Wie Kurz nach der vollen Macht griff
Personelles Durchgriffsrecht und das Label einer „eigenständigen“Liste: Sebastian Kurz mutete der ÖVP viel zu, um sich zum Chef wählen zu lassen.
Der Star des Abends ließ sich den Einmarsch nicht entgehen. Während sich andere ÖVP-Granden hinter den verspiegelten Scheiben ihrer Dienstlimousinen zum Springer-Schlössl in Wien-Meidling chauffieren ließen, bahnte sich Sebastian Kurz zu Fuß den Weg durch die Journalistentraube. Gekommen war er, um sich zum neuen Chef seiner Partei wählen zu lassen – dem fünften binnen zehn Jahren.
Unter normalen Umständen wäre die Kür ein Formalakt. Nach dem Abgang von Reinhold Mitterlehner braucht die ÖVP einen neuen Obmann, und wohl kaum jemandem in der Partei fällt ein geeigneterer Kandidat ein als Kurz. Doch der Favorit will sich nicht mir nichts, dir nichts einspannen lassen – sondern unter allen Umständen verhindern, was Mitterlehner und so vielen anderen Parteichefs davor zum Verhängnis wurde: dass ihm ständig Störenfriede von außen in die Politik dreinreden.
Die Garantie, dass dies künftig nicht passiert, wollte sich Kurz am Sonntagnachmittag abholen. Da versammelten sich in der Parteiakademie Landeshauptleute, Chefs der VP-Teilorganisationen und all jene anderen Machthaber, die aus der ÖVP ein so schwer steuerbares Gebilde machen. Der 30-Jährige verlangte nichts Geringeres, als dass ihn die Granden zum mächtigsten Obmann der Geschichte erheben.
Ob der Wille des Außenministers geschehen solle, beriet der Parteivorstand ab 16 Uhr. Das Ergebnis stand bei Redaktions- schluss dieser Ausgabe formell noch nicht fest, war aber absehbar: Ein Vorstandsmitglied nach dem anderen hatte Kurz im Vorfeld die „volle Unterstützung“zugesichert.
Dabei hatte Kurz an die Parteifreunde sieben Forderungen gestellt (siehe Kasten rechts). Die erste davon läuft darauf hinaus, dass sich die Partei nach außen hin dezent im Hintergrund halten soll. Der Chef in spe will zwar de facto mit der und für die ÖVP antreten, sich aber unter dem Label einer „eigenständigen“Liste präsentieren. Diese soll wie folgt heißen: „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“.
Hintergrund: Kurz glaubt daran, dass er bei der nächsten Wahl Erster werden kann. Wie der große Rückstand in den Umfragen nahelegt, ist dies allerdings schwer, wenn er nur auf die ÖVP als Basis vertraut. Ihm schwebt deshalb eine breitere Bewegung vor: Seine Liste soll auch von Aktivisten ohne Parteibuch gestützt werden.
Machtgefüge im Wanken
Da ist es logisch, dass Kurz weitreichende Personalhoheit verlangt. Nicht mehr der Vorstand, sondern der Bundesobmann allein soll die Bundesliste jener Kandidaten, die in den Nationalrat einziehen sollen, bestimmen. Selbst bei der Erstellung der Landeslisten will der Frontmann das letzte Wort haben – per Vetorecht. Bei Koalitionsverhandlungen, inhaltlichen Vorgaben sowie der Nominierung von Generalsekretär und Regierungsteam soll ebenfalls gelten: freie Hand für den Bundesparteiobmann.
Diese Durchgriffsrechte bringen das Machtgefüge in der ÖVP ins Wanken. Laut Status quo bedürfen die wichtigen Entscheidungen des Beschlusses des Parteivorstandes – und der ist so konzipiert, dass die Bundespartei nicht die Mehrheit der Mitglieder besetzt. Auch die Erstellung der Wahllisten ist ein entscheidender Hebel für die Landeschefs, Einfluss auf die Bundespolitik auszuüben: Im Ernstfall lässt sich drohen, dass die „eigenen“Abgeordneten im Parlament einem Gesetz nicht zustimmen.
Dennoch erhielt Kurz vonseiten der „Landesfürsten“noch vor der entscheidenden Sitzung positive Signale. So mancher werde schon „Bauchweh“haben, sagte der Steirer Hermann Schützenhöfer als Erster, rechnete aber mit breiter Unterstützung im Vorstand: Man müsse Kurz Gestaltungsspielraum zugestehen. Dass dabei die innerparteiliche Demokratie unter die Räder komme, sehe er ebenso wenig wie einen Erpressungsversuch durch Kurz: „Es wäre beängstigend, wenn einer kommt und sagt, es soll alles beim Alten bleiben.“
ÖVP ohne Alternative
Ähnlich der Tiroler Günther Platter: „Kurz hat klare Vorstellungen, wie er die Partei modernisieren und erfolgreich in die Neuwahl führen will.“Dem schlossen sich in der Folge nicht nur etliche andere Landeschefs an, sondern auch die großen Teilorganisationen: Wirtschafts-, Bauern- und Seniorenbund sowie der Arbeiterund Angestelltenbund ÖAAB versicherten ihre Unterstützung.
Was die Verhandlungsposition der schwarzen Machtträger von vornherein schwächte: Während es für den jugendlichen Kurz möglicherweise nicht die letzte Chance ist, nach der Kanzlerschaft zu streben, steht die ÖVP ohne echte Alternative da. Lässt sie der Hoffnungsträger hängen, droht bei der nahenden Wahl der Absturz.
Eine gute Position für Kurz, Maximalforderungen zu stellen. Mit verbalen Bekenntnissen allein wollte er sich nicht begnügen. Letzter Punkt in seinem Katalog: Alle Zugeständnisse müssen schwarz auf weiß festgeschrieben werden.