„Es ist die einzige Chance für eine Runderneuerung“
Letzte ÖVP-Generalsekretärin mit einem schwarzen Kanzler, über die Neuerfindung der Volkspartei, Sebastian Kurz’ „durch und durch“vernünftige Bedingungen und unnötige Wehleidigkeit. Falls er Kanzler wird, erwarte ich auch, dass er immer sehr sorgsam mit d
Maria Rauch-Kallat,
STANDARD: Sebastian Kurz will die ÖVP ganz oder gar nicht, alles umbauen oder nichts. Ist die Volkspartei 71 Jahre nach ihrer Gründung am Ende ihrer Geschichte? Rauch-Kallat: Nein, das glaube ich nicht, weil Sebastian Kurz bewegt sich auf den Werten der Österreichischen Volkspartei. Er kommt aus dieser Gruppierung und ist jetzt aufgrund der Ereignisse der letzten Jahre sehr rasch in eine Spitzenposition gerückt.
Standard: Fakt ist aber, dass er so gut wie alles über den Haufen werfen will – würden Sie allen seinen sieben Forderungen zustimmen? Rauch-Kallat: Ja, uneingeschränkt. Es ist die einzige Chance, die ÖVP wirklich einer Rundumerneuerung, die sie dringend notwendig hat, zu unterziehen, und es ist klug von ihm, Bedingungen zu stellen und nicht zu verlangen, dass ihn jeder wählt, wie früher viele Parteiobleute, die gesagt haben, sie machen es nur, wenn sie einstimmig gewählt werden. Seine sieben Bedingungen sind durch und durch vernünftig.
STANDARD: Anlässlich des 65-Jahr-Jubiläums der ÖVP sagten Sie 2011 in einem STANDARD- Interview: „Die Teilorganisationen sind, was die Organisationskraft anbelangt, durchaus wichtig. Aber es müsste das Primat der Bundespartei vor Ländern und Bünden absolut gelten. Wir haben wirklich das Problem, dass einzelne Gruppen den Bundesparteichef erpressen, und das darf nicht sein.“Wer ist das größere Problem: Länder oder Bünde? Rauch-Kallat: Bünde und Länder sind gleich schwierig. Umso wichtiger finde ich es, dass Kurz die Listen bestimmen kann. Gewisse Durchgriffsrechte zu haben ist sehr wichtig, vor allem auf die Landeslisten. Wenn Kanzler Christian Kern in der Pressestunde sagt, es geht nicht nur um Personen ... Natürlich geht’s auch um Personen, letztendlich machen diese Personen ja Politik. Es geht nicht nur um die Person an der Spitze, sondern auch um die Personen in den Gremien, gesetzgebenden Körperschaften und Ministerien. Auch das Reißverschlusssystem finde ich großartig, wenngleich es nicht neu ist. Wir hatten den ersten Beschluss zum Reißverschlusssystem in der Wiener Landespartei, ein Antrag, den ich 1989 am Parteitag eingebracht habe und der eine Mehrheit gefunden. Die ÖVP Wien hat sich nur nie daran gehalten. Wenn es Kurz gelingt, das in der Partei durchzusetzen, dann hat er wirklich etwas geschafft.
STANDARD: Aus der ÖVP soll die „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“werden. Schmerzt es Sie, dass die ÖVP dann nicht mehr auf dem Wahlzettel stehen würde? Rauch-Kallat: Wenn er damit Mehrheiten schaffen kann, ist das absolut legitim. Es schmerzt nicht. Man soll nicht irgendwelchen Namen nachhängen. Die ÖVP hat früher einmal Christlichsoziale Partei geheißen. Das sind Äußerlichkeiten, auf die kommt’s nicht an. Es kommt auf die Inhalte an – und wer die Politik bestimmt.
STANDARD: Wolfgang Schüssel, der letzte ÖVP-Kanzler, hat vieles, was Kurz jetzt will, etwa die inhaltliche Linie der Partei vorzugeben, ohne schriftliche Unterwerfungsgesten der Länder und Bünde, geschafft – kraft seiner Persönlichkeit? Rauch-Kallat: Wolfgang Schüssel hat es erst 2002 geschafft, nach seinem großen Wahlsieg. Jeder, der es schafft, einen Wahlsieg einzufahren, und zwar einen so entscheidenden, nach 36 Jahren wieder stimmenstärkste Partei zu werden, hat natürlich Freiheiten. Das hat Sebastian Kurz noch nicht gemacht, und ich finde auch sehr legitim, dass er sagt, er habe sich noch nie einer Wahl gestellt, auch Christian Kern nicht, daher sei es sinnvoll, sich die Legitimation des Wählers zu holen. Man soll nicht so wehleidig sein und sagen, es sind erst vier Regierungsjahre. Bis vor zwei Wahlen waren vier Jahre die normale Legislaturperiode, und im Herbst sind vier Jahre um.
Standard: Ist das entscheidende Erfolgskriterium für Sebastian Kurz, dass er das Kanzleramt wieder für die ÖVP zurückerobert? Rauch-Kallat: Natürlich wäre das schön. Jede Partei, die antritt, muss den Anspruch haben zu siegen. Je stärker sie wird, desto leichter kann sie Dinge umsetzen. Aber ich erwarte dann auch, dass er, wenn er das Kanzleramt zurückerobert, immer sehr sorgsam mit dem Koalitionspartner umgeht und versucht, die Regierung wirklich zu einer Einheit zu machen – da war Wolfgang Schüssel ein großartiges Beispiel. Das ist in der letzten Regierung nicht gelungen.
Standard: Für eine Absolute wird es vermutlich auch für Kurz nicht reichen. Fürchten Sie sich vor einer Neuauflage von Schwarz-Blau? Rauch-Kallat: Ich fürchte mich vor nichts. Ich habe keinerlei Funktion mehr in der ÖVP, fühle mich ihr aber nach wie vor verbunden und auch verpflichtet, weil ich ein Leben lang für die Werte der ÖVP gekämpft habe, manchmal auch an ihr gelitten. Eine Koalitionsregierung ist immer eine Frage des Willens und auch des Geschicks. Die sechs Jahre unter Kanzler Wolfgang Schüssel, auch wenn’s Schwarz-Blau war, waren nicht die schlechtesten für Österreich, ganz im Gegenteil. Da ist sehr viel weitergegangen, Stichwort Pensionsreform zum Beispiel. Aber das letzte Wort haben die Wählerinnen und Wähler.
MARIA RAUCH-KALLAT (68) war u. a. bis 1994 Umwelt-, Jugend-, Familienministerin, ihre acht Jahre als ÖVP-Generalsekretärin krönte sie 2002 mit einem Wahlsieg. Von 2003 bis 2007 war sie Gesundheits- und Frauenministerin im Kabinett Schüssel, bis 2008 Abgeordnete, bis 2010 Chefin der ÖVP-Frauen. Heute ist sie Unternehmensberaterin.