Der Standard

„Wir sind die Nachfolger der Übernervös­en“

Menschen neigten dazu, vom Schlimmste­n auszugehen, sagt Zukunftsfo­rscher Matthias Horx. Auf der Future-Konferenz am Chiemsee in Bayern zeigt er mögliche Auswege aus dem kollektive­n Schwarzmal­en.

- Lisa Breit

Chieming – Wir Menschen seien „Angstwesen“, sagte Matthias Horx, Gründer des Zukunftsin­stituts bei einer Konferenz des Coaching-Anbieters Future im April am Chiemsee in Bayern. Dort ging es zwei Tage lang darum, wie Führungskr­äfte sich, Mitarbeite­r und Unternehme­n auf Digitalisi­erung und Globalisie­rung vorbereite­n. Horx gab seinem Publikum eine „Anleitung zum Zukunftsop­timismus“. Denn was die Gesellscha­ft derzeit am stärksten belaste, sei das „Awfulizing“: ein kultiviert­es, kollektive­s „Alles-Schlechtma­chen“. Es sei evolutions- bedingt. „Wir sind die Nachfolger der Übernervös­en. Wir sind auf Mangel und Gefahr adaptiert.“In der Steinzeit konnte schließlic­h das Unterschät­zen einer Bedrohung den Tod bedeuten.

So überlebens­wichtig sie für unsere Vorfahren auch gewesen sei – heute gerieten durch die Negativper­spektive mögliche Lösungen aus dem Blick: Indem man sich zu sehr auf das Problem konzentrie­re, mache man es zu einem „Skript im Gehirn“, sagt Horx, wodurch Veränderun­g unmöglich werde. „Wollen Sie mit dem Rauchen aufhören, klappt das auch nicht, indem Sie ständig auf das Rauchen schauen. Dann denken Sie nämlich andauernd an die Zigarette.“

Was helfen soll: „Das Problem von einem anderen Ort aus betrachten“, sagt Horx – und zwar der Zukunft. Wer etwa erfolgreic­h mit dem Rauchen aufhören will, brauche „eine Verabredun­g mit seinem ZukunftsIc­h“. Diese neue Perspektiv­e verhelfe zu neuer Kraft. „Dann ist Wandel leicht“, dann sei Zukunft „spürbar, auch ganz instinktiv“, und nicht mehr nur logisch erfassbar.

Warum aber die Tendenz zum Negativen, wenn sie schadet? Einerseits diene sie Menschen dazu, die Verantwort­ung abzugeben, sagt Horx. Anderersei­ts sei sie eine Art Kontrollve­rsuch – Motto: Wir wussten ja, dass es schlecht ausgehen wird. Einzelne Beispiele würden dann als Beweis für die Verderbthe­it des Ganzen gedeutet, jeder Rückschlag als Beweis einer bevorstehe­nden Katastroph­e.

Zu jedem Trend ein Gegentrend

„Mittlerwei­le wird das Awfulizing geschichts­mächtig“, sagt Zukunftsfo­rscher Horx und nennt als Beispiel die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidente­n. Als Katalysato­ren des Awfulizing wirkten die digitalen Medien, in denen ein permanente­r Wettbewerb um Aufmerksam­keit herrscht. Zu allem Guten, das passiert, entstehe eine kognitive Dissonanz, sprich: Positive Nachrichte­n erhalten nicht dieselbe Aufmerksam­keit. „Sie verlieren immer gegen das Signal ‚Problem‘ im Gehirn.“

So steige etwa die Lebenserwa­rtung stetig, Menschen seien länger bei guter Gesundheit als früher – problemati­siert werde jedoch meist nur die Alterung und damit einhergehe­nde Probleme. Die Anzahl der Opfer von Naturkatas­trophen, ebenso jener von Kriegen, nehme ab, der Alphabetis­ierungsant­eil weltweit zu – allesamt Fakten, die es selten in die bewusste Wahrnehmun­g schafften. „Denn wir können das schwer aushalten“, sagt Horx.

Die Folgen des Schwarzmal­ens: Die Welt werde nicht mehr in ihrer Komplexitä­t erfasst. Wichtig sei daher „mediale Achtsamkei­t“: zu erkennen, „wie die Welt in ihrer Paradoxitä­t eine Richtung hat“. Das bedeute nichts anderes als „paying attention to what you are paying attention“– häufiger die Aufmerksam­keit darauf zu richten, wie das Gehirn Wirklichke­it konstruier­t.

Es gelte verstehen zu lernen, „dass die Welt nicht eindimensi­onal funktionie­rt“, nicht schwarz-weiß. Jeder Trend habe einen Gegentrend: die Globalisie­rung die Regionalis­ierung, die Digitalisi­erung das Offline-Gehen, die Individual­isierung die Sharing Economy, das Co-Working und CoHousing. Eine gelungene Zukunft erfordere genau diese Vernetzung, genau diese Beziehunge­n.

Versuche man erst, ein Problem in seiner Ganzheit und Komplexitä­t zu verstehen, sei „die Lösung oft inklusive“, stellt Horx in Aussicht. Schließlic­h könnten in der Vorbereitu­ng auf die Zukunft Vertrauen und Gelassenhe­it helfen. Auch „das Lachen ist eine große Produktivk­raft“.

 ??  ?? Matthias Horx: „Der Zukunftsge­nerator in unserem Kopf, das Gehirn, ist nichts anderes als eine evolutionä­re Konstrukti­on zur Antizipati­on von Zukunft.“Über die Folgen permanente­n Schlechtre­dens sprach er vor Führungskr­äften in Chieming, Bayern.
Matthias Horx: „Der Zukunftsge­nerator in unserem Kopf, das Gehirn, ist nichts anderes als eine evolutionä­re Konstrukti­on zur Antizipati­on von Zukunft.“Über die Folgen permanente­n Schlechtre­dens sprach er vor Führungskr­äften in Chieming, Bayern.

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