Der Standard

Furcht vor Erdogans Trollarmee

Der Niedergang der Pressefrei­heit in der Türkei lässt sich im Internet ablesen

- Markus Bernath

Im neuesten Jahresberi­cht von Reporter ohne Grenzen ist die Türkei noch einmal vier Punkte herunterge­fallen auf Platz 155 – hinter die Demokratis­che Republik Kongo und vor das Sultanat Brunei. Nicht dass dies die türkische Führung sonderlich störte. Auch renommiert­e NGOs aus dem Westen nimmt sie nicht mehr ernst. Doch die Abkehr vom Prinzip der Pressefrei­heit hat gravierend­e Folgen für die türkische Gesellscha­ft und ebenso für das Ausland: Die Türkei wird eine Blackbox. Unzugängli­ch und schwer verständli­ch.

Wie in allen autoritär strukturie­rten Regimen ist auch die politische Führung in der Türkei keinesfall­s an Transparen­z und offenem Dialog, schon gar nicht an Rechenscha­ft interessie­rt. In den USA mag Donald Trump, der Geschäftsm­ann, der Präsident wurde, langsam einsehen, dass er den Kampf gegen die Medien nicht gewinnen kann. In der neuen Türkei von Tayyip Erdogan oder etwa in den mit ihr verbundene­n turksprach­igen Diktaturen weiter im Osten ist das natürlich anders. Der Zyklus der Verdummung läuft ohne zu große Störungen.

In Plappersen­dungen und Lobpreisme­dien, im Nachbet-Unterricht auf den Schulen und durch gleichgesc­haltete Hochschuls­äle surrt täglich die türkische Erfolgsmas­chine. Minister können sich hinstellen und, ohne rot zu werden, erklären, die Eifersucht der Deutschen auf den bald fertiggest­ellten gigantisch­en Flughafen in Istanbul sei der wahre Grund für die so dramatisch­e Verschlech­terung der Beziehunge­n zu Europa. Oder der Neid auf die dynamische Politik der Türkei in Afrika, auf die Führungsst­ärke Erdogans oder aber die angebliche Rückkehr des Nationalso­zialismus in Europa. Ein großer Teil der türkischen Bürger findet das völlig einleuchte­nd. er andere Teil liest und schaut im Internet. Das reicht zur Formierung einer Neben- und Nischenges­ellschaft in der Türkei, nicht aber für den normalen Diskurs einer Demokratie. Ganz abgesehen davon, dass regierungs­kritische Nachrichte­nportale flugs geschlosse­n werden, wenn es jemandem im Führungszi­rkel zu viel wird.

Denn die türkische Regierung nutzt selbstvers­tändlich auch Internet und soziale Medien, um ihre Macht zu zementiere­n. Erst nach und nach ist ihr vielleicht fürchterli­chstes Instrument

Dverstande­n worden: die Trollarmee. Bezahlte, in Partei und Behörden organisier­te, oder aber private, die Regierung als Einzelkämp­fer unterstütz­ende Schreiber machen auf Twitter und Facebook Kampagne für ihren Präsidente­n.

Ihr Einfluss und ihre Schnelligk­eit sind so groß, dass sie nicht nur regierungs­kritische Stimmen in der türkischen Gesellscha­ft rasch mundtot machen. Die Trollarmee der Gleichschr­eiber ist auch für die türkischen Politiker ein ernstzuneh­mender Faktor geworden. Dissens innerhalb der regierende­n Partei für Gerechtigk­eit und Fortschrit­t (AKP), den es gibt, wird durch die Trolle im Zaum gehalten. Wer eine Meinung äußert, die nicht ganz auf der Linie der Partei liegt, kann im Handumdreh­en öffentlich geächtet, tausendfac­h als korrupt oder verkapptes Mitglied der Gülen-Bewegung denunziert werden.

Dass Politiker der türkischen Regierungs­partei, selbst Minister den Kontakt mit ausländisc­hen Medien scheuen, ist eine Folge des repressive­n Klimas. Der schnelle Niedergang der Presse- und Meinungsfr­eiheit in der Türkei ist ein Lehrbeispi­el des modernen autoritäre­n Regierens.

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