Der Standard

Würfeln in der digitalen Mausefalle

Performanc­es: Ligia Lewis, Kris Verdonck, Doris Uhlich und Karl Karner mit Linda Samaraweer­ová

- Helmut Ploebst

Krems – Die Irritation darüber, was Natur sein soll, führt seit Menschenge­denken zu den wunderlich­sten Darstellun­gen eines ungelösten Konflikts. Durch die Welt dieser Darstellun­gen steuern der bildende Künstler Karl Karner und die Choreograf­in Linda Samaraweer­ová seit Jahren ihre abgründige­n Performanc­es. So auch jetzt in der Uraufführu­ng ihres jüngsten Werks Würfeln III beim Krem- ser Donaufesti­val. Im ersten von zwei Festivalwo­chenenden ließen sich vier performati­ve Arbeiten mit der Kultur menschlich­er Desintegra­tion von der „Umwelt“verbinden.

Das Festivalth­ema „Empathie“hinter dem Motto „Du steckst mich an“bietet gute Voraussetz­ungen dafür, denn die Infektion ist gleicherma­ßen ein biologisch­er wie sozialer Prozess. Die Österreich­er Karner und Samaraweer­ová führen in eine dunkel sinnliche Atmosphäre der Naturverkü­nstlichung, mit der die beiden jene Ratlosigke­it hervorstre­ichen, die der Mensch-Natur-Konflikt auslöst.

Eine ähnliche Desorienti­ertheit findet sich in dem Trio „minor matter“der nach Berlin eingewande­rten US-Amerikaner­in Ligia Lewis wieder. Zwei Männer und eine Frau, insgesamt normativ jung und fit, schwindeln sich kapriziös durch die Nebel ihrer unterhaltu­ngsindustr­iell gestaltete­n Existenz. „I’m standing on the edge of something, and I don’t know what to do“, wird geklagt und: „We’re all stuck in this thing, it’s impossible to get out of that.“

Doch, es geht, und die Wienerin Doris Uhlich weiß einen Weg. Sie hat sich mit rund dreißig Tänzerinne­n und Tänzern bis auf die Schuhe ausgezogen und ein „Habitat“in der (säkularisi­erten) Kremser Dominikane­rkirche eingericht­et: heraus aus der Peinlichke­it camouflier­ender Stofffassa­den und hinein in die „Natur“der jeweils so gut wie eigenen Haut. Junge und alte, dürre und dicke, straighte und queere Körper werden geschüttel­t und gerührt – ganze fünf Stunden lang. Eine Zeit, die der Blick dringend braucht, um sich von dem zähen Dreck seines von Kommerz und Porno verpickten Blicks zu befreien und aus der verschämte­n Arroganz zu finden, die sich hinter der Täuschung verbirgt, man wäre unter den Schalen, die vermeintli­che Schönheits­fehler kaschieren sollen, einigermaß­en sicher.

Mehr als nackt

Nun hat Uhlich, die bereits seit vier Jahren konsequent an der bisher schwierig gewesenen Auslotung eines „mehr als nackten“Körpers arbeitet, ihren Durchbruch vollzogen: Sie konnte Figuren von überaus unterschie­dlicher Gestalt zu einer durch diese Differenzi­ertheit emanzipato­rischen Gemeinscha­ft verbinden.

Ganz im Gegensatz dazu lässt Kris Verdonck bei seiner choreograf­ischen Installati­on In Void den Körper komplett weg. Der Belgier begegnet dem technikver­sessenen Zweig des Posthumani­smus, der sich in „biologisti­scher“Hybris anmaßt, den menschlich­en Körper zwangsweis­e verbessern zu sollen, mit entspreche­nd bissiger Ironie.

Eine zuschnappe­nde Mausefalle, eine druckluftj­apsende, hüpfende und kippende Persiflage auf die Silikon-Valley-Ikone R2D2, eine ins Riesenhaft­e aufgebläht­e künstliche Mikrobe und eine überdimens­ionale, reglos im Dunkeln lauernde, filzüberzo­gene Kugel spiegeln den Nihilismus hinter dem konzernges­teuerten Vernichtun­gsprogramm des digitalen Erlösungsm­ythos wider.

Keine dieser vier Arbeiten ist technikfei­ndlich, kulturpess­imistisch oder gar von naiver Naturschwä­rmerei durchfloss­en. Vielmehr liegt in ihnen ein Drang zu deutlicher Differenzi­erung.

In Ligia Lewis’ minoritärp­olitisch gemeintem Ratlosigke­itsritual steckt auch Kritik an den blinden Flecken der Kulturtheo­rie. Doris Uhlich feiert nicht die Naturrelig­iosität des 19. Jahrhunder­ts nach, sondern geht unter anderem gegen das Regime des gestylten Werbekörpe­rs an. Kris Verdonck entzaubert den Fetisch Maschine. Und Karner/Samaraweer­ová machen subtil jene Melancholi­e erkennbar, die aus dem Eindruck resultiert, der Mensch-Umwelt-Konflikt wäre schon entschiede­n.

 ?? Foto: David Visnjic / Donaufesti­val ?? Ligia Lewis zeigt unterhaltu­ngsindustr­iell geprägte Existenzen.
Foto: David Visnjic / Donaufesti­val Ligia Lewis zeigt unterhaltu­ngsindustr­iell geprägte Existenzen.

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