Macron holt Bürgerlichen
Frankreichs neuer Premierminister heißt Édouard Philippe. Der bisher wenig bekannte Konservative ist eine taktische Wahl: Er soll die bürgerliche Rechte auf die Seite von Präsident Macron holen.
Frankreichs neuer Präsident Emmanuel Macron ernennt den bürgerlichen Bürgermeister von Le Havre, Édouard Philippe, zum Premier.
Nicht leicht, einem neuen Chef zu folgen, den man vor kurzem noch bekämpft hat. Aber Édouard Philippe (46) nimmt die Dinge gerne auf die leichte Schulter. Der nonchalante Bürgermeister der nordfranzösischen Hafenstadt Le Havre sei „ein echter Zentrist, humorvoll und sympathisch, mit Linken wie auch mit Rechten befreundet“, beschreibt ihn ein ehemaliger Studienkollege.
Philippe, Sohn eines Lehrerpaares, das zum Teil in Deutschland tätig war, ist zwar Mitglied der konservativen Republikaner; aber er absolvierte wie Emmanuel Macron die École Nationale d’Administration (ENA), die Kaderschmiede der französischen Politelite. „Sie gleichen sich in vielen Dingen – in ihrer Intelligenz, Kultur und der Sicht der Gesellschaft“, meint eine Parteifreundin Philippes. Im Wahlkampf schrieb er in einer Kolumne noch gegen Macron an: Dieser werde oft mit John F. Kennedy verglichen, doch fehle es ihm an Charisma.
Auch könne man nicht behaupten, dass er als Wirtschaftsminister „sehr viel bewegt hätte“. Sehr böse klang das mitnichten. In einem Zeitungsinterview erklärte Philippe sogar: „Macron denkt zu 90 Prozent wie ich.“Die intellektuelle Nähe ist allerdings nicht der einzige Grund, warum der politisch unabhängige Präsident den Konservativen zu seinem Premier gemacht hat. Es geschah auch, gerade weil Philippe den gegnerischen Republikanern angehört.
Bürgerliche Wähler
Der neue Staatschef braucht bei den Parlamentswahlen im Juni eine Regierungsmehrheit. Die moderate Linke hat er bereits auf seiner Seite, aber er muss auch bürgerliche Wähler anziehen. Macron wurde unlängst gefilmt, als er seinen Mitarbeitern erklärte: „Wir müssen jenen Teil der Rechten destabilisieren, der sich nicht in François Fillon wiedererkennt.“Also jene Fraktion der Republikaner, die dem gemäßigten Fillon-Widersacher Alain Juppé zuneigt. Das trifft sich gut: Philippe ist ein Parteigänger Juppés. Und für Macron ist er nun das Werkzeug zur Aushebelung der Républicains.
Während seiner Studienzeit hatte sich Philippe in der Sozialistischen Partei (PS) eingeschrieben. Als sein Vorbild, der sozialliberale Premier Michel Rocard, von seinem Intimfeind François Mitterrand ausmanövriert wurde, trat Philippe aber aus der Partei aus. Er wandte sich dem Konser- vativen Juppé zu, ohne ein strammer Parteigänger zu werden: Zweimal kehrte er der Politik vorübergehend den Rücken, um als Anwalt und dann als Manager des Atomkonzerns Areva zu amtieren.
Daneben schrieb der Fan von Coppolas Filmtrilogie Der Pate zusammen mit einem anderen Juppé-Vertrauten einen satirischen Politkrimi. Die Hauptperson ist der Berater eines Spitzenkandidaten, der gerade einen Primärwahlsieg errungen hat. In der Realität engagierte sich Philippe vor einem halben Jahr für Juppé im Primärwahlkampf der Republikaner – bloß verlor Juppé gegen Fil- lon. Philippe zog sich darauf wieder nach Le Havre zurück. Der Vater von drei Kindern, der Kampfsport betreibt, aber eine panische Angst vor Zahnärzten und Haifischen hat, hielt bisher bewusst Distanz zur Pariser Politik. Aber ein gutes Angebot lehnt der locker smarte ENA-Absolvent, der über seinen eigenen Ehrgeiz witzelt, auch nicht ab.
Macron in Berlin
Macron, der am Montag in Berlin die deutsche Kanzlerin Angela Merkel aufsuchte, hatte ihn schon vor mehreren Tagen als Premier angefragt. Die Republikanische Partei drückte ihr „Bedauern“über die „individuelle“Entscheidung Philippes aus. Im Bemühen, absprungbereite Wähler nicht vor den Kopf zu stoßen, sprach die Partei nicht direkt von Verrat. Etliche Kommentatoren verglichen den bürgerlichen Premier mit dem Sozialisten Bernard Kouchner, der 2007 vom konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy einen Ministerposten angenommen hatte.
Doch der Vergleich hinkt: Kouchner hatte den Sozialisten keinen direkten Wahlschaden verursacht. Philippe könnte die Republikaner hingegen um entscheidende Wählerstimmen bringen. Denn gerade im Juppé-Lager sind viele Konservative geneigt, Macron eine Chance zu geben und auf eine frontale Opposition zu verzichten – auch an den Wahlurnen. Philippe könnte zudem weitere Republikaner wie etwa den ehemaligen Sarkozy-Minister Bruno Le Maire in seine Regierung holen. Das wäre ein weiterer Schlag für die Rechte. Aber wie schrieb er doch in seinem Krimi: „Ein Apparatschik ist ein Krieger, der seinem Meister dient.“Seinem Meister, nicht seiner Partei.
Das Treffen des neuen französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel könnte viel mehr bedeuten als eine protokollarische Feierstunde der deutschfranzösischen Freundschaft. Es geht in Europa heute nicht mehr um „links gegen rechts“, sondern um ein demokratisches Europa gegen die autoritäre Versuchung, um Offenheit und Toleranz gegen Abschottung und Fremdenfeindlichkeit. Das Wunder Macron könnte in der Tat, wie die reißerische Schlagzeile der Spiegel- Geschichte lautet, „Europa retten“, wenn man auch die Unterstellung im zweiten Teil, „ … und Deutschland soll zahlen“, zu Recht zurückweist. Man muss daran erinnern, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble, der zweitwichtigste Politiker Deutschlands, vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen sagte: „Wäre ich Franzose, würde ich wohl A Macron wählen.“lle geschichtliche Erfahrung bestätigt es, dass man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen worden wäre.“Diese Worte Max Webers aus seiner oft zitierten „Politik als Beruf“-Rede, gehalten am 28. Januar 1919, charakterisieren auch den unglaublichen Erfolg des 39-jährigen Macron, der fünf frühere Präsidenten und Regierungschefs während seines Aufstiegs besiegt hat. Sein Sieg hat nicht nur Frankreich, sondern auch Europa vor einer Katastrophe gerettet. Ob nun seine Bewegung LRM (La République en Marche) bei den kommenden Parlamentswahlen eine Mehrheit erringen kann, hängt auch vom Verständnis und von der Hilfsbereitschaft der Bundeskanzlerin ab.
Angela Merkel befindet sich in einer außergewöhnlich starken Position nach der unerwarteten Siegesserie ihrer Partei. An ihrem 4192. Arbeitstag als Kanzlerin traf sie am Montag den vierten und wohl ungewöhnlichsten Präsidenten ihrer Amtszeit. Doch hängt ihre Zukunft von den Wahlen im September ab. In diesem Sinne geht es auch für die erfolgreichste deutsche Politikerin um eine Gratwanderung zwischen ihren proeuropäischen Überzeugungen und den innenpolitischen Realitäten, nämlich der Abneigung von 64 Prozent der Deutschen gegen Finanzhilfe für gemeinsame InvestitionenD mit Frankreich. ie Weichen für eine neue Initiative in der Europapolitik werden erst nach den deutschen Wahlen im September gestellt, aber eine Vorentscheidung fällt schon bei den französischen Parlamentswahlen im Juni. Eine der berühmtesten politischen Maximen Max Webers lautet: „Drei Qualitäten“vor allem machten den Politiker aus: „Leidenschaft, Verantwortungsgefühl, Augenmaß“. Angela Merkel kennt die Warnung Max Weber vor der Eitelkeit: „Die eitle Selbstbespiegelung in dem Gefühl der Macht, die Todfeindin aller sachlichen Hingabe und aller Distanz, in diesem Fall der Distanz sich selbst gegenüber.“Wird Macron den Mut zur Unpopularität haben und ungeachtet der Tagespolitik europäische Initiativen setzen? Der Beweis steht natürlich noch aus. Eine charismatische Führungspersönlichkeit in einer parlamentarischen Demokratie kann nur so lange die Widersprüche dieser Position aufheben, wie er (oder sie) sich durch Wunder und Erfolge „bewährt“.