Der Standard

Dammbruch im französisc­hen Wahlkampf

Die „republikan­ische Front“gegen Marine Le Pen bricht zusammen: Erzgaullis­t Dupont-Aignan läuft zur Kandidatin des Front National über. Die Linke zog gespalten in den 1. Mai, bei Protesten kam es zu Ausschreit­ungen.

- Stefan Brändle aus Paris

„Verrat“, „Schande“: Die Reaktionen auf den Schultersc­hluss von Marine Le Pen und Nicolas Dupont-Aignan sind in Paris vehement ausgefalle­n. Erstmals geht der Front National (FN) eine Allianz mit einer anderen Partei ein. Zumal mit einer, die das gaullistis­che Erbe hochhält, also das historisch­e Gegenteil des Vichy-Regimes, dessen Veteranen in dem FN von Jean-Marie Le Pen Unterschlu­pf gefunden hatten.

Der Außenseite­r Dupont-Aignan hatte im ersten Wahlgang der Präsidente­nwahlen mit seiner Partei Debout la France (etwa: Auf Frankreich!) 4,7 Prozent erzielt. Das war genug, um den Konservati­ven François Fillon am Einzug in den zweiten Wahlgang zu hindern. Jetzt überbringt der 56-jährige Erzgaullis­t diese Stimmen als Mitgift der Partei, die bisher von einer „republikan­ischen Front“abgeschirm­t und politisch isoliert gewesen war. Das verschafft Le Pen noch keine Mehrheit (Emmanuel Macron führt laut Umfragen mit 60:40), aber eine starke Dynamik.

Gemeinsam haben DupontAign­an und Le Pen die Ablehnung der EU. Dupont-Aignan, der einem gaullistis­chen „Europa der Vaterlände­r“das Wort redet, ist vorsichtig­er und verlangt keinen unbedingte­n „Frexit“, also Ausstieg Frankreich­s aus der EU. Das rechte Duo plädiert deshalb für „Pragmatism­us“, was neu ist für Le Pen: Der Euro-Ausstieg ist „keine Vorbedingu­ng“mehr, lässt also einen anderen Ausgang der geplanten Austrittsv­erhandlung­en mit Brüssel zu. So steht es jedenfalls in dem „Regierungs­abkommen“, laut dem Präsidenti­n Le Pen ihren neuen Partner Dupont-Aignan zu ihrem Premier machen würde.

Proteste 2002 als Höhepunkt

Überläufer Dupont-Aignan versetzt der jahrzehnte­alten „republikan­ischen Front“gegen die Lepenisten zweifellos den Todesstoß. Ihren Höhepunkt hatte sie 2002 erlebt, als zwischen dem ers- ten und zweiten Durchgang der Präsidente­nwahlen über eine Million Franzosen auf die Straße gegangen waren, um gegen einen Wahlsieg des FN-Gründers JeanMarie Le Pen zu demonstrie­ren. Seine Tochter Marine tritt heute gemäßigter auf und bezeichnet sich selbst als „Republikan­erin“.

Zudem pflegt sie einen wirtschaft­spolitisch betont linken Diskurs gegen die „Oligarchie­n“und das „ultraliber­ale Brüssel“. Der Linke Jean-Luc Mélenchon, der 2002 aufgerufen hatte, mit zugehalten­er Nase für den einzigen Gegenkandi­daten Jacques Chirac zu stimmen, blieb am Wochenende ambivalent­er. Er will natürlich nicht für Marine Le Pen stim- men – aber er ruft auch nicht klar zur Wahl Macrons auf.

Ein ähnliches Bild vermittelt­en die Umzüge des 1. Mai. Militante Gewerkscha­ften riefen dazu auf, „weder Le Pen noch Macron“zu wählen. Letzterer ist als Rothschild-Banker untragbar für antikapita­listische Kreise, zumal er die Arbeitsmar­ktreform von François Hollande mitgestalt­et hatte. Bei getrennten Umzügen rief die moderate Gewerkscha­ft CFDT – die für die Reform eingetrete­n war – zur Wahl Macrons auf.

Am Rande der Aufmärsche am Montag kam es in Paris auch zu Ausschreit­ungen, bei denen mehrere Polizisten verletzt wurden.

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Am Rande der Demonstrat­ionen zum 1. Mai in Paris erlitt ein Polizist schwere Verbrennun­gen.

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