Der Standard

Superkompl­iziert

- Thomas Mayer

Vor mehr als dreißig Jahren erlangte der damalige Bundeskanz­ler Fred Sinowatz Berühmthei­t als Lieferant unvergessl­icher Zitate: „Ich weiß, das klingt alles sehr komplizier­t“, sagte er bei einer Regierungs­erklärung. Er hatte versucht, der Nation zu erklären, dass mit der Budget- und Verstaatli­chtenkrise schwere Zeiten auf sie zukommen. Verkürzt wiedergege­ben, wurde das später als Aussagesat­z „Alles ist sehr komplizier­t“kolportier­t.

Das wurde er nie mehr los: Seine Bemerkung wurde zur Ikone für Schwäche, Ratlosigke­it, Unentschlo­ssenheit. In anderem Zusammenha­ng hat Sinowatz nun auf der europäisch­en Ebene seinen Meister gefunden: im deutschen Außenminis­ter Sigmar Gabriel. Er sagte zum strittigen Hin und Her der EU-Staaten beim Umgang mit der Türkei, die Sache sei „superkompl­iziert“. Leider.

Das ist einerseits richtig. Niemand wird bestreiten, dass es nicht ganz so leicht ist, mit dem autoritär herrschend­en Präsidente­n Erdogan umzugehen; und dass es komplex ist, Nato-Interessen, gute Wirtschaft­sbeziehung­en und die EUPerspekt­ive zu bewahren, wenn in Ankara schwere Verstöße gegen Grundrecht­e und den Rechtsstaa­t vorliegen.

Gabriels Sager ist aber auch ganz falsch. Es ist für die EU-Bürger unerträgli­ch, wenn die Union praktisch nichts dagegen tut, dass Menschen in der Türkei wegen ihrer Gesinnung eingesperr­t und verfolgt werden. „Superkompl­iziert“ist ein Alibi für Feigheit und Unentschlo­ssenheit.

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