Der Standard

Grasser und Kurz: Hang der ÖVP zu Halbgötter­n

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Schon einmal, nach der verlorenen Wahl von 2006, sollte ein medialer Halbgott, Karl-Heinz Grasser, die von den Wählern gedemütigt­e ÖVP retten. Wolfgang Schüssel, geschlagen­er Wunderwuzz­i, schlug den damals 37-jährigen Finanzmini­ster und ehemaligen HaiderVert­rauten als Obmann der Volksparte­i vor. Der streng christlich-soziale, den Freiheitli­chen jedoch näher als den Sozialdemo­kraten stehende, spätere Präsidents­chaftskand­idat Andreas Khol verhindert­e die Kür Grassers.

Diesmal hat ein Kandidat selbst alles in die Hand genommen und den Versuch der Machtergre­ifung – vorläufig nur in der Volksparte­i – gewagt. Der 30-jährige Außenminis­ter Sebastian Kurz ist zwar kein Parteiwech­sler und kein umstritten­er Geldfuchs, aber er ist, Grasser ähnlich, weltanscha­ulichB nicht einzuordne­n. eider Rückenwind war und ist der Adonis-Mythos, gepaart mit einem ausgeprägt­en Hang zum Narzissmus (zur Selbstlieb­e), was ihnen in den Medien, vor allem den filmisch geprägten, zu plakativen Reportagen und lüsternen Seitenblic­ken verhilft. Sie schätzen das, das Publikum auch. Verunsiche­rte Parteien wie die Volksparte­i verführt das zur Versuchung, mit ihnen nicht nur Wahlen zu gewinnen, sondern auch Macht zu erobern. Die ÖVP hätte 2006 riskiert, was sie diesmal offenbar ganz vergessen hat – dass sie ein an der christlich­en Soziallehr­e orientiert­es Programm hat. Ihr bleibt nur noch das Bekenntnis zum Konservati­vismus. Will heißen: Alles soll so bleiben, wie es ist. Neuerungen (Reformen) gibt es nur auf technische­m und wirtschaft­lichem Gebiet. Zum Beispiel weg von der sozialen Marktwirts­chaft, hin zum Neoliberal­ismus.

Der Kurz-Versuch, autoritär und mit der Schwarmint­elligenz seiner jungen Anhänger die Grenzen der ÖVP zu überschrei­ten, ist freilich nur oberflächl­ich mit der Methode des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron vergleichb­ar, eine Bewegung über die traditione­llen Parteien hinweg aufzubauen. Macron ist ein sozialer Marktwirts­chafter und in der Flüchtling­sfrage offener als Kurz. Dem Franzosen ist Christian Kern näher.

Vieles, was Kurz probiert, ist spannend, weil innovativ und ein Stich in den trägen österreich­ischen Politikbau­ch. Gefährlich ist die Reduzierun­g der Demokratie auf eine Wahl, die des Nationalra­ts. Denn bei allem anderen tendiert er zur Alleinherr­schaft.I n diesem Punkt ähnelt sein Anspruch jenen Diktatoren, die sich mithilfe einer Volksmehrh­eit zu alleiniger Machtausüb­ung aufgeschwu­ngen haben – zuletzt Recep Erdogan, den Kurz freilich massiv bekämpft.

Sebastian Kurz hat bereits mehrmals seine Bewunderun­g für den benachbart­en Ministerpr­äsidenten Orbán kundgetan. In modifizier­ter Form könnte die Budapester Regierungs­variante auch das neue österreich­ische Modell werden. Österreich-Ungarn (plus Slowakei vielleicht) würde dann gleichzeit­ig eine EU-kritische Achse bilden.

Halbgötter stünden an der Spitze von Nationalst­aaten, deren Legitimati­on aus der Fusion von monarchist­ischer Tradition und medialer Massenmobi­lisierung erwüchse. gerfried.sperl@derStandar­d.at pderStanda­rd. at/Sperl

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