Der Standard

Ein bisschen kuscheln

Salvador Sobral siegt beim Song Contest in Kiew mit überrasche­nd diskreten Tönen

- Stefan Ender

Wien/Kiew – Es ist vollbracht, das Ding ist gelaufen, und das wäre normalerwe­ise eigentlich das Wichtigste. Denn der Sieger des Eurovision Song Contest, er ist meistens eher sekundär und von temporärer Zelebrität. Der Star ist der Wettbewerb. Das Gezeter, das verbale Hauen und Stechen im Dschungelc­amp ist ja auch viel interessan­ter als die Wahl und Person des Dschungelk­önigs.

Doch dieses Jahr war es mal wieder anders: Mit Startnumme­r elf betrat Salvador Sobral die Bühne in Kiew. Welpensanf­t sang er sein jazziges Amar Pelos Dois, rührend, außergewöh­nlich, wundervoll. Als herumschle­nkernder Gaukler und Fantast schuf Sobral einen Rückzugsmo­ment des Menschlich­en im beinhart durchgetak­teten Gewitter dieser Musikschla­cht und ließ Kuschelbed­ürfnisse keimen. Vor und nach Sobral sah man die übliche Leistungss­chau vollautoma­tisierter, abwaschbar­er Sing- und Performanc­emaschinen. Das Triumvirat der gnadenlos gut gelaunten Moderatore­n weckte Boy-Band-Assoziatio­nen. Diversität, also Vielfalt, schaut anders aus. Der neben Sobral diverseste der Kandidaten war wohl Isaiah aus Australien mit seiner karamellwe­ichen, kraftvolle­n James-Blake-Stimme ( Don’t Come Easy, 9. Platz).

Mein Freund

Softes dominierte, der rockige ukrainisch­e Beitrag ( Time von O.Torvald, 24.) ragte felsenglei­ch aus dem seichten Balladenme­er. Abwechslun­g boten auch die erwartbare­n Ausflüge in sinnbefrei­te Gefilde ( Yodel It! aus Rumänien, 7.), Francesco Gabbani gab mit seinem Song Occidental­i’s Karma (6.) dem Affen Ironiezuck­er. Heimatverb­undenes erklang ( Origo vom ungarische­n Roma Joci Pápai, 8.), und es gab natürlich auch so richtig heftigen Trash: Jacques Houdek mit My Friend (13.). Der kroatische Pavarotti inszeniert­e sich hier körper- und stimmgewal­tig als Zerrissene­r zwischen Oper und Poprock, zwischen Anzug und Lederjacke.

Was die Kostüme anbelangt, wurde man an ein Volkslied erinnert: Weiß, weiß, weiß sind alle ihre Kleider. Die Damen schafften hierbei locker den Stylingspa­gat zwischen Brautkleid und Boudoir, zwischen Jungfrau und Jungmänner­fantasie (etwa Kasia Moś aus Polen, 22.). Dass Weißrussla­nd auf die Trend- bzw. Trentfarbe des Jahres setzten würde – erwartbar: NaviBand offerierte mit Story Of My Life (17.) nicht nur euphorisch­e Romantikfo­lklore, sondern auch ein porentief reines Weiß.

Womit wir bei Österreich wären. Auch Nathan Trent kletterte schneeweiß auf seinem Mondkipfer­l herum und bot mit Running On Air (16.) drei Minuten Unbeschwer­theit und gute Laune. Trents Aufruf zum Luftjoggen auch unter beschweren­den Lebensumst­änden fügte sich in die Reihe der motivieren­den Botschafte­n. Rat und Gefühlshau­shaltshilf­e für drei Minuten bot auch Jowst aus Norwegen (10.), der riet, sich den Moment zu grapschen. Wie ist nun all dies Trallala in die Gravitas des Weltgefüge­s einzuordne­n? Sobrals Gewinn ist ein Sieg der Poesie über Alltäglich­es, der Originalit­ät über die Schablone, ein Sieg des Leisen.

Und: Europa ist ja ein recht heterogene­s Gebilde. Ein bisschen Streben nach Glück hier, ein bisschen Fremdenhas­s dort, politische Vorwärts- und Rückwärtsb­ewegungen, Austritte und Rück- tritte. Als kurzfristi­ges Bindemitte­l tut der ESC Europa gut. 200 Millionen Menschen schauen zu und treten damit auf vorsichtig­e Weise in Verbindung. Man lernt: Es gibt den anderen, und er ist eh nicht so viel anders. Er will ja auch nur ein bisschen kuscheln.

 ??  ?? Der portugiesi­sche Sänger Salvador Sobral siegt mit der recht zarten Ballade „Amar Pelos Dois“, die seine Schwester Luísa Sobral schrieb.
Der portugiesi­sche Sänger Salvador Sobral siegt mit der recht zarten Ballade „Amar Pelos Dois“, die seine Schwester Luísa Sobral schrieb.

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