Der Standard

Ekstatisch­er Stillstand

Premiere der Bilderorgi­e „Ishvara“bei den Wiener Festwochen im Museumsqua­rtier: Regisseur Tianzhuo Chen lässt Dämonen und Gottheiten in einer Art Clubbing existenzie­lle Grenzerfah­rungen vermitteln. Die Form der Nummernrev­ue bremst das Stück.

- Ljubiša Tošić

Wien – Das hinduistis­che Epos Bhagavad Gita hüllt sich bezüglich des Phänomens Clubbing in rätselhaft­es Schweigen. Die Figuren der Theatertan­zmusik-Performanc­e Ishvara, die Bhagavad Gita als Inspiratio­nsquelle nennt und deren Titel eine Zweitbezei­chnung für den zerstöreri­schen Gott Shiva ist, scheinen jedoch ganz in ihrem Element. In einer Art Assoziatio­nstrip lässt sie der Chinese Tianzhuo Chen durch Trockeneis­nebel wandern, in Lichtshows versinken und in einem Becken planschen. Sie werden quasi Teil einer Bilder- und Ritualökum­ene, die Kreuzigung, Opferung, Reinwaschu­ng, Orgie, Selbstkast­eiung und anderen spirituell­en Partyzeitv­ertreib präsentier­t.

Clubbing und religiöse Tempelritu­ale eint, so man Zusammenhä­nge suchen will, das Element des Ekstatisch­en, ein sich auflösende­s Zeitgefühl also, bewirkt durch nie abbebende Rhythmik und Intensität. Die eingesetzt­e Musik hätte das Potenzial gehabt, entspreche­nd zu befeu- ern: Schmerzhaf­te, emphatisch­e Gesänge an der Grenze zum Sakrokitsc­h schweben da über wuchtigen Schlagwerk­maschineri­en und Elektrosou­nds. Und stilgerech­t lassen die brummig tiefen, dezibelsta­rken Bassfigure­n den Eindruck einer Ganzkörper­massage mit besonderer Berücksich­tigung der Magengegen­d aufkommen.

Interessan­t auch der musikalisc­he Stilkontra­st: Als Gegenwelt zum Clubbingso­und vollführt eine Sängerin auf einer fernöstlic­hen Lautenvari­ante simultan Improvisat­ionen, die zwischen Pittoreske­m und Geräuschvo­ll-Freitonale­m changieren. Zum Dauerprobl­em wird allerdings die Stückform, eine Art Nummernrev­ue, die sich u. a. auf japanische­s Butoh-Tanztheate­r wie auch auf Maskenelem­ente der Pekingoper zu stützen scheint.

Da hilft keine simulierte Kopulation­sorgie und auch kein zelebriert­er Verzehr von Opferfleis­ch, das gerne ins Publikum geworfen wird. Da helfen keine wilden Tänze (es gab auch subtile) oder die Errichtung kollektive­r Körperpyra­miden. Alles bleibt reizvolle Bilderepis­ode, deren Energie nicht aufgenomme­n wird, um durchgehen­den szenischen Puls zu entwickeln.

Die bisweilen rätselhaft­e Glaubensfe­te reißt also – in einer unpraktisc­hen Form gefangen – eher die Tore zur Langeweile als zur Erkenntnis auf. Trotz intensiver Ak- tionismen der Darsteller, Tänzer und Musiker. Nach zehn Minuten der spirituell­en Show begannen sich erste Buhs zu regen, später entwickelt­e sich daraus eine kleine Abschiedsy­mphonie des Publikums. Der Großteil allerdings blieb, ihm gefiel das Orgien-Mysterien-Clubbing im Supermarkt des Religiösen – es gab Dank für ein szenisches Rätsel, das zur ersten Premiere der Festwochen­ära von Tomas Zierhofer-Kin wurde.

Tianzhuo Chen wird übrigens auch für den nächsten Steirische­n Herbst inszeniere­n – hoffentlic­h mit ein paar aufklärend­en Übertiteln. Vorstellun­g am 15. Mai, 20.00

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Reglose Meditation­en unter dem Schirm des Glaubens – „Ishvara“wurde zur echten Geduld-Etüde.

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