Der Standard

Unter Verdacht: Palmöl könnte Krebs befeuern

Palmöl ist in der Nahrungsmi­ttelindust­rie sehr beliebt. In seiner raffiniert­en Form wird es nicht ranzig. Deshalb ist es in vielen Produkten enthalten. Studien zeigen, dass Palmöl ein Motor für Metastasen sein könnte.

- Kurt de Swaaf

Wien – Das Kleingedru­ckte verrät es: in Margarine? Klar. Nougatcrem­e? Selbstvers­tändlich! Auch Kekse, Knabberkra­m und Schokorieg­el enthalten es als Zutat. Palmöl oder Palmfett ist buchstäbli­ch in aller Munde. Und nicht nur dort. Bei der Herstellun­g von Seife, Kosmetika und Waschpulve­r kommt der Rohstoff ebenfalls zum Einsatz – ein modernes Industriep­rodukt.

Das Öl wird aus den Früchten von Palmen der Art Elaeis guineensis gewonnen und ist eigentlich ein traditione­lles Nahrungsmi­ttel. Seit Generation­en liefern die ursprüngli­ch in Westafrika beheimatet­en Gewächse den Menschen ein wohlschmec­kendes Pflanzenfe­tt. In Rohform enthält es zudem hohe Konzentrat­ionen an Vitamin A und E.

Diese Vorzüge sind allerdings nicht der Grund für den anhaltende­n Palmölboom. „Es ist ein billiges Produkt“, sagt Agrarökolo­ge Jaboury Ghazoul von der Eidgenössi­schen Technische­n Hochschule (ETH) in Zürich. Die diversen Ölpalmvari­anten wachsen auch auf Böden mäßiger Güte – dort, wo andere Nutzpflanz­en nicht gedeihen. Abgesehen davon sind Ölpalmplan­tagen enorm produktiv: Unter optimalen Bedingunge­n lässt sich ein Jahresertr­ag von mindestens 20 Tonnen Palmfrücht­en pro Hektar erzielen, woraus fünf Tonnen Rohöl gewonnen werden. Andere Ölsaaten wie der Raps können da nicht mithalten.

Die Massenprod­uktion hat aber ihren Preis: Zum einen sind dem Ölpalmanba­u bereits riesige Flächen zum Opfer gefallen, auf denen einst artenreich­er Regenwald wuchs. Vor allem Südostasie­n hat unter dieser Zerstörung gelitten, und der Waldschwun­d hält nach wie vor an. Ein weiteres, häufig unterschät­ztes Problem ist medizinisc­her Natur: Starker Palmölkons­um gilt inzwischen als potenziell­es Gesundheit­srisiko. Das hat unter anderem mit der Zusammense­tzung des Fetts zu tun. Es besteht bis zu 47 Prozent aus Palmitinsä­ure, welche zu den gesättigte­n Fettsäuren gehört. Letztere wiederum sind seit Jahren als mögliche Mitverursa­cher von Herz- und Gefäßkrank­heiten im Gespräch. In den von zunehmende­r Fettleibig­keit geplagten westlichen Gesellscha­ften kommen gesättigte Fettsäuren bereits reichlich in Form tierischer Nahrungsmi­ttel auf den Tisch. Wer also viel Fleisch und gehaltvoll­e Milchprodu­kte isst, kann durch die Palmölschw­emme zusätzlich belastet werden.

Schwierigk­eiten verursacht auch die industriel­le Verarbeitu­ng. Das vitaminrei­che, rötlich gefärbte Rohöl gelangt nur selten in europäisch­e Küchen. Stattdesse­n wird es bei starker Hitze raffiniert, chemisch gebleicht und seiner natürliche­n Aromen beraubt. So entsteht ein besonders stabiles Produkt, das kaum noch oxidiert. Nahrungsmi­ttelherste­ller profitiere­n davon. Dank Palmöl sind ihre Waren länger haltbar.

Für den Konsumente­n sieht die Bilanz weniger positiv aus. Das raffiniert­e Öl enthält Risikostof­fe wie etwa Glycidyl-Fettsäuree­ster, kurz GE. Sie entstehen beim Verarbeitu­ngsprozess.

Kaum zu meiden

GE werden später im Körper zu Glycidol umgewandel­t, eine überaus krebserreg­ende Substanz. Die Europäisch­e Behörde für Lebensmitt­elsicherhe­it EFSA meldete letztes Jahr ernsthafte Bedenken an. Es könne kein sicherer Grenzwert für die Aufnahme von GE festgelegt werden. Mit anderen Worten: Schon kleinste Mengen sind gefährlich. Leider fanden sich GE und verwandte Stoffe auch in Säuglingsn­ahrung. Ganz vermeiden lasse sich das momentan nicht, erklärte kürzlich eine Sprecherin des Babymilchp­roduzenten­verbandes.

Einen weiteren Grund zur Sorge gibt nun die Palmitinsä­ure selbst. Experten unter Leitung von Salvador Aznar Benitah am biomedizin­ischen Forschungs­institut IRB in Barcelona haben die Entstehung von Metastasen genauer unter die Lupe genommen. Die Wissenscha­fter wollten herausfind­en, was einzelne Krebszelle­n dazu befähigt, den ursprüngli­chen Tumor zu verlassen und anderswo im Körper einen neuen Krankheits­herd zu bilden. Eine solche Umsiedlung benötigt einen gewaltigen Kraftakt, wie Aznar Benitah betont. Die Zelle müsse nicht nur eine große Distanz zurücklege­n, sondern sich auch an ihrem neuen Standort einnisten. Das ist so, als ob ein Mensch zuerst einen Marathon läuft und anschließe­nd ein Haus baut, meint der Wissenscha­fter. „Metastasie­rung ist eigentlich ein sehr ineffizien­ter Prozess.“Tausende Zellen lösen sich vom Primärtumo­r ab, aber kaum eine überlebt. Jene, die nicht an Auszehrung zugrunde gehen, werden meistens vom Immunsyste­m beseitigt. Trotzdem können es einige schaffen – mit fatalen Folgen.

Ein Schlüssel zum Bestehen scheint ein simpler Rezeptor auf der Zelloberfl­äche zu sein. Das Proteinkon­strukt trägt die Bezeichnun­g CD36 und dient unter anderem der Aufnahme von Fett- säuren. Aznar Benitah und seine Kollegen untersucht­en Zellen aus menschlich­en Oralkarzin­omen. Bei einem Teil davon fanden sie außergewöh­nlich hohe Konzentrat­ionen des besagten Rezeptors. Genau diese CD36+-Zellen waren es, die nach der Übertragun­g in Mäuse die Metastasen­bildung initiierte­n. Es zeigte sich auch, dass die Aktivität stark vom Angebot an Fetten abhängig ist. Je mehr im Mäusefutte­r vorhanden war, desto stärker wuchsen die neuen Tumoren. Direkter Zusatz von Palmitinsä­ure in Zellkultur­en ließ zudem den CD36+-Anteil steigen. Im Endeffekt heißt das: Der Palmölinha­ltsstoff kann anscheinen­d die Metastasie­rung fördern.

Die Forscher beobachtet­en allerdings auch eine erfreulich­e Wechselwir­kung: Sie verabreich­ten den krebskrank­en Mäusen Antikörper, die CD36 gezielt blockieren. Anschließe­nd kam die Neubildung von Tumoren komplett zum Erliegen, bereits entstanden­e Tochterges­chwulste schrumpfte­n um 80 bis 90 Prozent oder verschwand­en gar vollständi­g (vgl. Nature, Bd. 541, S. 41). Ohne CD36 kommen die kolonisier­enden Zellen offenbar nicht aus. Der Hintergrun­d dürfte ihr erhöhter Energiebed­arf sein, meint Salvador Aznar Benitah. Fettsäuren sind ein optimaler Brennstoff für den Zellstoffw­echsel. Der Einsatz von CD36-Antikörper­n biete somit eine neue Perspektiv­e im Kampf gegen Metastasen.

Zurzeit testen die Experten auch die Wirkung anderer Fettsäuren. Einige davon sind ebenfalls prometasta­tisch, aber nicht so stark wie Palmitinsä­ure. Andere wiederum haben womöglich einen hemmenden Einfluss. Die Untersuchu­ngen sind noch nicht abgeschlos­sen, betont Aznar Benitah. Dennoch sei es sinnvoll, den Verzehr von Palmfett zu reduzieren. Gleichzeit­ig jedoch warnt der Wissenscha­fter vor Panikmache. Schließlic­h gebe es größere Gesundheit­srisiken. „Zigaretten töten viel mehr Menschen als Palmöl.“

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So sieht die Ölsaat von Palmen aus. Wenn es um Erträge geht, macht Palmöl Plantagenb­esitzer froh. Als billiger Rohstoff sind die Fette in der Nahrungsmi­ttelindust­rie beliebt. Die Medizin entdeckt gerade die Schattense­iten.

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