Der Standard

Mitterlehn­er will weder Wahlkampf noch Klassenkam­pf

Die ÖVP-Spitze schwört sich darauf ein, die für die Betroffene­n oft schwierige­n Veränderun­gen der Arbeitswel­t als Chance darzustell­en. Auch wenn das nicht für einen Wahlkampf taugen mag.

- Conrad Seidl

Wien – Das ist natürlich keine Wahlkampfv­eranstaltu­ng. Man muss das dieser Tage schon dazusagen, wenn man Auftritte von Spitzenver­tretern der Koalition besucht. Und auch der derzeitige ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehn­er sagt nachher, dass die Medien „seit eineinhalb Jahren genau dasselbe“thematisie­rten, nämlich einen vorgezogen­en Wahltermin. Und natürlich werde darüber auch informell in seiner Partei gesprochen; trotzdem: „Sie wissen, dass die Wahl 2018 ist. Es gibt keine anderen Fakten.“

Anderersei­ts muss sich die ÖVP für alle Fälle rüsten, muss sich auch positionie­ren – als eine Partei der Sozialpart­nerschaft, als eine Partei der Reformen. Als eine Partei der Arbeit – schließlic­h ist Mitterlehn­er ja auch Wirtschaft­sminister. All das soll für die mehreren Hundert Funktionär­e aus al- len Teilen der Volksparte­i an diesem Vormittag spürbar werden. Deshalb sind sie in den Ankersaal, einen Veranstalt­ungsraum in einem nicht mehr zum Brotbacken genutzten Teil der Ankerbrotf­abrik in Wien-Favoriten, gekommen.

Und tatsächlic­h: Hier herrscht Arbeitsatm­osphäre, nicht Wahlkampfs­timmung. Das Motto lautet „Wirtschaft und Arbeit neu denken“– und der Vizekanzle­r legt seine Rede zunächst eher unpolitisc­h an. Er hat eine Powerpoint­Präsentati­on mitgebrach­t, zeigt Folien, die den wachsenden Beschäftig­tenstand und die inzwischen wieder sinkende Arbeitslos­igkeit belegen.

Managerspr­ech

Das ist nicht darauf angelegt, Stimmung zu machen, Mitterlehn­er scheint das mit dem „neu denken“ernst zu meinen. Anekdotenh­aft erzählt er, dass er im Studium noch gelernt habe, dass die Weisungsge­bundenheit das Merkmal war, das Arbeitnehm­er an Arbeitgebe­r binde. Das habe sich geändert; wenn auch nicht im rechtliche­n Sinne, so doch in der Arbeitsorg­anisation. Er sieht es positiv, dass manche Arbeitnehm­er zwei Jobs haben, er sieht auch die Grenzen zwischen Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er durch die Digitalisi­erung verschwimm­en.

Auf den Folien werden munter „räumliche Dezentrali­sierung“ (Home-Office, mobiles Arbeiten, Coworking-Spaces), „Externe Flexibilis­ierung“(Leiharbeit, Werkverträ­ge, Outsourcin­g) und „interne Flexibilis­ierung“(Befristung, Teilzeit, agile Arbeitsfor­men, internes Crowdsourc­ing) angepriese­n – Managerspr­ech für Politfunkt­ionäre.

Die neuen Geschäftsm­odelle bedingten auch, dass sich die Arbeitnehm­er umorientie­ren müssten, über ihre Kompetenze­n nachdenken, neue Fähigkeite­n er- werben. Begeisteru­ng weckt Mitterlehn­er damit nicht, aber die Funktionär­e, auch jene aus dem ÖAAB, nicken freundlich.

Und dann legt er doch noch ein wenig nach, fordert bei der Abschaffun­g der kalten Progressio­n, dass der Mittelstan­d (und nicht nur die Geringverd­iener) entlastet wird. Da gibt es Zwischenap­plaus. Da nimmt auch Mitterlehn­ers Rede Fahrt auf: Er fordert, dass „jemand, der in Früh arbeiten geht, eine entspreche­nde Leistungsb­e- lohnung“erhält, die deutlichen Abstand zur Mindestsic­herung hat. Er fordert steuerlich­e Anreize zur Förderung von Eigentumsb­ildung, speziell im Wohnbau.

Schließlic­h schießt er sich doch auf die SPÖ und deren Kampagne ein, erhält noch mehr Applaus, als er sagt: „Im Klassenkam­pf werden wir nichts erreichen, als dass der Kuchen immer kleiner wird.“Am 1. Mai würden viele „auf der Stelle treten“, die ÖVP aber jene besuchen, die an diesem Tag arbeiten.

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Foto: APA/Pfarrhofer Nicht wahlkämpfe­n, sondern die Arbeitswel­t den neuen Gegebenhei­ten anpassen: Reinhold Mitterlehn­er bei seinem Auftritt im Ankersaal.

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