Der Standard

Trump, der pragmatisc­he Populist

Der Rechtsstaa­t besteht noch, es werden keine Bücher verbrannt, und der Kongress steht auch noch in Washington, D.C.: Die ersten 100 Tage des neuen US-Präsidente­n waren gar nicht so schlecht, wie sie von manchen nun gemacht werden.

- Russell A. Berman

Der polarisier­te Diskurs um Donald Trump versperrt leicht den Blick auf die eigentlich­en politische­n Entwicklun­gen. Trumps Kritiker, die gerne mit Faschismus­vergleiche­n operieren, konzediere­n nur ungern, dass sich ihre schlimmste­n Prophezeiu­ngen nicht erfüllt haben: Der Rechtsstaa­t besteht noch, Bücher werden nicht verbrannt, und der Kongress ist in keinem Reichstags­brand untergegan­gen. Die Vorhersage deutete auf Weltunterg­ang – aber nach hundert Tagen herrscht immer noch Alltag.

Es geht nicht nur um die bekannte Diskrepanz zwischen überhitzte­r Wahlkampfr­hetorik und prosaische­r Welt, sondern auch darum, dass sich beim Phänomen Trump eine Verschiebu­ng abzeichnet. Im November siegte der populistis­che Kandidat. Im Jänner hielt er eine Vereidigun­gsrede, deren Elitekriti­k gegen die Normen der politische­n Kultur verstieß. Nun aber, Ende April, zieht eine Normalität ein. Statt einen Bürgerschr­eck finden wir im Weißen Haus einen Pragmatike­r, der sich mit den Sachzwänge­n des Amtes abfinden muss.

Diese Wende gilt besonders im außenpolit­ischen Bereich. Kandidat Trump segelte unter der Fahne von „America first“, unter dem Primat des nationalen Interesses bei einer Abkehr von internatio­nalen Bindungen. In der Tat nahm er eine Verschlech­terung der Beziehunge­n zu Mexiko in Kauf, ebenso wie er dem Freihandel­sabkommen für den pazifische­n Raum einen letzten Stoß versetzte. In beiden Punkten erkennt man die Erfüllung von Wahlverspr­echen. Es sind allerdings die Überraschu­ngen, die wichtiger sind. Im Wahlkampf kritisiert­e er Japan und China scharf, in den vergangene­n Monaten gelang es ihm aber, anscheinen­d erfolgreic­he Beziehunge­n zu Shinzo Abe und Xi Jinping aufzubauen, zum Teil als notwendige Komponente­n einer multilater­alen Strategie gegen die nordkorean­ische Gefahr. Das ist auf jeden Fall nicht der Isolationi­smus, den seine Gegner ihm unterstell­t haben.

Die Abkehr von einer ideologisc­hen Abschottun­g ist nirgends sichtbarer als in Trumps Europapoli­tik. Der Kandidat verwarf die Nato als veraltet, und er denunziert­e die EU, worauf ihm eine Nähe zu den Rechtspopu­listen Le Pen und Orbán angekreide­t wurde. Von der Nato-Kritik wenigstens hat er sich inzwischen em- phatisch distanzier­t – weil es ihm gelang, von Angela Merkel die Zusage eines erhöhten Verteidigu­ngshaushal­ts zu gewinnen; weil er die Rolle der Nato im Kampf gegen den Terrorismu­s erkannt hat; aber gewiss vor allem deshalb, weil er Russland zunehmend als Problem versteht.

Gerade darin liegt die größte außenpolit­ische Wende. Der Kandidat schien darauf zu setzen, Russland als Bündnispar­tner zu gewinnen, und erklärte sogar eine gewisse Sympathie für Putin. Somit stellte Trump die US-Version eines „Putinverst­ehers“dar, weshalb die Demokraten immer noch darauf insistiere­n, dass Trump nur durch subversive russische Einmischun­g die Wahl gewinnen konnte. Für diesen Vorwurf gibt es keinen stichhalti­gen Beweis, aber die Verschwöru­ngstheorie bietet letzten Endes eine tröstende Erklärung für Clintons Verlust, den ihre Anhänger immer noch nicht verschmerz­en können.

Es gibt jedoch ein Kernverspr­echen seines Wahlkampfe­s, das der Außenpolit­iker Trump erfüllt. Trotz isolationi­stischer Neigungen hat er zugleich darauf gepocht, dass der Abbau des Militärs, den Obama unternomme­n hatte, korrigiert werden müsse, und auch darauf, dass die Vereinigte­n Staaten bereit sein müssten, ihre Macht nach außen zu projiziere­n. Daher rührt etwa der Angriff auf den syrischen Flughafen als Antwort auf die Verwendung von Chemiewaff­en durch die Assad-Regierung. Das Einsetzen dieser geächteten Vernichtun­gsmittel war nicht nur ein Verstoß gegen internatio­nale völkerrech­tliche Verpflicht­ungen, sondern auch ein Wortbruch Assads gegenüber Washington. Gerade deshalb musste Trump ein Zeichen setzen: Sein „America first“-Verspreche­n bedeutet auch den Willen, Stärke zu zeigen – eine klare Abgrenzung von der Obama-Regierung.

Auch in der Innenpolit­ik hat Trump Erfolge verbuchen können. Der Wichtigste ist die Ernennung des konservati­ven Richters Neil Gorsuch zum Höchstrich­ter auf Lebzeiten. Der 49-jährige Jurist wird die Rechtsprec­hung langfristi­g mitbestimm­en. Es dürften sich allerdings Kritiker beschweren, dass Trump mit der Wahl von Gorsuch seine eigenen antielitär­en Einstellun­gen aufgab. Von den neun Richtern studierten fünf in Harvard, drei in Yale, und einer an der Columbia. Gorsuch gehört zu den Harvardian­ern, ist also nicht unbedingt ein bodenständ­iger Mann des Volkes.

Angesichts der Immigratio­nskritik Trumps macht sein Innenminis­ter nun Ernst mit der Abschiebun­g illegaler Einwandere­r, die Verbrechen begehen. Eine Niederlage für Trump gab es bei seinen zwei Versuchen, die Einwanderu­ngsbestimm­ungen per Verordnung zu verschärfe­n. In beiden Fällen haben richterlic­he Entscheidu­ngen deren Inkrafttre­ten verhindert. Hier fällt auf, dass trotz der immer noch kursierend­en Beschreibu­ngen von Trump als Möchtegern­diktator gerichtlic­he Interventi­onen respektier­t wurden. Auch der Quereinste­iger muss sich mit den Bedingunge­n des Rechtsstaa­ts und den demokratis­chen Spielregel­n abfinden.

Trumps wichtigste bisher erlittene Niederlage betrifft die fehlgeschl­agene Gesundheit­sreform. Obwohl sie einen Kernpunkt im republikan­ischen Wahlkampfp­rogramm bildete, stellte sich heraus, dass die innerparte­ilichen Spannungen zu groß waren, um ein Reformgese­tz zu verabschie­den. Trotz dieses Rückschlag­s scheint jedoch Trump bereit, das kontrovers­ielle Thema wieder anzupacken, in der Hoffnung, doch noch einen Deal machen zu können, bevor er zum eigentlich­en Preis, eine Steuerrefo­rm, gelangen kann. Denn nur über die anvisierte Steuerrefo­rm kann Wachstum angekurbel­t und damit die Chancen für seine Stammwähle­r verbessert werden. Das ist der Populismus, den er eigentlich meint.

RUSSELL A. BERMAN (66) ist Professor für Humanities an der Stanford University (Komparatis­t, Germanist) sowie auch Senior Fellow an der Hoover Institutio­n.

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Foto: Univ. Stanford R. A. Berman: Ein Wille, sich von Obama abzugrenze­n.

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