Ermittlungen gegen Helfer im Mittelmeer
Ein italienischer Staatsanwalt wirft Flüchtlingshelfern im Mittelmeer vor, mit Schleppern zu kooperieren. Ermittlungen laufen. Italiens Justizminister warnt vor falschen Verdächtigungen.
Rom/Athen/Wien – Es gebe Hinweise, wonach einige Hilfsorganisationen gemeinsame Sache mit den Schleppern machten, erklärte der Staatsanwalt von Catania, Carmelo Zuccaro. Er stützt seinen Vorwurf auf ein abgehörtes Gespräch zwischen Personen auf dem libyschen Festland und der Besatzung eines privaten Rettungsschiffes. In dem arabisch geführten Dialog habe ein libyscher Schlepper gefragt, ob er die Flüchtlinge trotz der rauen See losschicken könne, worauf die Besatzung des Schiffs geantwortet habe, dass das kein Problem sei: Sie stünden bereit, die Leute aufzunehmen.
Der Staatsanwalt unterstellt den privaten Helfern, von den Schleppern Geld entgegenzunehmen, um damit die hohen Kosten der Seerettungen zu finanzieren. Anerkannte Organisationen wie Save the Children und Ärzte ohne Grenzen nimmt Zuccaro von seinen Vorwürfen aus; in einem Interview mit der Zeitung La Stampa erwähnte er dagegen Hilfsorganisationen wie Sea-Eye, Sea-Watch oder die maltesische Migrant Offshore Aid Station. Inzwischen werden bis zu 40 Prozent der Flüchtlinge, die in Seenot geraten, von privaten Organisationen gerettet – vor einem Jahr waren es noch fünf Prozent.
Die italienische Mitte-links-Regierung hat auf die Ausführungen Zuccaros verärgert reagiert: Justizminister Andrea Orlando forderte den Staatsanwalt auf, Fakten und Beweise vorzulegen, statt Verdächtigungen zu verbreiten. Innenminister Marco Minniti wiederum warnte vor „voreiligen Schlussfolgerungen und Verallgemeinerungen“. Zuccaro musste in der Folge einräumen, dass das abgehörte Telefongespräch nicht aus Polizeiquellen stamme und es somit als Beweismittel nicht verwertbar sei. Und schon gar keine Beweise konnte er für die von ihm behauptete Finanzierung der Hilfsorganisationen durch die Schlepper vorlegen.
Weil die Schiffe der NGOs meistens nur wenige Seemeilen vor den libyschen Hoheitsgewässern operieren, sehen sich die privaten Retter zunehmend mit grundsätzlicher Kritik konfrontiert: Ihre Tätigkeit stelle für die Schlepper einen Anreiz dar, noch mehr Menschen auf noch seeuntüchtigere Boote zu pferchen.
Tatsächlich füllen die Schlepper oft nur gerade so viel Treibstoff in die Tanks der Flüchtlingsboote, damit es ausreicht, die Zwölf-Meilen-Zone zu überwinden, wo die Retter warten. Und für Notfälle erhalten die Flüchtlinge von den Schleppern die Rufnummern der italienischen Küstenwache oder von privaten Rettungsschiffen mit auf den Weg.
Kritisch hatte sich auch schon Österreichs Außenminister Sebastian Kurz geäußert: „Der NGO- Wahnsinn muss beendet werden“, sagte der ÖVP-Politiker im März bei einem Besuch auf Malta. Kurz und andere Kritiker der NGOs argumentieren, dass sich die Hilfswerke ungewollt zu Komplizen der Schlepper machten und dass durch die privaten Rettungseinsätze im Mittelmeer nicht weniger, sondern mehr Flüchtlinge ums Leben kämen.
Doskozil warnt vor Waffen
Im Zuge einer Unterstützung Libyens beim Aufbau einer Küstenwache, um den Flüchtlingsandrang einzudämmen, warnt Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) die Union davor, dem instabilen Land sämtliche Wünsche für eine bessere Ausrüstung zu erfüllen. Hintergrund: Auf der umfangreichen Liste, die die Regierung nach Brüssel geschickt hat, wird unter anderem Bedarf an 130 Booten angemeldet – und davon sollten fünf mit Radar und Maschinengewehren ausgestattet sein. Doskozil dazu: „Die politische Situation ist sehr fragil, und ich bin daher nicht nur skeptisch, sondern zum derzeitigen Zeitpunkt strikt dagegen, dass die EU Waffen an Libyen liefert. Denn wir wissen nicht, was damit geschieht, und vor allem besteht die reale Gefahr, dass die Waffen in falsche Hände geraten könnten.“
Die EU-Spitzen setzen auf Zeit: EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat zu Libyens Wünschen bereits erklärt, man bewerte jetzt einmal „den Bedarf“, und: Es gehe allenfalls um eine Lieferung von „nichtmilitärischer Ausrüstung“.
Auf der griechischen Insel Lesbos hat die Polizei am Freitag ein von Flüchtlingen und Helfern besetztes Gebäude geräumt. Dabei sollen auch Österreicher festgenommen worden sein. Auf Lesbos harren zurzeit knapp 4000 Flüchtlinge und Migranten aus. Die Versorgungslage ist sehr schlecht, immer wieder kommt es zu Protestaktionen. Am Mittwoch wurde vorübergehend die Hafeneinfahrt von Mytilini blockiert. (nw, straub)