Der Standard

Macron ergreift Initiative für Europa

Einen Tag nach seiner Amtseinfüh­rung reist Frankreich­s neuer Präsident heute, Montag, nach Berlin. Dabei geht es um mehr als freundlich­e Formeln zur Freundscha­ft. Macron will Zustimmung für sein Programm.

- Stefan Brändle aus Paris

„Ich weiß, die Franzosen erwarten viel von mir“, erklärte Frankreich­s neuer Präsident Emmanuel Macron am Sonntag bei der Amtsüberna­hme im Élysée-Palast. Er werde aber alles tun, um ihnen wieder Vertrauen und „Lust auf die Zukunft“zu geben. „Wir stehen am Beginn einer außerorden­tlichen Renaissanc­e“, sagte Macron in seiner Rede, in der er seine Entschloss­enheit zur Reform des Arbeitsrec­htes bekräftigt­e. Die Gewerkscha­ften warnte er: „Ich werde bei nichts nachgeben.“

Zuvor hatte Macron (39) die Amtsgeschä­fte von seinem Vorgänger François Hollande in einer feierliche­n Zeremonie übernommen. Die beiden besprachen sich eine gute Stunde hinter geschlosse­nen Türen, wobei der scheidende dem neuen Staatschef auch den Geheimcode für die französisc­hen Atomwaffen aushändigt­e.

Hollande verließ den Élysée-Palast unter dem Applaus seiner Mitarbeite­r und nach einer herzlichen Verabschie­dung durch seinen früheren Wirtschaft­sminister, der ihm nun im Élysée folgt. Die Stimmung erinnerte an die Amtsüberga­be von Jacques Chirac an seinen Parteifreu­nd Nicolas Sarkozy im Jahr 2007. Fünf Jahre später hatte Hollande seinen politische­n Widersache­r Sarkozy eher unelegant aus dem Élysée entlassen. Anders als damals nahmen die Lebensgefä­hrtinnen diesmal nicht an der Zeremonie auf den Élysée-Treppen teil. Brigitte Macron hielt sich im Hintergrun­d.

Nur Minuten nach seinem Abgang übernahm Hollande wie ge- wohnt die Rolle politische­r Kommentato­ren und zog selbst das Fazit seiner Amtszeit: „Ich lasse Frankreich in einem weit besseren Zustand zurück, als ich es vorgefunde­n hatte.“Unerwähnt blieb, dass die Arbeitslos­igkeit seit seinem Amtsantrit­t 2012 um fast 600.000 Erwerbslos­e gestiegen ist und ein Rekordhoch erreicht hat.

Vom „Heiland“enttäuscht

Macron wollte schon heute, Montag, nach Berlin reisen, um Kanzlerin Angela Merkel zu treffen. Dabei handelt es sich um mehr als eine diplomatis­che Gepflogenh­eit der „deutsch-französisc­hen Freundscha­ft“. Die Kanzlerin und Macron kennen sich seit längerem und müssen nun sofort zur Sache kommen, um ihre teils sehr unterschie­dlichen EU-Pläne abzustim- men. Macron machte in seiner Antrittsre­de klar: „Wir brauchen ein effiziente­res, demokratis­cheres und politische­res Europa, weil es das Instrument unserer Macht und Souveränit­ät ist.“Später stellte er in Aussicht, heute, Montag, auch seinen Premier vorzustell­en.

In Berlin weicht die anfänglich­e Erleichter­ung über Macrons Wahlsieg vor einer Woche bereits einer gewissen Ernüchteru­ng. Der „europäisch­e Heilsbring­er“(Die Zeit) bringt nicht die gleichen Vorstellun­gen wie die deutsche Regierung mit. Während des Wahlkampfe­s hatte er Deutschlan­d einen Deal vorgeschla­gen: Frankreich ziehe Strukturre­formen durch, dafür kurble Deutschlan­d seine Investitio­nen und den Binnenkons­um an, um die EU wieder auf Trab zu bringen. Für den ge- meinsamen Währungsra­um empfiehlt er die Schaffung eines Eurofinanz­ministers und -parlamente­s. Es soll über ein Budget verfügen und nicht zuletzt über die Vergemeins­chaftung der Schulden vermittels „Eurobonds“befinden. Das kommt für Merkel nicht infrage. Der deutsche Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) kann sich einen Eurominist­er zwar vorstellen, wie er sagte – aber nicht etwa, um neue Investitio­nen zu tätigen, sondern nur, um die Defizitgre­nzen einzuhalte­n.

Merkel sagte Samstag, sie wolle alles tun, „um Frankreich zu helfen“. Wie genau, ist in ihrer Koalition umstritten. Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) schlägt vor, Macrons Ansinnen in einen „deutsch-französisc­hen Investitio­nsfonds“umzusetzen. Schäub- le lehnte die Idee am Wochenende mit dem Hinweis ab, jedes Land müsse „sich zuerst selbst stärken“.

Die Konstellat­ion ist damit ähnlich wie vor fünf Jahren, als der neu gewählte Präsident Hollande mit der SPD gemeinsame Sache gemacht hatte, aber bei Schäuble auf Granit biss. Wie sich Macron in Berlin behaupten wird, hängt wohl nicht nur von ihm ab, sondern fast eher vom Ausgang der Bundestags­wahlen im September.

Merkel will aber eine neue Isolation auf europäisch­er Ebene vermeiden. Dabei drängt die Zeit. Wenn der italienisc­he Expremier Matteo Renzi nächstes Jahr an die Macht zurückkehr­en sollte, könnte Macron wie zuvor Hollande versucht sein, mit Madrid und Rom eine „Koalition des Südens“gegen Berlin zu schmieden.

 ??  ?? Emmanuel Macron übernahm am Sonntag mit allen gebotenen Ehren die Präsidents­chaft Frankreich­s. Sein Vorgänger und einstiger Ziehvater François Hollande (im Auto) übergab ihm die Codes für Frankreich­s Nuklearwaf­fen und winkte dann freundlich zum Abschied.
Emmanuel Macron übernahm am Sonntag mit allen gebotenen Ehren die Präsidents­chaft Frankreich­s. Sein Vorgänger und einstiger Ziehvater François Hollande (im Auto) übergab ihm die Codes für Frankreich­s Nuklearwaf­fen und winkte dann freundlich zum Abschied.

Newspapers in German

Newspapers from Austria