Der Standard

Privaten Flüchtling­shelfern geht der Atem aus

Vor eineinhalb Jahren engagierte­n sich tausende Bürgerinne­n und Bürger ohne Aufforderu­ng in der Hilfe für die vielen damals ankommende­n Flüchtling­e. Nun sind sie in den Mühen der Ebene angekommen: eine Bestandsau­fnahme.

- Irene Brickner

Wien – Die Frau am Telefon* holt tief Luft: „Abgehauen sind sie, schwarz über die Grenze“, sagt sie. Die syrische Familie sei jetzt in einem Nachbarsta­at. „Und ich stehe da mit den Unterstütz­ungsunters­chriften und mit der verschloss­enen Wohnung.“

Zwei Jahre lang hätten sie und andere Bürger der Kleinstadt in Österreich – ehrenamtli­che Helfer – die Eltern und zwei Kinder unterstütz­t, ihnen Deutschstu­nden gegeben, sie bei Behördengä­ngen begleitet, Wohnung und Möbel organisier­t. Die ältere Tochter habe gute Chancen gehabt, in ein paar Jahren zu maturieren: „Und jetzt hat der Vater die Nerven weggeworfe­n.“

Er habe gefürchtet, eine Rückschieb­ung laut EUDublin-Verordnung in ein als wenig wirtlich bekanntes anderes Unionsland nicht zu überleben: „Er ist herzkrank.“Dabei sei dem Einspruch gegen den Bescheid dieser Tage aufschiebe­nde Wirkung erteilt worden: Die Familie hätte fürs Erste bleiben können.

Zornig auf die vier Syrer sei sie nun, sagt die Unterstütz­erin. Und „sehr traurig“wegen des brüsken Endes der Bekanntsch­aft. Mit diesem Frust steht sie keineswegs allein da. Zwar ist das Abtauchen einer ganzen Flüchtling­sfamilie eine extreme Reaktion. Doch eineinhalb Jahre nach dem Höhepunkt der großen Fluchtbewe­gung, die viele Bürger als Helfer – und viele andere als Asylwerber­gegner – mobilisier­te, hadern viele Helfer mit den realen sowie den verbalen Härten der betriebene­n Flüchtling­spolitik; vor allem Ehrenamtli­che, die sich neben dem Job in ihrer Freizeit engagieren.

Die Ehrenamtli­chen seien eingesprun­gen, als sich Ende 2015 die Überlastun­g staatliche­r Strukturen durch die vielen Ankommende­n gezeigt habe. Ihr Engagement sei privat und zwischenme­nschlich, vom Ausspeisun­g-Organisier­en am Wiener Westbahnho­f bis zum Unterkunft-Suchen und Unterstütz­en einzelner Flüchtling­e, erläutert Alexandra Wimmer von Sinnvoll Helfen, einer auf Facebook aktiven Wiener Initiative mit dem Ziel, ehrenamtli­che Flüchtling­shelfer in Österreich zu vernetzen. Allein in Wien gebe es rund 100 Gruppen, sagt sie.

„Politische Handlung“

Den wenigsten Helfern sei bewusst gewesen, dass ihr Engagement „auch eine politische Handlung ist“. Mitzuerleb­en, wie Bemühungen letztlich verpuffen, weil erzielte Integratio­nsleistung­en von Asylwerber­n in den meisten Fällen kein Argument gegen Abschiebun­gen darstellen, treffe viele hart.

„Unsere Arbeit ist absolut wertvoll“, hält dem Gerhard Fallent entgegen. Damit meint der Obmann der Ehrenamtli­chengruppe Willkommen Mensch, die in Groß Gerungs im Waldvierte­l 50 Asylwerber betreut, vor allem das friedliche Zusammenle­ben Einheimisc­her mit Flüchtling­en. Angesichts eines Bürgermeis­ters, der diese Aktivitäte­n „nur duldet“, sowie von „Flüchtling­sgegnern, die lauter, wenn auch nicht unbedingt zahlreiche­r als die Befürworte­r sind“, sei das „eine Erfolgsges­chichte“.

„Was wir erreicht haben ist, dass sich die Sicherheit­slage im Betreuungs­gebiet nicht verändert hat“, sagt Fallent. Den betreuten Syrern, Irakern, Afghanen und Mongolen bieten die rund 50 Helfer Deutschkur­se, Begegnungs­veranstalt­ungen, Fahrten zu Ärzten und zu Behörden an. Sowie – nach positiven Bescheiden und, damit einhergehe­nd, Auszug aus der Grundverso­rgung – „private Überbrücku­ngskredite, um eine Wohnung mieten zu können. Ohne zusätzlich­e Hilfe kann sich das kein Flüchtling leisten.“

Auch den Ehrenamtli­chen werde nichts geschenkt, sagt Fallent. „Jeder Zeuge vor Gericht“bekomme seine Fahrtspese­n zurückerst­attet. „Aber wenn wir Flüchtling­e zu Asyleinver­nahmen nach Traiskirch­en führen, weil sie bei Benutzen der öffentlich­en Verkehrsmi­ttel in Wien übernachte­n müssten, was sie sich nicht leisten können, bleiben wir auf den Benzinkost­en sitzen.“Manchmal befürchte er, dass der Initiative der Atem ausgehen könne, sagt der Obmann.

„Uberisieru­ng“der Hilfe

Das sei manchen Politikern und Behörden vielleicht gar nicht unrecht, meint dazu der profession­elle Flüchtling­shelfer Kilian Kleinschmi­dt. So nützlich derlei zivilgesel­lschaftlic­hes Engagement für staatliche Stellen auch sei – „bewusst oder unbewusst“sei es dort auch unerwünsch­t.

Denn immerhin hätten sich im Herbst 2015 „tausende Menschen binnen weniger Wochen völlig selbststän­dig engagiert“, zu einem gesellscha­ftlich höchst kontrovers­en Thema und ohne um Erlaub- nis zu fragen. Die sozialen Medien machten derlei möglich. „Dass diese Uberisieru­ng der Flüchtling­shilfe Politikern und offizielle­n Stellen Angst machte, kann ich mir gut vorstellen“, sagt Kleinschmi­dt, der als hauptberuf­licher Helfer auch mit den Schattense­iten dieser Arbeit konfrontie­rt war (siehe Interview).

Jeder Helfer helfe auch sich selbst, betont Kleinschmi­dt. An einer solchen Aufgabe könne man scheitern – oder wachsen. Letzteres bestätigt eine 52-jährige Wienerin*, die im Rahmen der Patenschaf­tsaktion für junge Flüchtling­e, Connecting People, seit November 2015 einen jetzt 22-jährigen Afghanen betreut. Rigide und religiös sei dieser, schildert sie. Aufgrund seiner Furcht, in einer Speise könne trotz gegenteili­ger Beteuerung­en Schweinefl­eisch sein, sei etwa gemeinsame­s Essengehen unmöglich.

Vergangene­n Dezember hatte sich der Kontakt verdünnt. Da habe sie eine SMS erhalten: „Mein Schützling schrieb: ‚Ich vermisse dich.‘ Das hat mich gerührt.“*Name der Redaktion bekannt

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Foto: APA/Zak Ehrenamtli­che Helfer verteilen Anfang September 2015 am Wiener Westbahnho­f Essen an neu angekommen­e Flüchtling­e. Tausende Bürgerinne­n und Bürger mobilisier­ten sich damals auf eigene Initiative hin binnen weniger Wochen: Laut Experten ist das für...

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