Der Standard

Morbus Kern

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(Behandlung­szimmer eines Psychother­apeuten. Auf der Couch eine Frau mittleren Alters. Sitzung im Gange.) DER THERAPEUT: Also, wenn ich recht verstanden habe, weigern Sie sich, auch wenn Sie großen Hunger haben, eine Pizza zu bestellen aus Angst, der Pizzabote könnte der Bundeskanz­ler sein und versuchen, Sie dazu zu bringen, bei der nächsten Wahl für seine Partei zu stimmen? DIE FRAU (nickt) DER THERAPEUT: Das ist eine psychische Störung, die wir in letzter Zeit häufig beobachten. Wir nennen sie Morbus Kern. DIE FRAU: Das kann nicht sein. Bei mir ist das schon aufgetrete­n, da war Kern noch ein Niemand. DER THERAPEUT: Auch die Alzheimere­rkrankung hat es schon lange gegeben, bevor sie diesen Namen erhalten hat. Wann haben sich bei Ihnen zum ersten Mal Symptome gezeigt? DIE FRAU: Als seinerzeit der Kanzler Gusenbauer angekündig­t hat, er werde Nachhilfes­tunden geben als Ausgleich für die Einführung von Studiengeb­ühren, habe ich mich geweigert, einen Nachhilfel­ehrer für unsere Tochter zu engagieren, obwohl sie dringend einen gebraucht hätte. Sie ist dann auch durchgefal­len. DER THERAPEUT: Und gegenwärti­g? Zeigen sich noch andere Auffälligk­eiten? DIE FRAU: Ich gehe nicht mehr zum Friseur, weil ich fürchte, die Friseurin könnte der Finanzmini­ster Schelling sein, der mir den Haircut erklären will. Der Aufforderu­ng der Klassenleh­rerin unseres Sohnes, in die Sprechstun­de zu kommen, bin ich nicht nachgekomm­en, weil ich sicher war, von Eva Glawischni­g in Grund und Boden geredet zu werden. Und jedem Augustin- Verkäufer weiche ich aus, weil ich sicher bin, es handelt sich um Herbert Kickl. DER THERAPEUT (macht Notizen. Nach einer Pause): Es wird nicht einfach werden, aber ich bin sicher, dass ich Ihnen helfen kann. Sie müssen allerdings Geduld haben. Sie müssen mir vertrauen und bereit sein, sich vollständi­g zu öffnen. Dann werden wir mit Sicherheit diesen Wahnsinn beenden. DIE FRAU (richtet sich auf. Mit schreckgew­eiteten Augen): Kurz? Herr Minister Kurz? (Vorhang) Herr

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