Viktor Orbán und der Traum des Sklaven
Der ungarische Ministerpräsident regierte elf der vergangenen 20 Jahre. Statt sein Land zu stabilisieren und aufzubauen, ruft er zu Revolutionen auf – heute gegen die EU, die Ungarn großzügig alimentiert.
Viktor Orbán hielt am 16. Juni 1989 anlässlich der Neubeerdigung der Opfer des Volksaufstandes von 1956 eine flammende Rede über die Freiheit. Der Text hat schon damals für Diskussionen gesorgt. Auch heute bin ich der Meinung, dass die Rede in mancher Hinsicht ausgezeichnet war. Was aber danach geschah, gibt Anlass für Unbehagen. Der Lebenslauf von Orbán belegt nämlich die These, dass der Sklave nicht frei werden will, vielmehr will er eher Sklaventreiber werden. So wacht er morgens schweißgebadet aus einem Albtraum auf: Er hielt die Peitsche in seiner Hand; jetzt war er es, der die Sklaven gezüchtigt hatte.
Und damit hätten wir die wichtigsten Merkmale der politischen Karriere des Viktor Orbán aufgezeichnet.
Gespalten wie ...
Abwechselnd mit weiteren ungarischen Politikern hätte er der bedeutendste Politiker in Osteuropa werden können, indem er das Land, das sich aus dem sowjetischen Block losgelöst hat, zu einer stabilen Demokratie entwickelt. Dabei hätte er die Armut verringert, das Gesundheitswesen reformiert und den Rahmen für ein hochwertiges Unterrichtswesen geschaffen. Anders gesagt, er hätte Ungarn konsolidiert, denn auf lange Sicht setzt sich nur der Politiker durch, der zur Konsolidierung fähig ist. Wer nicht stabilisiert, das ergibt sich schon aus der Natur der Gesetze des Zusammenlebens, kann nicht gewinnen. Der Sieg in der Politik wird nur bestätigt, wenn auf den politischen Kampf eine Ära der Konsolidierung folgt.
In den vergangenen zwanzig Jahren hat Orbán elf Jahre regiert. Statt Ungarn zur Stabilität zu verhelfen, ist das Land heute so gespalten wie nie zuvor. Ruft ein Politiker nach elfjährigem Regieren immer noch zur Revolution auf, ist er gescheitert, selbst wenn er gegenwärtig im Parlament mehr Mitstreiter hat als Gegner.
Er und seine Anhänger behaupten, dass man wegen der permanenten Krisen seit 2010 immer wieder dringend neue Gesetze benötige, weshalb die im Parlament in einigen Stunden/Tagen durchgeboxt werden müssten.
... nie zuvor
Erstens gab es seit der Wende keine Krise, auf die mit Gesetzen Knall auf Fall reagiert werden musste, zweitens dauert das Ausdem-Hut-Zaubern von Gesetzen bis heute auch dort an, wo selbst die Regierung nicht mehr von einer Krise redet. Die Folge von alldem ist, dass die Gestaltung der Gesetzgebung den Vorschriften der EU formell nicht entspricht, denn es gibt keine Diskussion; die Einbeziehung der Betroffenen findet nicht statt. Mangels Vorbereitung entstehen keine durchdachten Verordnungen, die man in Kürze korrigieren muss.
Sorgfältiges Ausarbeiten von Gesetzen wird von der Regierung als etwas Lästiges betrachtet, obwohl dadurch ihre eigene parlamentarische Arbeit erschwert wird. Sie wird nämlich laufend zu unqualifizierten und wirkungslosen Rechtfertigungen gezwungen. Kontrollmechanismen werden abgeschafft, weil man der Meinung ist, so die Opposition packen zu können. Die Orbán-Regierung dachte nicht daran, dass die Kontrollmechanismen auch ihre Arbeit erleichtern, denn ohne sie werden ihre Fähigkeiten zur Selbstverteidigung auch geschwächt.
Der große Motivator der zuletzt kreierten Gesetze war zweifelsohne der Hass auf den Milliardär George Soros. Die großartig gestartete Karriere von Viktor Orbán verläuft sich immer mehr in kleinlichen Gehässigkeiten. Er scheint von der Natur zivilisatorischer Skandale keine Ahnung zu haben, er meint, auch sie könne man in zwei Tagen bewältigen.
Von Orbáns Urteilsvermögen sind natürlich noch brauchbare Elemente vorhanden, und so weiß auch er, dass Soros nicht Ungarn attackiert, selbst wenn Äußerungen des Ministerpräsidenten darauf abzielen. Für die jetzige ungarische Regierung bedeutet Soros eine sehr große Gefahr, denn der USamerikanische Investor ungarischer Herkunft unterstützt das freie Denken, die offene Gesellschaft, die freie Meinungsäußerung.
Während sich in Brüssel die Meinungsverschiedenheiten mit offenem Ausgang stapeln, wird unsere Konfrontation mit der EU langsam unumkehrbar. Auch die Beziehung zu den USA ist eisiger geworden, als sie es unter Obama war. Was sich aber massiven Ausbaus erfreut, ist die Beziehung zu Russland. In der letzten Zeit sind dabei drei beachtenswerte Vorkommnisse aufgefallen:
1. Es hat sich herausgestellt, dass auf der Website des millionenfach verschickten Fragebogens der „nationalen Konsultation“von Viktor Orbán ein Codesystem einer russischen Firma läuft. Das ist aus Gründen des Datenschutzes mehr als problematisch.
2. Im Rahmen eines kürzlich unterzeichneten Vertrages hilft Ungarns Regierung dem Iran mit ca. 83 Millionen Euro Bargeld aus. Es geht um die nuklearen Ambitionen des mit Russland befreundeten Iran. In dieser Angelegen- heit hüllt sich die ungarische Regierung bis heute in Schweigen. Lediglich in der Zeitung Tehran Times kann man etwas darüber erfahren …
3. Die von der Fidesz-Mehrheit kürzlich im ungarischen Parlament mit einem Eilverfahren beschlossene Verordnung über die nötige Transparenz der ungarischen NGOs wurde auf der Grundlage des berüchtigten russischen Gesetzes von 2014 konstruiert.
In Anbetracht all dessen ist das Problem nicht, dass Orbán mit George Soros’ finanzieller Unterstützung in England studieren konnte, sondern was er dort wohl gelernt haben könnte.
ZOLTÁN KOVÁCS ist Chefredakteur der renommierten ungarischen Wochenzeitung „Élet és Irodalom“(Leben und Literatur).