Südsudan: Wege zu humanitärer Hilfe abgeschnitten
Zehntausende Menschen sind nach der neuerlich aufgeflammten Gewalt im Südsudan von Unterstützung abgeschnitten. Helfer ändern ihre Strategie – sie begleiten die Menschen nun auf der Flucht.
Juba/Wien – Wenn die ersten sintflutartigen Vorboten der Regenzeit den Südsudan unter Wasser setzen, dann „wird das ein Albtraum“. Diese Prognose wagt Georg Geyer, der für Ärzte ohne Grenzen als Logistiker im krisengebeutelten Land unterwegs ist. Dann nämlich wird die ohnehin spärliche Infrastruktur noch weiter beschädigt werden und der Zugang der Helfer zur bedürftigen Bevölkerung teilweise unmöglich.
Durch die jüngsten Kämpfe im Land sind laut Angaben von Hilfsorganisationen zehntausende Menschen von Nahrungsmitteln, Wasser und medizinischer Hilfe abgeschnitten. Seit Februar herrscht in zwei Teilen des südsudanesischen Bundesstaates Unity offiziell eine Hungersnot. Die erste, die von den Vereinten Nationen seit sechs Jahren ausgerufen wurde. Laut UN-Schätzungen stehen 100.000 Menschen vor dem Hungertod. Bis zum Juli könnten insgesamt 5,5 Millionen Menschen von Lebensmittelknappheit betroffen sein. Das entspricht etwa der Hälfte der Bevölkerung des jüngsten Staates. Insgesamt 7,5 Millionen Südsudanesen werden heuer humanitäre Hilfe benötigen.
Die Katastrophe ist dem Bürgerkrieg im Land geschuldet, das sich 2011 vom nördlichen Nachbarn Sudan losgesagt hat. Ein Machtkampf zwischen dem amtierenden Präsidenten Salva Kiir und seinem entlassenen Vize Riek Machar stürzte das Land 2016 erneut ins Chaos – just vor den Feierlichkeiten zum fünften Jahrestag der Unabhängigkeit am 9. Juli.
3,5 Millionen auf der Flucht
Seitdem zwangen die immer wieder aufflammenden Kämpfe insgesamt 3,5 Millionen Südsudanesen zur Flucht, davon 1,9 Millionen Menschen innerhalb des Landes. Im vergangenen April wurden durch Gefechte geschätzt 100.000 Personen vertrieben. Diese ständigen Fluchtbewegungen stellten Hilfsorganisationen vor enorme Herausforderungen, so Geyer zum STANDARD. Deshalb habe sich Ärzte ohne Grenzen das Konzept der mobilen Einsatzteams überlegt: „Unser Standardmodell, bei dem wir ein Krankenhaus betreiben, wohin die Leute kommen, funktioniert im Südsudan nicht“, sagt Geyer. Durch die ständige Flucht können die Hilfesuchenden nicht an einen fixen Platz kommen. Darum bleiben die Helfer bei ihnen.
Südsudanesen werden von Ärzte ohne Grenzen ausgebildet, um in ihren Gemeinschaften so etwas wie medizinische Grundversorgung zu gewährleisten. Flüchtet die Gemeinschaft, flüchten die Helfer mit. Internationales Personal wird so oft wie möglich eingeflogen, um ein paar Tage mitzuge- hen und ihren lokalen Kollegen unter die Arme zu greifen. „Doch das größte Problem ist die Sicherheitslage“, sagt der Logistiker.
Laut Aufzeichnungen der Vereinten Nationen sind seit Dezember 2013 mehr als 80 Helfer im Land getötet worden. In mehreren Regionen des Landes mussten Hilfsorganisationen ihre Mitarbeiter abziehen, weil das Engagement zu gefährlich wurde. Erst vergangene Woche wurden 32 Helfer in Sicherheit gebracht, nachdem Regierungstruppen eine Offensive im Nordosten des Landes gestartet hatten.
Geyer selbst hat sich nie wirklich unsicher gefühlt: „Ich vertraue auf unser Sicherheitsmanagement und auf unsere Akzeptanz in der Bevölkerung.“Die sei vor allem deshalb gegeben, weil man möglichst lange bei den Betroffenen bleiben und sich so ihr Vertrauen erarbeiten würde, sagt der Logistiker.
Kaum Schulbildung
Trotzdem ist der Einsatz eine große Herausforderung für die Helfer: „Natürlich leiden wir mit den Menschen vor Ort mit“, erzählt Geyer. Außerdem merke man vor Ort, dass man in einem der ärmsten Länder der Welt tätig sei: „Ich war zum Beispiel in Afghanistan im Einsatz, wo man vor Ort Ärzte oder Krankenpfleger rekrutieren konnte“, sagt er: „Aufgrund des niedrigen Bildungsniveaus im Südsudan ist das hier nicht möglich.“Laut einem aktuellen Bericht des UN-Kinderhilfswerks Unicef erhalten im Südsudan 72 Prozent aller Kinder keine Schulbildung.