Der Standard

„Auch eine kaputte Gesellscha­ft kann traumatisi­eren“

Die Arbeit in Krisengebi­eten ist mit Gefahr verbunden. Als Uno-Mitarbeite­r wurde Kilian Kleinschmi­dt mit Situatione­n konfrontie­rt, die ihn traumatisi­erten – so wie viele Flüchtling­e, die es nach Europa schaffen.

- Irene Brickner

INTERVIEW:

Standard: Sie haben Ihre eigene Tätigkeit als Helfer mit einem Psychiater aufgearbei­tet. Warum? Kleinschmi­dt: 2001 kehrte ich von einem Uno-Einsatz im Kongo nach Brüssel zurück. Ich saß bei Diplomaten­treffen und in Cafés, aber ich schien von oben zuzusehen und zu sagen: „Ihr wisst ja gar nicht, was auf dieser Welt los ist.“Ich fand zum reichen Europa keine Verbindung. Da sagte mir ein Armeepsych­iater, dass Soldaten rund um Einsätze in Krisengebi­eten psychiatri­sch betreut würden. Bei der Uno gab es das nicht.

Standard: Sie hatten Flashbacks, Wiedererle­ben schlimmer Erlebnisse. Haben Sie das bewältigt? Kleinschmi­dt: Zum Teil. Nach wie vor werde ich nervös, wenn ich Waffen sehe, denn ich bin in Uganda eines Morgens mit einer Waffe am Kopf aufgewacht und wurde eine Stunde lang wegen Geld gefoltert, das ich nicht hatte. Auch kann ich in der Küche Fettspritz­er nicht aushalten. Bei Selbstmord­anschlägen zerfetzt es Menschen und verursacht eine Art Fettregen.

Standard: Wegen Anschlägen und Verfolgung verlassen auch viele Flüchtling­e ihre Heimat. Brauchen diese nicht auch eine solche Aufarbeitu­ng? Kleinschmi­dt: Wenn sie nicht akut psychisch erkrankt sind, ist ihnen am besten mit Normalität geholfen und mit der Möglichkei­t, über ihre Erlebnisse zu reden. Ich spreche darüber, das ist meine Therapie, das habe auch ich von meinem Psychiater gelernt.

Standard: Sie schildern, dass Sie aufgrund Ihrer Erlebnisse keinen Kontakt zur europäisch­en Realität fanden. Müsste man, was Flüchtling­e angeht, derlei nicht auch integratio­nspolitisc­h berücksich­tigen? Kleinschmi­dt: Ja – und zwar auch, weil nicht nur Todesgefah­ren traumatisi­eren können, sondern auch eine kaputte Gesellscha­ft. Als Leiter des Flüchtling­slagers Zaatari in Jordanien warfen mir Bewohner vor: „Du bist wie Bashar (alAssad, Anm.).“Warum? Weil ich Regeln einführen wollte. Das wurde als Diktatur gesehen. Anlass war, dass ich einen Graben in der Straßenmit­te verboten hatte. Dass der für Kinder und Autos gefährlich ist, mussten sie erst selbst begreifen.

Standard: Verändert die Ankunft vieler Menschen mit solchen Erfahrunge­n eine Gesellscha­ft? Kleinschmi­dt: Ich finde, wir sollten nicht so tun, als wäre uns derlei fremd. Auch wir leben in nach wie vor traumatisi­erten Gesellscha­ften, durch den Zweiten Weltkrieg und den realen Sozialismu­s. Das Problem ist vielmehr, wie wir es schaffen, in Europa verschiede­ne Lebensform­en unter einen Hut zu bekommen.

KILIAN KLEINSCHMI­DT (54) ist im deutschen Essen geboren und Unternehme­r in Wien. 2013/14 leitete er für die Uno das größte Flüchtling­slager der Welt in Zaatari, Jordanien. 2015 war er Berater für das Flüchtling­slager Traiskirch­en.

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Foto: Hendrich Kleinschmi­dt: Flüchtling­e brauchen Normalität.
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