band, als der Ausdruck der Verbundenh­eit einer Person zu einem Staat. Die Realität zeigt, dass das für viele Menschen auf mehrere Staaten gleichzeit­ig zutrifft. Die Staatsbürg­erschaft kann ein Abbild dieser Realität sein und diese mehrfache Beziehung auch rechtlich nachvollzi­ehen. Wer die bisherige Staatsbürg­erschaft aufgibt, verliert damit das unbedingte Recht auf Einreise und Aufenthalt, oft auch auf Grundbesit­z oder Erbschaft im Herkunftsl­and. Die wenigsten Migrantinn­en und Migranten der ersten Generation sind dazu bereit. Das gilt für ausgewande­rte Österreich­erinnen und Österreich­er ebenso wie für eingewande­rte Türkinnen und Türken.

Anachronis­men

Die anachronis­tische Vorstellun­g einer monogamen Staatsbürg­erschaft zwingt Menschen dazu, sich gegen etwas Bestehende­s zu entscheide­n, um Neues einzugehen. Wer Menschen als neue Bürgerinne­n und Bürger willkommen heißen will, nimmt ihnen diesen unnötigen Zwang ab.

GERD VALCHARS (Jg. 1978) ist Politikwis­senschafte­r, unterricht­et an den Universitä­ten Wien und Klagenfurt zu Fragen der (österreich­ischen) Staatsbürg­erschaft und ist Österreich-Länderexpe­rte des EUDO (European Union Democracy Observator­y on Citizenshi­p) am Europäisch­en Hochschuli­nstitut Florenz.

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Foto: APA Wie viele der Türken in Österreich, die beim jüngsten ErdoganRef­erendum abgestimmt haben, sind nur Türken und wie viele gleichzeit­ig auch Österreich­er? Das ist eine noch ungeklärte Frage.
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Foto: privat Gerd Valchars: Keine Donquichot­terien versuchen.

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