Der Standard

Herkulesau­fgabe für SPÖ-Spitzen

Kern und Häupl müssen den Genossen erklären, was eigentlich nicht zu erklären ist

- Günther Oswald

Der Analyse von Christian Kern kann man schwer widersprec­hen. Eine Partei dürfe den politische­n Gegner niemals in den eigenen Reihen suchen, richtete der rote Parteichef den Genossen auf dem Wiener Rathauspla­tz aus. Eh, no na, eine politische Binsenweis­heit. Und trotzdem schaffen es die Wiener Roten seit Monaten, sich der Selbstzerf­leischung hinzugeben. Mit Anlauf, mit Genuss. Ganz so, als ob es nur darum ginge, die Partei zu zerstören.

Das sagt viel über den Zustand der Wiener Sozialdemo­kraten aus, über die Kluft zwischen dem linken und dem rechten Flügel. Erstens: Die wechselsei­tigen Aversionen sind so groß, dass man lieber einen dramatisch­en Schaden für die Partei (in jüngsten Umfragen lag die FPÖ bereits klar vorne) in Kauf nimmt, als zugunsten des anderen Flügels zurückzust­ecken. Die akkordiert­en Streichung­en am Wiener Landespart­eitag vom Samstag sind der beste Beleg dafür.

Zweitens: Michael Häupl hat mit seiner Entscheidu­ng, sich noch einmal als Parteichef wiederwähl­en zu lassen und alle anderen Entscheidu­ngen aufzuschie­ben, geschafft, was vor wenigen Jahren noch als undenkbar galt. Er hat den Nimbus des unumstritt­enen Chefs verloren, ihm wird nicht mehr zugetraut, die einigende Kraft in der Wiener SPÖ zu sein. rittens: Die Häupl-Nachfolge ist offener denn je. Michael Ludwig kann mit 68 Prozent Unterstütz­ung (wohlgemerk­t bei einer Wahl ohne Gegenkandi­daten) nicht mehr davon ausgehen, dass eine Vorentsche­idung in seine Richtung gefallen ist. Mit der Baustelle Wiener SPÖ verhält es sich also wie mit echten Bauprojekt­en im politische­n Umfeld: Sie bestehen länger als gedacht, und am Ende kosten sie mehr als befürchtet.

Womit wir wieder bei Kern wären. Der Kanzler braucht für einen Sieg bei der nächsten Nationalra­tswahl eine zugkräftig­e, geschlosse­ne Partei in der Bundeshaup­tstadt. Wenn er nun betont, vorgezogen­e Neuwahlen seien nicht sinnvoll, weil dadurch kein Problem eines Arbeitslos­en oder einer auf einen Betreuungs­platz angewiesen­en Mutter gelöst werde, dann ist das zwar richtig, gleichzeit­ig aber natürlich auch ein Ablenkungs­manöver. In Wahrheit ist eines seiner größten Probleme nicht gelöst, weshalb sich die Lust auf baldige Wahlen in Grenzen hält.

DKern und Häupl stehen vor einer Herkulesau­fgabe. Sie müssen den Genossen erklären, was eigentlich nicht zu erklären ist. Etwa warum die Blauen in Wien als „Hetzer“(Zitat Renate Brauner) bezeichnet werden, Kern selbst den „rechten Mief“beklagt, mit dem neuen Kriterienk­atalog aber eine Koalition mit der FPÖ nicht mehr ausgeschlo­ssen werden soll und von dieser eine Idee nach der anderen bei den Themen Asyl und Zuwanderun­g übernommen wird. Oder warum der Kanzler dafür plädiert, nicht alte „Dogmen“zu bewahren und den wirtschaft­lichen sowie gesellscha­ftlichen Wandel aktiv zu gestalten, so mancher Gewerkscha­fter in der Partei aber gleichzeit­ig so tut, als gebe es keine neue Arbeitswel­t.

Oder warum sich Häupl, ganz in alter Tradition, am 1. Mai gegen jegliche Hürden in der Bildungspo­litik ausspricht – „vom Kindergart­en bis hin zu den Universitä­ten“, gerade aber mit Zustimmung der SPÖ an neuen Zugangsreg­eln für die Hochschule­n gearbeitet wird. Solange es derartige Widersprüc­he zwischen artikulier­ter und realisiert­er Politik gibt, dürfen sich die Genossen nicht wundern, wenn Freundscha­ft nur am Tag der Arbeit hochgehalt­en wird.

Newspapers in German

Newspapers from Austria