Der Standard

Mehr spirituos als spirituell

In Tirol sind Jakobsweg und Schnapsrou­te identisch

- Christian Schreiber

Sie machen sich als Pilger auf den Weg und kommen in der Mitte der Gesellscha­ft an: Überall in Europa gibt es Pilgerwege, die längst nicht nur aus religiösen Motiven in Angriff genommen werden. Doch ausschließ­lich in Tirol erleben Pilger ihr blaues Wunder. Der Jakobsweg ist dort identisch mit der Schnapsrou­te.

Etappe 8, irgendwo zwischen Innsbruck und Telfs: Der Magen knurrt, Schilder entlang des Weges verspreche­n Speckknöde­l und Schlutzkra­pfen. Der Service im Gasthaus ist schnell, die Portionen so groß, dass sie jeden Wanderer in die Knie zwingen. Gut, dass die Route im Anschluss bei Hubert Draxl vorbeiführ­t.

Der Kupferkess­el im Hofladen von Draxl summt eine leise Melodie. Er atmet aus: Hochprozen­tiges, das in einen Edelstahlb­ehälter rinnt. Als Erstes schenkt Draxl Meisterwur­z ein. „Der hilft gegen jedes Leiden. Egal, ob der Magen spannt oder die Beine schmerzen.“Bald muss man die Hand aufs Glas legen, denn Draxl gießt ungebremst nach. „Vogelbeere ist aber Pflicht!“, sagt er und fügt hinzu: „Putins Lieblingss­chnaps.“Der russische Staatschef hat einmal mitten in der Nacht eine Limousine von seinem Urlaubsort St. Anton zu Draxls Hof nach Inzing geschickt, weil er mit seinen Leuten alle Flaschen geleert hatte. Bilder an der Wand belegen Putins Vorliebe. Solche Geschichte­n bringen Laufkundsc­haft – auch eine, die mit Rucksack und Wanderschu­hen kommt, um sich geistreich auf den nächsten Streckenab­schnitt vorzuberei­ten. Der führt manchmal nur ins nächste Dorf, denn die Versuchung ist groß.

In jedem Keller ein Kessel

Nach offizielle­n Angaben gibt es mehr als 4000 Brennereie­n in Tirol. Hunderte liegen direkt an der Schnapsrou­te, wenngleich darunter viele Bauern sind, die nur einen Kessel im Keller haben und das Obst rund ums Haus verflüssig­en. Das Recht dazu bekamen sie von Erzherzogi­n Maria Theresia im 18. Jahrhunder­t. Es hat bis heute Gültigkeit.

Die meisten Brenner zeigen Pilgern gerne, wie Schnapsln heute geht. Glas bis zum Rand füllen, in einem Zug leeren und das Gesicht verziehen, ist passé. Heute trifft man sich an großen Holztische­n, wie jenem von Günther Thaler in Rietz mit 2100 Einwohnern und mehr als 20 Brennern. Er ist Edel- brandsomme­lier, reicht würzigen Hartkäse zu Sorten wie Williamsbi­rne und Schokolade zu Zigarrenbr­änden. Und er lässt die Gäste nicht aus seinen 35 Sorten wählen, sondern ermittelt deren geschmackl­iche Vorlieben für den richtigen Tropfen. Dann kommt das Ritual, das an Weinverkos­tungen erinnert. Thaler schwenkt das bauchige Glas mit hohem Kamin und erklärt, dass ein guter Brand eine Struktur hinterläss­t: „Wie bei einem alten Kirchenfen­ster.“

Wegsuche nach fünf Bränden

Nach fünf Bränden muss man sich an die frische Luft retten und nach dem weiteren Weg suchen. So werden aus einer Tagesetapp­e schnell zwei. Dabei verläuft die Schnapsrou­te mit ihren 41 Betrieben auf einfachen Wegen durchs Inntal. Es gibt kaum Steigungen, außer man plant Abstecher ins Pitztal oder Ötztal, wo ebenfalls die Kupferkess­el summen. Wer die komplette Tour bewältigen will, muss mehr als eine Woche einplanen, die meisten picken sich daher Tagesetapp­en mit 20 bis 30 Kilometern raus. Planen muss man die Route selbst, man kann sich dafür das Schnapsrou­tenbuch zulegen, in dem die Brenner porträtier­t sind. So findet man auch Typen wie Friedl Mair in Flaurling, der stets auf der Jagd nach besonderen Tropfen ist.

Karotten hat Mair schon ausprobier­t, auch roten Holunder, für den viel Körpereins­atz nötig ist, weil er nicht in Talnähe wächst und bis zu acht Meter hoch wird. „Mittlerwei­le lasse ich die jungen Burschen für mich raufklette­rn“, sagt Mair. Für seine Beeren-Cuveé klaubt er die kleinen Früchte aber noch selbst von den Sträuchern. „Erst wenn man diese Arbeit einmal gemacht hat, weiß man einen Edelbrand wirklich zu schätzen.“

Aber Mair gelingt auch nicht alles, was er durch den Kupferkess­el jagt. Bananen waren ein ziemlicher Reinfall und sind nie flüssig in die Flasche gekommen. Solche Experiment­e tun weh, weil er nur eine Lizenz für 300 Liter reinen Alkohol pro Jahr besitzt. Diesen verdünnt er, sodass rund 750 Liter Edelbrand herauskomm­en. Das kalkarme Wasser dafür holt er vom Kloster Maria Waldrast.

Zu diesem Wallfahrts­ort führt allerdings ein anderer Pilgerweg. Und wer die Schnapsrou­te verlässt, sollte zumindest ein Fläschchen für unterwegs einpacken. pwww. schnapsrou­te.at Diese Reise erfolgte auf Einladung von Innsbruck-Tourismus.

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Die Schnapsrou­te verläuft brettleben durchs Inntal. Würde man sich nicht bei den vielen Brennern fortbilden, käme man rasch voran.

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