Der Standard

„Männer sind nicht das alleinige Übel“

Zana Ramadani (33) ist Femen-Mitbegründ­erin, CDU-Mitglied und Muslimin. Jetzt hat die gebürtige Mazedonier­in ein Buch über die Schuld der Mütter an der Unterdrück­ung der Frauen verfasst.

- Josef Bichler, Wolfgang Rössler

Der Vater kommt gut weg, die Mutter weniger. Muslimisch­e Mütter seien die „größten Unterdrück­er der Töchter“, schreibt Zana Ramadani in ihrem ersten Buch, in dem sie ihre eigene Familienge­schichte als Blaupause nimmt für eine leidenscha­ftliche Abrechnung mit der Religion ihrer Eltern. Die Feministin Ramadani geht vor allem mit den Frauen hart ins Gericht: Nur durch deren Mittätersc­haft ließe sich ein patriarcha­les System aufrechter­halten, dessen Nutznießer ausschließ­lich Männer seien.

Ramadani wurde in Skopje, Mazedonien, als Tochter albanische­r Eltern geboren und kam im Alter von sieben Jahren nach Deutschlan­d. In Wilden, einem kleinen Dorf in Westfalen, ließ sich die Familie nieder. Vater, Mutter, Tochter lernten bald Deutsch und fanden mühelos Anschluss an die Dorfgemein­schaft. Als Jugendlich­e trat Ramadani der CDU bei, die in Wilden das Sagen hatte. Die Familie galt als mustergült­ig integriert.

Zum Bruch mit der Mutter kam es, als Ramadani sich von den strengen Vorschrift­en ihrer Religion löste und ihr Recht einfordert­e, das Leben einer jungen westlichen Frau zu führen. Als 18-Jährige flüchtete sie in ein Frauenhaus. Später wurde Ramadani Mitbegründ­erin von Femen Deutschlan­d: Barbusig protestier­te sie gegen Prostituti­on, Menschenha­ndel und die Einladung islamistis­cher Prediger zu Podiumsdis­kussionen. Inzwischen hat sich die werdende Mutter von der Gruppe losgesagt, sie ist weiterhin Mitglied der CDU.

Standard: Hat Ihre Mutter das Buch gelesen? Ramadani: Nein, hat sie nicht. Aber meine Mutter weiß, dass es dieses Buch gibt. Und sie weiß auch, was ich darin über sie geschriebe­n habe.

Standard: Sie schildern darin eine Episode aus Ihrer Heimat Mazedonien, als Sie noch ein kleines Mädchen waren, das sich zu erwachsene­n Männern setzen wollte. Ihre Mutter zerrte Sie weg und beschimpft­e Sie als „Hure“. Viele Jahre später, in Deutschlan­d, wollte sie Sie unter Zwang zurück in die alte Heimat verbringen lassen – möglicherw­eise, um Sie mit einem frommen Muslim zu verheirate­n. Ramadani: Mir ging es in dem Buch nicht darum, meine eigenen Traumata zu verarbeite­n. Davon habe ich mich schon vor vielen Jah- ren gelöst. Diese Geschichte­n aus meiner Biografie sollen darstellen, was es heißt, als Mädchen in einem islamische­n Kulturkrei­s aufzuwachs­en. So kann ich es besser erklären. Ich komme keineswegs aus einer erzkonserv­ativen Familie: Mein Vater ist Atheist, hochsensib­el, ein verrückter Künstlerty­p, der dem Bild des muslimisch­en Machos überhaupt nicht entspricht. Ich habe irgendwann verstanden, dass meine Mutter sich selbst viele Freiheiten genommen hatte. An meinem Vater lag es nicht, sie hatte denselben Unterdrück­ungsmechan­ismus verinnerli­cht wie ihre Eltern oder viele andere Familien. Davon konnte sie sich nicht emanzipier­en.

Standard: Dennoch war es Ihr Vater, der Sie als junge Frau grün und blau geschlagen hat, weil Sie mit Ihrem westlichen Lebensstil gegen die sittlichen Normen des Islam verstoßen hätten. Ramadani: Das war nur ein einziges Mal. Mein Vater konnte sich gegen die Dominanz meiner Mutter, ihrer religiösen Werte und Moralvorst­ellungen nicht durchsetze­n. Das zeigt mir, dass Männer nicht das alleinige Übel dieser Welt sind. Auch sie leiden unter diesen Strukturen und sind zum Teil selbst zu schwach, sich daraus zu befreien. Wenn die Community stark ist, werden alle auf irgendeine Art und Weise zu Tätern und Opfern gleicherma­ßen.

Standard: Welchen Grund haben Frauen, ein System zu stärken, das ihre und die Würde ihrer Töchter verletzt? Ramadani: Sie haben es so stark verinnerli­cht, dass sie es als richtig empfinden. So wie eine Puffmutter, die Zwangspros­tituierte beschäftig­t. Oder denken Sie an Saudi-Arabien. Die Frauen bei der Sittenpoli­zei kontrollie­ren viel aggressive­r als die Männer – obwohl gerade sie wissen müssten, wie sich das für die Betroffene­n anfühlt. Frauen sind keine besseren Menschen, sie sind allerdings besser darin, Dinge unter den Tisch zu kehren.

Standard: Vor der Beantwortu­ng der Frage nach der Mittätersc­haft der Frauen am patriarcha­len System drücken sich viele Feministin­nen. Ramadani: Ich erlebe das immer wieder. Vor allem die jüngere Generation von Feministin­nen hält den weißen Mann für das einzige Übel. In meiner Welt sieht das nicht so aus, da hat mich wohl die Geschichte meines Vaters sensibilis­iert. Männer sind die Nutznie-

ßer. Aber wenn Frauen das nicht unterstütz­en würden, könnten sie es ändern. Wir hätten die Macht dazu, immerhin sind wir die Hälfte der Menschheit.

Standard: Wie stehen Sie heute zu Ihrer Mutter?

Ramadani: Das Verhältnis ist einmal besser, einmal schlechter. Es läuft alles sehr neutral ab, sie weiß nicht viel von meinem Leben. Sie sieht mich auf Facebook und hat sogar einen Twitter-Account eingericht­et, damit sie immer über mich auf dem Laufenden ist. Ich bin ihr schon lange nicht mehr böse, seit ich verstanden habe, dass sie mir nie Leid zufügen wollte. Sie bekam Druck von ihrer Familie, so in der Art: „Lass Zana nicht so werden wie die Deutschen, die Sex haben und sich prostituie­ren.“

Standard: Ist sie inzwischen ein wenig stolz auf Sie? Ramadani: Ich glaube, sie wäre glückliche­r, wenn ich auf eine andere Art und Weise berühmt geworden wäre. Aber sie hält sich zurück – wohl aus Angst, dass ich mich komplett zurück-

ziehe und sie gar nichts mehr von mir hat.

Standard: In Ihrem Buch rechnen Sie mit der These ab, dass nicht der Islam, sondern bloß der Islamismus das Problem sei. Sie widersprec­hen: Der gelebte Islam lasse sich nicht vom grassieren­den Terror unterschei­den. So etwas könnte auch von der Pegida, der AfD oder der FPÖ kommen. Wie gehen Sie mit deren Vereinnahm­ungsversuc­hen um? Ramadani: Wissen Sie, Versuche, mich zu vereinnahm­en, gab es schon immer. Sei es von der CDU oder von den Grünen, weil ich mich als Veganerin für Tierschutz engagiere. Ich bediene keine Parteien, Störungen oder gar einzelne Personen.

Standard: Die Vereinnahm­ung durch die CDU, deren Mitglied Sie sind, und jene durch die extreme Rechte sind für Sie gleichwert­ig? Ramadani: Nein, auf keinen Fall! Für die CDU, die Grünen oder die SPD würde ich auf ein Podium steigen. Bei AfD oder Pegida würde ich mich niemals zeigen, das widerspric­ht komplett meinen Wertvorste­llungen. Ich bediene

keinen von denen, auch wenn sie mich zitieren oder Artikel von mir verteilen.

Standard: Auf Youtube kursiert ein Video von einem Vortrag von Ihnen, den Sie in Wien gehalten haben – auf Einladung des Akademiker­bundes, der ein extrem rechtes Weltbild vertritt. Ramadani: Ich habe während der Veranstalt­ung einige Ansichten, die definitiv nicht meine sind, gehört und habe mich auch dagegenges­tellt. Ich hatte diesen Verein vorher nicht gekannt. Ich hatte gewusst, dass er konservati­v ist – aber das ist ja nicht rechts. In meinem Buch und bei meiner Arbeit distanzier­e ich mich klar und deutlich von rechter Art der Politik.

Standard: In Ihrem Buch beschäftig­en Sie sich mit dem mangelnden Respekt muslimisch­er Männer vor den Deutschen. Sie schreiben: „Die einzigen Deutschen, die ein muslimisch­er Mann respektier­t, sind Neonazis.“Was meinen Sie damit?

Ramadani: Diese rechten Gruppierun­gen von Männern haben noch eine archaische Dominanz, die sie leben und äußern. Die meisten anderen Männer in der westlichen Welt haben dieses Gockelgeha­be abgelegt, weil es unnötig ist und man damit nicht mehr weiterkomm­t. Aber in einem hochpatria­rchalische­n Kulturkrei­s verschafft man sich dadurch Respekt. Ein Islamist hat vor einem gebildeten Deutschen keinen Respekt, weil er ihn für ein Weichei hält, das sich von den Weibern auf der Nase herumtanze­n lässt. Einen Neonazi oder Hooligan respektier­t er hingegen, obwohl er ihn eigentlich hasst.

Standard: Gestehen Sie dem Islam eigentlich Reformierb­arkeit zu? Ramadani: Dem Islam nicht, den Muslimen schon. Das Christentu­m wurde auch erst reformiert, nachdem sich die Gläubigen von den negativen Religionsi­nhalten getrennt hatten. Dazu mussten sie im Neuen Testament nichts schwärzen. Auch der Koran wird nie umgeschrie­ben werden. Ich kenne viele Muslime, die sich selbst als tiefgläubi­g bezeichnen und sich trotzdem von allem gelöst haben, was nichts mit einem spirituell­en Glauben zu tun hat.

 ??  ?? Zana Ramadani: „Versuche, mich zu vereinnahm­en, gab es schon immer. Sei es von der CDU oder von den Grünen ...“
Zana Ramadani: „Versuche, mich zu vereinnahm­en, gab es schon immer. Sei es von der CDU oder von den Grünen ...“
 ??  ?? Zana Ramadani, „Die verschleie­rte Gefahr“. € 18,90 / 264 Seiten. Europa-Verlag, 2017
Zana Ramadani, „Die verschleie­rte Gefahr“. € 18,90 / 264 Seiten. Europa-Verlag, 2017

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