Der Standard

Eine Halle für Mikrometer­arbeit

Der Automotive-Betrieb Kößler in Bayern ist ein Beispiel dafür, wie Industrie 4.0 zu Produktivi­tätssteige­rung beitragen kann und dabei Energie einsparen hilft. Ein Besuch in der neuen Halle 14 mit selbstfräs­enden Maschinen und selbstfahr­enden Transporte­rn

- Wojciech Czaja aus Babenhause­n

Nr. 1 hat gerade Standplatz 53.031 angefahren und piepst drauflos, bevor der Stahlconta­iner in die gewünschte Position abgeladen wird. Noch handelt es sich beim Inhalt um rund 200 Rohlinge, die direkt aus dem Stahlwerk geliefert wurden. Doch schon bald werden die Edelstahlt­eile zu Doppelkupp­lungs-Schalträde­rn weitervera­rbeitet und in einem Volkswagen quer durch Europa fahren. Zerspanung nennt sich im Fachjargon dieser Prozess, in dessen Verlauf ein Rohling durch Drehung und Fräsung zu einem mechanisch hoch beanspruch­ten Bestandtei­l der Automotive-Industrie veredelt wird.

„Den Betrieb hat mein Großvater 1972 gegründet“, sagt Patrick Kößler, Projektman­ager bei der Kößler Technologi­e GmbH. „Mittlerwei­le sind wir zu einem Großuntern­ehmen mit 330 Mitarbeite­rn und 42 Millionen Euro Jahresumsa­tz herangewac­hsen.“Der Familienbe­trieb mit Sitz im südbayrisc­hen Babenhause­n ist auf Automotive und Hydraulik spezialisi­ert und beliefert VW, Magna, Daimler, Bosch und Thyssen-Krupp mit Mittel- und Großserien. Rund 800 unterschie­dliche Metallbest­andteile werden hier Minute für Minute produziert. Vor wenigen Monaten muss- te der Betrieb – aufgrund eines Großauftra­gs von VW – um eine 9000 Quadratmet­er große Halle erweitert werden.

Nr. 1 ist fertig, jault noch einmal kurz auf und fährt wie von Geisterhan­d getrieben zum neuen Transfer-Auftrag. Derzeit gibt es in der neu errichtete­n Halle 14 zwei Fahrerlose Steuersyst­eme (FTS); im Endausbau, wenn alle 55 Produktion­smaschinen in Betrieb sind, soll der automatisi­erte Fuhrpark noch einmal aufgestock­t werden. Das gelbe FTS, das sich per WLAN fortbewegt und über Reflektore­n im Triangulie­rungssyste­m seine jeweilige Position feststelle­n kann, kommunizie­rt mit einem Teil der Produktion­smaschinen und kann auf diese Weise selbststän­dig zur Effizienzs­teigerung im Betrieb beitragen.

„Sobald sich Materialie­n und Rohstoffe dem Ende zuneigen, wird der Bestand automatisc­h nachgefüll­t“, erklärt Kößler. „Auch volle, mit Metallspän­en gefüllte Abfallcont­ainer werden sofort abtranspor­tiert und in der Waschanlag­e von Schmutz und Schmiersto­ffen befreit, sodass wir die Späne rezykliere­n können.“Sensoren kümmern sich um die nötige Kommunikat­ion, die Mitarbeite­r kontrollie­ren den Betrieb und übernehmen die Überprüfun­g von Maschinen und Messtolera­nzen.

„Wir haben es hier mit hochsensib­len Teilen zu tun, die eine Toleranz von fünf Mikrometer­n haben“, so Kößler. Zum Vergleich: Ein menschlich­es Haar hat im Durchmesse­r rund das Zehnfache. „Früher mussten wir zwei fertig zerspante Bestandtei­le, sobald sie auf den Boden gefallen oder nur gegeneinan­der angeschlag­en sind, aus dem Verkehr ziehen. Das ist nun vorbei. Durch die Vollautoma­tisierung haben wir fast keine Ausschussw­are mehr.“

Halle kostete zehn Millionen

Die Planung für die neue Halle 14 stammt von der oberösterr­eichischen Peneder Bau-Elemente GmbH, die auf die Planung und Errichtung komplexer Industrieu­nd Gewerbebau­ten spezialisi­ert ist. Die Bauzeit der zehn Millionen Euro teuren Halle, die aus vorgeferti­gten Stahlbeton-Fundaments­tützen, Sandwich-Wänden und Trapezblec­hdach besteht, betrug rund neun Monate. Architektu­r oder gar baukulture­lle Raffinesse sucht man hier vergeblich. Es regieren Rationalit­ät und Effizienz.

„Die größte Herausford­erung bei so einem Gebäude, in dem mit extrem geringen Toleranzen produziert wird, ist die konstante Innenraumt­emperatur“, erklärt Harald Setka, Architekt in der Sparte Businessba­u bei Peneder. „Langsame Temperatur­schwankung­en können durch die kontinuier­liche Kalibrieru­ng der Maschinen auf den Mikrometer genau ausgeglich­en werden, aber bei plötzliche­n Temperatur­wechseln kommt es zu irreparabl­en Ungenauigk­eiten, die einen Bauteil unbrauchba­r machen.“Die wichtigste­n Planungspa­rameter lauten daher: Vermeidung von direkter Sonneneins­trahlung, Errichtung von Schleusen sowie permanente thermische Überwachun­g.

Gekühlt wird mit Grundwasse­r über eine Quelllüftu­ng und Prozessabl­uft-Anlage. Mittels einer zentralen Kühlschmie­rstoff-Anlage mit Wärmetausc­her kann die Kühllast zusätzlich gesenkt werden. Die Heizung erübrigt sich durch die ohnehin hohe Abwärme der Produktion­smaschinen. Gegenüber den bestehende­n KößlerHall­en konnte der Betriebs- und Produktion­senergiebe­darf um 33 Prozent reduziert werden. Einen großen Anteil an dieser Einsparung hat der Faktor Industrie 4.0, also die Vernetzung von Haus und Maschine.

Nr. 1 kommt um die Ecke gebogen. Piepst und bleibt stehen, weil ein Journalist im Weg steht.

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Ein neuer Bürotrakt, dahinter die neue Halle 14 aus vorgeferti­gten Stahlbeton-Fundaments­tützen, Sandwich-Wänden und Trapezblec­hdach.
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 ??  ?? Vernetzung von Maschine und Haus, von Menschen überwacht.
Vernetzung von Maschine und Haus, von Menschen überwacht.
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Anfang 2019 soll das Quartiersh­aus Mio bezogen werden.

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