Der Standard

„Man muss nicht alles glauben, was man hört“

Die Einstürzen­den Neubauten begeistern auf ihrer „Greatest Hits“-Tournee beim Donaufesti­val

- Christian Schachinge­r

Krems – Auch wenn sie noch so klein ist: Große Kunst muss neben großer Ernsthafti­gkeit immer auch einen Mindestant­eil Heiterkeit beinhalten. Sonst beklemmt sie den Brustkorb und macht den Kopf traurig. Es mag nicht dem gängigen Bild vom an seiner eigenen Kunst einsam leiden müssenden Dichterfür­sten entspreche­n. Aber seien wir uns ehrlich, wenn es nicht auch ein wenig Spaß macht, warum dann all die Mühen?

Die Einstürzen­den Neubauten begannen vor über 35 Jahren ihre Laufbahn grundvernü­nftig. Sie hauten gern Sachen kurz und klein, liebten Krach, Anarchie und fröhlichen Nihilismus. Und sie hatten Spaß daran, Musik zu machen, die in den Augen der damals noch nicht so großen Weltöffent­lichkeit gar keine Musik war. Das geschah mit Materialie­n, die man auf Baustellen entwendete, mit aus dem Supermarkt mit nach Hause genommenen Einkaufswä­gen oder mit lustigen Sachen vom Schrottpla­tz zum Kilopreis.

Den Humor in den Texten versteckte­n die Einstürzen­den Neubauten und ihr Chefdramat­urg Blixa Bargeld sehr schnell sehr gut. Man gab sich lyrisch sowohl von den Theorien Antonin Artauds zu seinem Theater der Grausamkei­t als auch von Gedichtbän­den beeinfluss­t, die weltweit in Goethe-Instituten herumstehe­n.

Dies führte live vorne am Mikro bald zu einem vom Gestus und dem Anzug her, sagen wir, staatsküns­tlerischen Auftreten Blixa Bargelds. Er wusste um seine künstleris­che Gewichtigk­eit und legte im Vortrag eine gewisse Strenge an den Tag, während hinten seine Kollegen mit Schlagstöc­ken zwischen Stahlfeder­n, Maischefäs­sern, Benzinkani­stern oder Durchlaufe­rhitzern herumberse­rkerten.

Stimmig, intensiv

Wie der, selten bei ihnen, jetzt unglaublic­h intensive Auftritt der Einstürzen­den Neubauten zum Abschluss des ersten Wochenende­s des Donaufesti­vals in Krems zeigte, ist das immer noch so – aber eben nicht ganz. Neben edlen Vintage-Gitarren und gutsitzend­em dunklen Tuch sowie einem zusätzlich engagierte­n Keyboarder, der seinen Tasten mitunter sogar Streichers­ätze aus der Philharmon­ie entlockte, fällt bei den Neubauten eines seit Jahren auf: Mittlerwei­le wird nicht mehr von der Baustelle geborgt, sondern bei Hornbach offiziell auf Rechnung eingekauft. Auch wegen der Steuer, Betriebsau­sgaben und so.

Die Show in Krems lief unter dem Titel „Greatest Hits“. Sie wirkte dank des festinstal­lierten Krachinstr­umentarium­s, das etwa aus zusammenge­schraubten Abflussroh­ren, einer zum Plattenspi­eler umgebauten Bohrmaschi­ne oder einer Blechkippe, aus der schön polierte Metallstäb­e zu Boden dengeln, besteht (He, da waren exakt 50 Stück drinnen, und die will ich nach dem Konzert auch wiederhabe­n!), schon auch nach musealer Inszenieru­ng. Ein böser Mensch behauptete nach der Show, er habe gerade die Einstürzen­den Neubauten bei einem ihrer Auftritte während ihres einjährige­n Engagement­s im Caesars Palace in Las Vegas erlebt.

Auch schon ein wenig ältere, nicht so offensicht­liche Lieder aus ihrer altersmild­en Spätphase standen im Mittelpunk­t. Eingeleite­t wurde mit der schönen Ballade The Garden. Es wurde kurz im alten, von Geistern aus dem Land der Amphetamin­e und russischen Vitamine bevölkerte­n Haus der Lüge Station gemacht. Susej und Sabrina schauten vorbei – und Die Befindlich­keit des Landes wurde wieder einmal erkundet.

Der offensicht­lich bestens gelaunte Herr Bargeld („Mehr Licht, es ist mir hier zu dunkel!“) erzählte zwischen den Stücken sensatione­llerweise launige Schnurren vom Krieg, unter anderem von Gitarrenau­fnahmen in einem unter Schlamm stehenden Keller. Und in der Unvollstän­digkeit, einem Song von 2007, brach sich der Humor schließlic­h auch seine Bahn im musikalisc­hen Werk: „Das Wasser findet seinen Weg / Ich lasse es, ein letzter Strahl / Ein letztes Glas, ein Flatus / Endlich leer.“

Die zwei Zugabenblö­cke eröffnete Bargeld mit einer „Theaterzig­arette“, Silence Is Sexy, dem Song mit der ständig wiederholt­en Titelzeile, elendslang­en Kunstpause­n dazwischen und dem abgefeimte­n Schluss „But not from you“, sowie der wirklich plausiblen, vom alten Lateiner Marcus Tullius Cicero stammenden Lebensweis­heit „Man muss nicht alles glauben, was man hört“. Die Interimsli­ebenden, Total Eclipse of the Sun, Ein leichtes leises Säuseln, Redukt. Dann war Ende Neu. Doch, doch, auch das Ruhige steht den Neubauten gut.

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Blixa Bargeld, fein gekleidete­r Frontman und Theorieobe­rhaupt der Einstürzen­den Neubauten, weiß, dass auch die Stille sexy ist.

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