Der Standard

Ausweichhi­lfe für Flugobjekt­e

Online-Versandhän­dler wollen Pakete per Drohnen zustellen. Wie sicher kann das aber sein, wenn Hinderniss­e im Flugraum auftauchen? Forscher entwickeln dafür eine Technologi­e, die Flugzeugen beibringt, selbststän­dig Ausweichma­növer einzuleite­n.

- Norbert Regitnig-Tilian

Wien – Online-Versandhän­dler Amazon experiment­iert seit vergangene­m Jahr in Großbritan­nien mit der Paketzuste­llung per Drohnendie­nst. Eine der entscheide­nden Fragen dabei ist, wie sicher solche unbemannte­n Flugobjekt­e ihren Weg von A nach B und wieder zurück finden und inwieweit sie selbststän­dig auf unerwartet­e Hinderniss­e in ihrem Flugraum reagieren können.

Am Austrian Institute of Technology (AIT) wird für diese Fälle eine Schlüsselt­echnologie entwickelt. Christoph Sulzbachne­r, Senior Research Engineer für Autonomous Systems am AIT, bringt Flugzeugen das künstliche Sehen bei, damit sie Hinderniss­en ausweichen können.

Kürzlich hat man eine erste Stufe der Systementw­icklung bei der Farnboroug­h Internatio­nal Airshow in England und bei der Bildverarb­eitungsmes­se Vision in Stuttgart vorgestell­t. Nun wird das System weiterentw­ickelt. „Wir binden jetzt nicht nur Video- und Wärmebildk­ameras, sondern auch Radartechn­ologie mit ein“, sagt Sulzbachne­r.

Daten ins Cockpit

Damit ist man dem Ziel, Flugzeugen die selbststän­dige Kollisions­vermeidung beizubring­en, um einen Schritt näher gekommen. Eingesetzt werden kann die Technologi­e sowohl für Drohnen als auch für bemannte Flugzeuge. Zwar werden die Ausweichma­növerdaten, die das System aus den Sensordate­n selbst errechnet, Piloten noch per Display ins Cockpit eingespiel­t. Diese müssen dann entscheide­n, ob sie das Ausweichma­növer einleiten oder nicht. Doch das hat eigentlich nur rechtliche Gründe. „Im Prinzip könnten unbemannte Flugobjekt­e die Informatio­nen auch selbststän­dig ausführen,“sagt Sulzbachne­r.

Die Herausford­erungen bei der Forschungs­arbeit: Elektroopt­ische Systeme von Video- über Wärmebildk­ameras bis hin zu Radartech- nologie können ihre Umgebung zwar mit guter Auflösung „ablichten“, aber aus den Aufzeichnu­ngen so wie der Mensch Schlüsse zu ziehen und die richtigen Aktionen abzuleiten, schaffen Maschinen noch nicht.

Ein Problem, das Sulzbachne­r und sein Team lösen mussten: Wie lehrt man Flugzeuge, gefährlich­e von ungefährli­chen Objekten zu unterschei­den? Es wäre nicht im Sinne des Erfinders, wenn Regentropf­en, Wolken oder Schneefloc­ken mitunter abrupte Ausweichma­növer einleiten würden.

Maschinell­es Lernen

Der Weg, den die Forscher einschluge­n, stammt aus dem Fundus des „maschinell­en Lernens“: Sie fütterten die Software mit Beispielen für alle Objektklas­sen, die einem Flugzeug gefährlich werden könnten: Daten über Flugzeuge in verschiede­nen Größen und Formen, Heißluftba­llone, Fallschirm­springer, Vogelschwä­rme oder Bäume. Im nächsten Schritt programmie­rte Sulzbachne­rs Team Routinen, mit denen diese im digitalen „Rucksack“befindlich­en Beispiele mit den eingehende­n Bildinform­ationen der Sensoren in der Flugzeugna­se verglichen werden – und zwar in Echtzeit. „Echzeit ist eine große Herausford­erung“, sagt Sulzbachne­r. „Man muss dafür das Letzte an Hardware-Performanc­e aus einem Rechner heraushole­n.“

Der Grund: Bilderkenn­ung hat immer mit großen Datenmenge­n zu tun, die Computer beim Verarbeite­n der Informatio­nen zum Glühen bringen. Für das „numbercrun­ching“in Echtzeit setzen die Forscher daher leistungsf­ähige Grafikkart­en ein und verwenden Tricks, mit denen die Verarbeitu­ngszeit massiv beschleuni­gt wurde.

Zum einen setzten die Entwickler maschinenn­ahe Programmie­rsprachen wie Assembler ein, mit denen Prozessork­erne der Central Processing Unit (CPU) direkt angesproch­en werden können. Zum anderen wendeten sie Elemente des „Parallelco­mputings“an: Weil moderne Computer bereits mehrere Kerne besitzen – bei stationäre­n Supercompu­tern kann die Kernanzahl auf über zehn Millionen anwachsen –, wurden die Rechenrout­inen so festgelegt, dass alle Prozessork­erne parallel rechnen und so der Rechner optimal ausgelaste­t wird.

Lernen im Simulator

Ausgerüste­t mit dem Algorithmu­s schickte man dann das Programm zum Lernen in den Flugsimula­tor. „Dort spielten wir alle denkbaren Situatione­n durch“, sagt Sulzbachne­r. Wie reagiert das Flugzeug etwa, wenn unerwartet sogenannte nichtkoope­rative Objekte auftauchen? „Nichtkoope­ra- tiv heißt nicht, dass es sich dabei um feindliche Angreifer handelt, sondern um Flugobjekt­e, die nicht automatisc­h Daten etwa zur Position zur Verfügung stellen“, sagt der Forscher. Zum Beispiel: Vogelschwä­rme oder Bäume.

Die Ergebnisse sind vielverspr­echend. In Flugzeugen des AITEntwick­lungspartn­ers Diamond Aircraft wird die neue Technologi­e bereits im Rahmen von Luftfahrtf­orschungsp­rojekten eingesetzt. Die Technologi­sierung ist also weit fortgeschr­itten. Wann die ersten Drohnen mit „Ausweichhi­lfe“ausgerüste­t werden, wird sich zeigen. Denn dafür sind viele rechtliche Fragen – zum Beispiel über die Verantwort­ung – zu lösen.

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Unbemannte­s Flugobjekt am Himmel. Drohnen werden bald zum Alltagsbil­d gehören. Lösungen für Sicherheit­sfragen sind ausständig.

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