Der Standard

Ich will in keinem Bücher-Mausoleum enden

Der Schriftste­ller Hanno Millesi lebt in einer Wohnung im siebten Wiener Gemeindebe­zirk, die ihn auch für sein jüngstes Buch inspiriert­e. Was ihm hier aber noch fehlt: der freie Blick in den Himmel.

- PROTOKOLL: Franziska Zoidl

Ich bin ein Mensch, der nicht wahnsinnig gerne umzieht. Aber jemand hatte an meiner früheren Wohnung im achten Bezirk so großes Interesse, dass er mir diese hier in der Lindengass­e im siebenten Bezirk im Tausch dafür anbot.

Diese Wohngegend ist trotz ihrer Nähe zur Mariahilfe­r Straße überrasche­nd ruhig – außer am Samstagnac­hmittag, wenn die Leute nach dem Einkaufen aus den Parkhäuser­n in der Umgebung strömen. Dann herrscht eine Stunde lang eine von Aggressivi­tät geschwänge­rte Stimmung. Es wird gehupt und geschimpft. Die meisten haben wohl ein schlechtes Gewissen, weil sie zu viel Geld für die falschen Sachen ausgegeben haben.

Die Wohnung ist recht großzügig dimensioni­ert. Die meisten Zimmer sind Durchgangs­zimmer – bis auf einen Zusatzraum, den ich als Stauraum und für die Tech- nik nutze. Ich habe sehr ungern technische Geräte wie Drucker oder Scanner um mich, wenn ich arbeite. Das ergibt eine technoide Atmosphäre, die mich mit ihrem Kabelsalat irritiert.

Es ist immer schwierig nachzuvoll­ziehen, wie eine alte Wohnung früher einmal konzipiert war. Es gibt da merkwürdig­e Markierung­en am Boden, die auf andere Zugänge hinweisen. Auch mein Grundriss sieht anders aus als der Grundriss von früher, das habe ich bei der Recherche für mein jüngstes Buch Der Schmetterl­ingstrieb herausgefu­nden, in dem sich der Protagonis­t in seinen eigenen vier Wänden auf die Suche nach Hinweisen auf das Universum begibt. Dabei hatte ich durchaus meine Wohnung im Hinterkopf. Man erfährt schließlic­h viel über eine Wohnung, indem man sie mit einer gewissen Aufmerksam­keit bewohnt – wie sie funktionie­rt, was sie bietet, was sie vorschreib­t und was sie nicht verzeiht.

Meine Möbel haben sich so angesammel­t. Es sind Stücke, die mir – unter dem Aspekt beschränkt­er Leistbarke­it – gefallen. Mein Schreibtis­ch stammt aus dem Jugendzimm­er meines Vaters. Überhaupt sind viele meiner Möbel aus den Wohnungen Verwandter. Mir ist es immer am liebsten, wenn neutrale Dinge zu mir kommen und ich sie mit einer Geschichte versehen kann.

Berufs- und interessen­bedingt besitze ich viele Bücher, wobei ich mich irgendwann eingebrems­t habe, weil ich nicht, wie viele Kolleginne­n und Kollegen, in einem Bücher-Mausoleum enden will. Das hat zwar etwas Romantisch­es, aber auch Beängstige­ndes. Abgesehen von den Bücherrega­len sind meine Wände größtentei­ls weiß. Das war nicht immer so: Früher habe ich mich viel im Bereich der bildenden Kunst herumgetri­eben. Damals habe ich fast alles aufgehängt – auch aus Platzgründ­en. Denn Kunst muss fachgerech­t verstaut werden. Da war das Andie-Wand-Hängen das Einfachste. Aber als ich in diese Wohnung zog und gerade damit anfangen wollte, die Bilder aufzuhänge­n, habe ich das plötzlich nur noch in einzelnen Fällen geschafft.

Ich werde mitunter gefragt, warum es bei mir auffallend aufgeräumt aussieht. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass ich zu Hause arbeite. Es gibt Mechanisme­n, mit denen man den Arbeitsbeg­inn hinauszöge­rt. Mir fällt in chaotische­n Zuständen aber auch das Denken schwer.

Das Wohnen ist für mich ein Spiegel des Lebens. Die meisten Phänomene, denen man im Leben begegnet, finden auch im Mikrokosmo­s Wohnen statt. Man kann sehr viele Aspekte aus größeren Zusammenhä­ngen in reduzierte­r Form in den eigenen vier Wänden wiederfind­en.

Was mir hier fehlt: ein Balkon. Es ist nicht sehr realistisc­h, aber mir würde schon ein französisc­her Balkon in den Lichthof reichen. Ich sehe unheimlich gerne den Himmel.

 ??  ?? „Technische Geräte wie Drucker oder Scanner ergeben eine technoide Atmosphäre, die mich irritiert.“Schriftste­ller Hanno Millesi in seinem Arbeitszim­mer.
„Technische Geräte wie Drucker oder Scanner ergeben eine technoide Atmosphäre, die mich irritiert.“Schriftste­ller Hanno Millesi in seinem Arbeitszim­mer.

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