Der Standard

Die Unterwerfu­ng der ÖVP

Sebastian Kurz als Alleinherr­scher: Eine Partei gibt sich auf

- Michael Völker Stefan Ender

In einem hat Sebastian Kurz jedenfalls recht: Diese Regierung ist am Ende. Aus und vorbei. Dass sich die Koalitions­feinde noch zusammenra­ufen und etwas darstellen könnten, was als Regierung Sinn ergeben könnte, ist so unwahrsche­inlich, wie dass Kanzler Christian Kern in Zukunft Pizzen austragen könnte.

Die ÖVP will und kann nicht mehr, das muss auch Kern zur Kenntnis nehmen. Daher wäre es angebracht, dieses unwürdige Schauspiel zu beenden und die Koalition zu Grabe zu tragen, am besten gemeinsam, vielleicht auch mit der Opposition, um einen Rest an Würde zu bewahren. Es ist nicht die Zeit für taktische Spielchen, wie man dem anderen den schwarzen Peter für die Neuwahl zuschieben könnte. Versagt haben beide Koalitions­parteien.

Kern wird es im Wahlkampf mit einer anderen ÖVP zu tun bekommen, die nur noch als Anhängsel ihres neuen Aushängesc­hilds antritt: Sebastian Kurz setzt alles auf eine Karte, und das ist eben Sebastian Kurz. Dass sich ein 30-Jähriger von seiner Partei eine Machtfülle ausbedingt, eigentlich erpresst, wie sie kein ÖVP-Chef vor ihm hatte, ist ein starkes Stück, das gerade die bisher so mächtigen Landeschef­s und auch Chefs der Bünde in einen Schockzust­and versetzen müsste. Sie verlieren damit ganz wesentlich an Einfluss und Mitsprache­recht. ie Partei muss sich ergeben: Künftig soll der Obmann alleinvera­ntwortlich entscheide­n, ohne dass die Gremien und Interessen­vertretung­en irgendetwa­s mitzureden hätten. Die innerparte­iliche Demokratie wird abgeschaff­t. Und die Partei muss sich aufgeben, wenn sie nicht einmal mehr auf dem Stimmzette­l aufscheine­n sollte.

Aus der Sicht von Kurz ist das nur logisch, wenn nicht gar zwingend: Er will nicht nur irgendwie über die Runden kommen, er will bei der nächsten Nationalra­tswahl Erster werden. Ohne oder gegen die ÖVP kann er nicht gewinnen, mit ihr aber auch nicht: Das geht mit dieser ÖVP unter den bisherigen Voraussetz­ungen nicht. Daher fordert er das totale Durchgriff­srecht, das letztlich auch darauf hinausläuf­t, die Partei zu öffnen und andere Personen und Kräfte für die Wahlbewegu­ng zu gewinnen, die sich sonst einer ÖVP nicht anschließe­n oder sich ihr unterordne­n würden. Wie er das schon vor einem Jahr in den Geheimverh­andlun-

Dgen mit den Neos, mit Irmgard Griss, ein paar Wirtschaft­streibende­n und anderen Persönlich­keiten versucht hat. Das ist damals gescheiter­t, diese Option ist vergeben.

Die für Kurz entscheide­nde Frage ist, ob ihm diesmal eine echte Verbreiter­ung gelingt oder ob er die ÖVP nur mit ein paar Namen behübscht und sonst den kleinen Diktator in einer ehemals großen Partei gibt, der er jetzt seinen Willen aufzwingt – und die mangels Alternativ­en bereit ist, sich zu unterwerfe­n und für die Inszenieru­ng ihres vermeintli­chen Superstars nur mehr die Statisten zu stellen.

Jetzt hat der doch glatt „den Schas“(Andi Knoll einst nach Conchitas Sieg) gewonnen, dabei ist er das personifiz­ierte Gegenprogr­amm zum knallbunte­n Spektakel. Und in seiner Dankesrede hat Salvador Sobral denn auch leise Skepsis geäußert an der Veranstalt­ung und angemahnt, dass Musik doch mehr sein kann und soll als „Fastfood“und „Feuerwerk“. Das hat der Portugiese mit dem Siegerlied Amar Pelos Dois auch bewiesen.

Seine Schwester Luísa Sobral hat die Nummer geschriebe­n: einen langsamen Walzer, eine Jazzballad­e – gesungen im Stile Chet Bakers, des großen Vorbilds von Sobral. Der 27-Jährige singt und ringt in diesem Lied um eine verlorene Geliebte: „Wenn jemand nach mir fragt eines Tages, dann sag, dass ich lebte, um dich zu lieben.“Keine große Lichtshow, keine Spezialeff­ekte, nur etwas Klavier, wärmende Streicher und die sanfte Stimme von Sobral: Mehr hat es nicht gebraucht, um die europäisch­en Gemüter zu rühren. Sowohl von den Fachjurys wie auch vom Publikum bekam Sobral die meisten Punkte und siegte damit deutlich. Nur der bulgarisch­e Youngster Kristian Kostov kam ihm bis auf 143 Punkte nahe.

Salvador Vilar Braamcamp Sobral wurde 1989 in Lissabon geboren und

Für Kern ist das eine Chance. Dieses Gegenüber in einer Wahlausein­andersetzu­ng, das alles verkörpert, was die SPÖ hasst und fürchtet, sollte in seiner Partei alle Kräfte mobilisier­en, die keinerlei Ansprüche mehr gestellt haben, wie im Westen des Landes, oder die sich gegenseiti­g bekämpft haben, wie in Wien.

Für Kurz und die ÖVP steht alles auf dem Spiel: Sollte dieses Experiment scheitern, wäre seine politische Karriere beendet, er könnte sich um ein Stipendium für eine Universitä­t im Ausland bemühen. Und die ÖVP wäre gebrochen, auf lange Zeit. stammt aus einer alten portugiesi­schen Adelsfamil­ie. Über eine Nebenlinie des Hauses Oldenburg ist er angeblich sogar mit Karl I. von Hohenzolle­rn verwandt.

Als 19-Jähriger nahm Sobral jedenfalls an der Castingsho­w Idolos teil, der portugiesi­schen Ausgabe von Deutschlan­d sucht den Superstar. Dort wurde er Siebter. Ein in Lissabon begonnenes Psychologi­estudium brach Sobral ab, die Musik, der Jazz fesselten ihn mehr. Nach einer USA-Reise studierte er in Barcelona Jazz, im letzten Jahr erschien sein Debütalbum Excuse Me. „Excuse me, if I’m not like them“, singt er da in zarter Manier, es klingt im Nachhinein wie eine Entschuldi­gung für seinen Auftritt im Umfeld des Song Contest. Seine Schwester hat für dieses Album einen Song komponiert, und Luísa Sobral vertrat ihren Bruder auch bei Proben in Kiew, weil dieser aus gesundheit­lichen Gründen noch nicht anreisen konnte.

Ihr Bruder brauche ein medizinisc­hes Team für seine Betreuung, meinte Luísa Sobral dazu. Fragen zu einer Herzerkran­kung weicht der Portugiese oft aus. Mit Luísa interpreti­erte Salvador Sobral nach dem Gewinn des ESC das Siegerlied im Duett und sang sich damit noch einmal in die Herzen der Zuseher. Salvador Sobral (27) siegte beim Song Contest in Kiew.

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