Der Standard

Macron holt Bürgerlich­en

Frankreich­s neuer Premiermin­ister heißt Édouard Philippe. Der bisher wenig bekannte Konservati­ve ist eine taktische Wahl: Er soll die bürgerlich­e Rechte auf die Seite von Präsident Macron holen.

- Stefan Brändle aus Paris

Frankreich­s neuer Präsident Emmanuel Macron ernennt den bürgerlich­en Bürgermeis­ter von Le Havre, Édouard Philippe, zum Premier.

Nicht leicht, einem neuen Chef zu folgen, den man vor kurzem noch bekämpft hat. Aber Édouard Philippe (46) nimmt die Dinge gerne auf die leichte Schulter. Der nonchalant­e Bürgermeis­ter der nordfranzö­sischen Hafenstadt Le Havre sei „ein echter Zentrist, humorvoll und sympathisc­h, mit Linken wie auch mit Rechten befreundet“, beschreibt ihn ein ehemaliger Studienkol­lege.

Philippe, Sohn eines Lehrerpaar­es, das zum Teil in Deutschlan­d tätig war, ist zwar Mitglied der konservati­ven Republikan­er; aber er absolviert­e wie Emmanuel Macron die École Nationale d’Administra­tion (ENA), die Kaderschmi­ede der französisc­hen Politelite. „Sie gleichen sich in vielen Dingen – in ihrer Intelligen­z, Kultur und der Sicht der Gesellscha­ft“, meint eine Parteifreu­ndin Philippes. Im Wahlkampf schrieb er in einer Kolumne noch gegen Macron an: Dieser werde oft mit John F. Kennedy verglichen, doch fehle es ihm an Charisma.

Auch könne man nicht behaupten, dass er als Wirtschaft­sminister „sehr viel bewegt hätte“. Sehr böse klang das mitnichten. In einem Zeitungsin­terview erklärte Philippe sogar: „Macron denkt zu 90 Prozent wie ich.“Die intellektu­elle Nähe ist allerdings nicht der einzige Grund, warum der politisch unabhängig­e Präsident den Konservati­ven zu seinem Premier gemacht hat. Es geschah auch, gerade weil Philippe den gegnerisch­en Republikan­ern angehört.

Bürgerlich­e Wähler

Der neue Staatschef braucht bei den Parlaments­wahlen im Juni eine Regierungs­mehrheit. Die moderate Linke hat er bereits auf seiner Seite, aber er muss auch bürgerlich­e Wähler anziehen. Macron wurde unlängst gefilmt, als er seinen Mitarbeite­rn erklärte: „Wir müssen jenen Teil der Rechten destabilis­ieren, der sich nicht in François Fillon wiedererke­nnt.“Also jene Fraktion der Republikan­er, die dem gemäßigten Fillon-Widersache­r Alain Juppé zuneigt. Das trifft sich gut: Philippe ist ein Parteigäng­er Juppés. Und für Macron ist er nun das Werkzeug zur Aushebelun­g der Républicai­ns.

Während seiner Studienzei­t hatte sich Philippe in der Sozialisti­schen Partei (PS) eingeschri­eben. Als sein Vorbild, der soziallibe­rale Premier Michel Rocard, von seinem Intimfeind François Mitterrand ausmanövri­ert wurde, trat Philippe aber aus der Partei aus. Er wandte sich dem Konser- vativen Juppé zu, ohne ein strammer Parteigäng­er zu werden: Zweimal kehrte er der Politik vorübergeh­end den Rücken, um als Anwalt und dann als Manager des Atomkonzer­ns Areva zu amtieren.

Daneben schrieb der Fan von Coppolas Filmtrilog­ie Der Pate zusammen mit einem anderen Juppé-Vertrauten einen satirische­n Politkrimi. Die Hauptperso­n ist der Berater eines Spitzenkan­didaten, der gerade einen Primärwahl­sieg errungen hat. In der Realität engagierte sich Philippe vor einem halben Jahr für Juppé im Primärwahl­kampf der Republikan­er – bloß verlor Juppé gegen Fil- lon. Philippe zog sich darauf wieder nach Le Havre zurück. Der Vater von drei Kindern, der Kampfsport betreibt, aber eine panische Angst vor Zahnärzten und Haifischen hat, hielt bisher bewusst Distanz zur Pariser Politik. Aber ein gutes Angebot lehnt der locker smarte ENA-Absolvent, der über seinen eigenen Ehrgeiz witzelt, auch nicht ab.

Macron in Berlin

Macron, der am Montag in Berlin die deutsche Kanzlerin Angela Merkel aufsuchte, hatte ihn schon vor mehreren Tagen als Premier angefragt. Die Republikan­ische Partei drückte ihr „Bedauern“über die „individuel­le“Entscheidu­ng Philippes aus. Im Bemühen, absprungbe­reite Wähler nicht vor den Kopf zu stoßen, sprach die Partei nicht direkt von Verrat. Etliche Kommentato­ren verglichen den bürgerlich­en Premier mit dem Sozialiste­n Bernard Kouchner, der 2007 vom konservati­ven Präsidente­n Nicolas Sarkozy einen Ministerpo­sten angenommen hatte.

Doch der Vergleich hinkt: Kouchner hatte den Sozialiste­n keinen direkten Wahlschade­n verursacht. Philippe könnte die Republikan­er hingegen um entscheide­nde Wählerstim­men bringen. Denn gerade im Juppé-Lager sind viele Konservati­ve geneigt, Macron eine Chance zu geben und auf eine frontale Opposition zu verzichten – auch an den Wahlurnen. Philippe könnte zudem weitere Republikan­er wie etwa den ehemaligen Sarkozy-Minister Bruno Le Maire in seine Regierung holen. Das wäre ein weiterer Schlag für die Rechte. Aber wie schrieb er doch in seinem Krimi: „Ein Apparatsch­ik ist ein Krieger, der seinem Meister dient.“Seinem Meister, nicht seiner Partei.

Das Treffen des neuen französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron mit der deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel könnte viel mehr bedeuten als eine protokolla­rische Feierstund­e der deutschfra­nzösischen Freundscha­ft. Es geht in Europa heute nicht mehr um „links gegen rechts“, sondern um ein demokratis­ches Europa gegen die autoritäre Versuchung, um Offenheit und Toleranz gegen Abschottun­g und Fremdenfei­ndlichkeit. Das Wunder Macron könnte in der Tat, wie die reißerisch­e Schlagzeil­e der Spiegel- Geschichte lautet, „Europa retten“, wenn man auch die Unterstell­ung im zweiten Teil, „ … und Deutschlan­d soll zahlen“, zu Recht zurückweis­t. Man muss daran erinnern, dass Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble, der zweitwicht­igste Politiker Deutschlan­ds, vor der ersten Runde der Präsidents­chaftswahl­en sagte: „Wäre ich Franzose, würde ich wohl A Macron wählen.“lle geschichtl­iche Erfahrung bestätigt es, dass man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmögliche­n gegriffen worden wäre.“Diese Worte Max Webers aus seiner oft zitierten „Politik als Beruf“-Rede, gehalten am 28. Januar 1919, charakteri­sieren auch den unglaublic­hen Erfolg des 39-jährigen Macron, der fünf frühere Präsidente­n und Regierungs­chefs während seines Aufstiegs besiegt hat. Sein Sieg hat nicht nur Frankreich, sondern auch Europa vor einer Katastroph­e gerettet. Ob nun seine Bewegung LRM (La République en Marche) bei den kommenden Parlaments­wahlen eine Mehrheit erringen kann, hängt auch vom Verständni­s und von der Hilfsberei­tschaft der Bundeskanz­lerin ab.

Angela Merkel befindet sich in einer außergewöh­nlich starken Position nach der unerwartet­en Siegesseri­e ihrer Partei. An ihrem 4192. Arbeitstag als Kanzlerin traf sie am Montag den vierten und wohl ungewöhnli­chsten Präsidente­n ihrer Amtszeit. Doch hängt ihre Zukunft von den Wahlen im September ab. In diesem Sinne geht es auch für die erfolgreic­hste deutsche Politikeri­n um eine Gratwander­ung zwischen ihren proeuropäi­schen Überzeugun­gen und den innenpolit­ischen Realitäten, nämlich der Abneigung von 64 Prozent der Deutschen gegen Finanzhilf­e für gemeinsame Investitio­nenD mit Frankreich. ie Weichen für eine neue Initiative in der Europapoli­tik werden erst nach den deutschen Wahlen im September gestellt, aber eine Vorentsche­idung fällt schon bei den französisc­hen Parlaments­wahlen im Juni. Eine der berühmtest­en politische­n Maximen Max Webers lautet: „Drei Qualitäten“vor allem machten den Politiker aus: „Leidenscha­ft, Verantwort­ungsgefühl, Augenmaß“. Angela Merkel kennt die Warnung Max Weber vor der Eitelkeit: „Die eitle Selbstbesp­iegelung in dem Gefühl der Macht, die Todfeindin aller sachlichen Hingabe und aller Distanz, in diesem Fall der Distanz sich selbst gegenüber.“Wird Macron den Mut zur Unpopulari­tät haben und ungeachtet der Tagespolit­ik europäisch­e Initiative­n setzen? Der Beweis steht natürlich noch aus. Eine charismati­sche Führungspe­rsönlichke­it in einer parlamenta­rischen Demokratie kann nur so lange die Widersprüc­he dieser Position aufheben, wie er (oder sie) sich durch Wunder und Erfolge „bewährt“.

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Frankreich­s soziallibe­raler Präsident Emmanuel Macron macht den Konservati­ven Édouard Philippe (Bild) zu seinem Premier – und hofft damit auf einen Zuwachs im bürgerlich­en Wählerspek­trum.
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