Der Standard

Als das Cello zum Fernsehger­ät wurde

Charlotte Moormans subtile Medienrefl­exion beim „Fest des Staunens“im Museum der Moderne

- Helmut Ploebst

Salzburg – Die Exzentrike­rin und Dadaistin Elsa von Freytag-Loringhove­n trug in den Roaring Twenties Büstenhalt­er aus Milchoder Tomatendos­en, und Kiki de Montparnas­se posierte 1924 für Man Ray als Geige ( Le Violon d’Ingres) – ein Motiv, das zuweilen auch mit dem „Körper“eines Cellos in Verbindung gebracht wird.

Dem Medienphil­osophen Marshall McLuhan zufolge sind Dosen und Musikinstr­umente ebenso Medien wie Fotografie und Fernsehen. Unter dieser Perspektiv­e eröffnet sich auch Charlotte Moormans Kunst als gewitztes Spiel mit den Zusammenhä­ngen zwischen – weiblicher – Körperlich­keit und männlich konnotiert­er technische­r Medialität. Etwa wenn sich die Performeri­n von Nam June Paik einen TV Bra for Living Sculpture anpassen ließ und damit Cellokonze­rte spielte oder wenn sie Paik in der Folge dazu brachte, für sie ein TV Cello zu bauen.

In die Verbindung von Visualität, Klang und Körper, wie sie oft für den Tanz, aber auch für die Performanc­ekunst konstituti­v ist, drängte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts das elektronis­che Medium. Wie schon zuvor die Fotografie und der Film trennte auch diese neue Technologi­e den Körper von dessen unmittelba­rer Aufzeichnu­ng durch Pinsel, Stift oder Griffel. Foto- und Film- kameras waren Apparature­n – allerdings noch mechanisch­e. Das Fernsehen brachte nun die elektronis­che Bildübertr­agung ins Spiel.

1969 nahm Charlotte Moorman (1933–1991) mit ihrem TV Bra an der berühmten Ausstellun­g TV as a Creative Medium der New Yorker Howard Wise Gallery teil. Wenn die Künstlerin ihr Instrument spielte, veränderte­n sich die Bilder auf zwei vor ihre Brüste montierten Monitoren. Mit McLuhan, der bereits 1964 sein einflussre­iches Buch Understand­ing Media – Extensions of Man publiziert hatte, ist das leicht nachzuvoll­ziehen.

Elektronis­che Milchdrüse

Moorman und Paik lieferten eine künstleris­che Perspektiv­e zu den Eigenschaf­ten von Medien als Körpererwe­iterungen: Der nackte Körper als Schau-„Objekt“und das mit Ray und de Montparnas­se körperkonn­otierte Objekt des Cellos bildeten die Basiskonst­ellation. Die beiden Brustmonit­ore ergänzten diese herrlich ironisch um die Ebene der elektronis­chen „Milchdrüse“: als bildmusika­lische „Dosen“, die Elsa von Freytag-Loringhove­ns dadaistisc­hes Motiv wiederaufn­ahmen.

Einen besonderen Reiz sah Moorman darin, mit dieser Arbeit nicht nur live, sondern auch im Fernsehen aufzutrete­n. Indem sie so ihren und Paiks Körper-Medien-Diskurs direkt ins Medium selbst einbettete, unterstric­h sie dessen enorme Sogkraft.

Das weiterführ­ende TV Cello von 1971 war deshalb ein großer Coup, weil es die Trias Körper/Instrument/TV symbolisch in sich vereinte. Dieses Gerät präsentier­t sich als vertikales elektronis­ches Triptychon, das von der Künstlerin während ihrer Auftritte richtig gespielt werden konnte und die Provokatio­n von TV Bra for Living Sculpture in ein subtileres Statement umkehrt.

Bereits 1965 hatte sie Man Rays Sujet vom weiblichen Körper als Musikinstr­ument umgedreht, als sie Nam June Paiks Körper als Cello verwendete, und im Jahr darauf wendete sie als Yoko-Ono-Darsteller­in deren Cut Piece: Onos Pathosmoti­v des Schnitts als Verletzung erschien nun als differenzi­erte Geste im Umgang mit dem Kleid als Körpererwe­iterung. In Abwandlung von McLuhans berühmtem Witz wird hier das Medium zur „Massage“. Bis 18. 6. mit kameralose­n Fotografie­n: In photogenic­s unterbrach sie den auf Papier einfallend­en Lichtschei­n mittels kleinerer Glasstücke oder verdrehtem Zellophan. Später benutzten Barbara Kasten, Ernst Caramelle oder Werner Kaligofsky ähnliche Techniken. Mit Doppel- und Langzeitbe­lichtungsf­otos von Francis Bruguière, Jaromír Funke, Heinz Loew und Otto Steinert verweist die MdM-Schau nochmals auf Moholy-Nagy.

Dass die Überwindun­g konvention­eller Tafelbildm­alerei auch anders möglich ist, zeigen Lichtobjek­te von Österreich­s aktueller Biennale-Vertreteri­n Brigitte Kowanz. In diesen ist bereits eine Erweiterun­g des Begriffs „Kinetische Kunst“angelegt, wenn auch „Bewegung“hier jene des Publikums meint. Auf der Positionsä­nderung des Betrachter­s beruhen auch Marc Adrians wie optische Illusionen anmutende Hinterglas­montagen.

Autmobil zerstört „Mobile“

Wenig von Illusionen hielt der im März 2017 verstorben­e Gustav Metzger, dessen Konzept der AutoDestru­ctive Art (1959) die Vernichtun­g des eigenen Werks durch biologisch­e, chemische oder technologi­sche Prozesse einplant. Damit übte Metzger großen Einfluss auf die Rockkultur aus: Ex-Kunststude­nt Pete Townshend von The Who berief sich bei seinen Gitarren- und Verstärker­zertrümmer­ungen in den 1960er-Jahren etwa auf diesen Theoretike­r der Autodestru­ktion.

Apropos Auto und Destruktio­n: Für Mobile (1970) lud Metzger biologisch­e Stoffe wie Äste und Fleischstü­cke in einen auf einem Autodach befindlich­en Plexiglask­ubus, der über einen Schlauch mit dem Auspuff des Wagens verbunden war: Automobil zerstört Mobile. Museum der Moderne, Mönchsberg 32, 5020 Salzburg. Öffnungsze­iten: Di–So: 10–18, Mi: 10–20 Uhr. Bis 24. 9.

 ?? Foto: Takahiko Iimura ?? Ein vertikales Triptychon des Medienzeit­alters: das „TV Cello“(1971), das Nam June Paik für Charlotte Moorman konstruier­te.
Foto: Takahiko Iimura Ein vertikales Triptychon des Medienzeit­alters: das „TV Cello“(1971), das Nam June Paik für Charlotte Moorman konstruier­te.

Newspapers in German

Newspapers from Austria