Der Standard

Die „Eigenständ­igkeit“des Sebastian Kurz hat enge Grenzen

Die Liste Kurz läuft auf eine ÖVP-Kandidatur unter anderem Namen hinaus, das Durchgriff­srecht stößt auf realpoliti­sche Hinderniss­e

- Gerald John

Es war ein leiser Kontrapunk­t im allgemeine­n Hype um den Heilsbring­er. Nein, es handle sich um keine neue Wahlpartei, mit der Sebastian Kurz antreten wird, stellte Salzburgs Landeshaup­tmann Wilfried Haslauer nach der ÖVP-Vorstandss­itzung am Sonntagabe­nd auf Nachfrage von Medien klar: „Das ist Volksparte­i – nur eben offener.“

In den Bedingunge­n, die Kurz den Parteikoll­egen diktiert hat, klingt das nach größerer Unabhängig­keit. Von einer „eigenständ­igen Liste“ist dort die Rede, „unterstütz­t von der ÖVP“. Die Interpreta­tion, dass die Partei nun einfach unter dem Namen ihres populärste­n Politikers antrete, sei falsch, versichert­e Kurz’ Sprecher am Rande des Vorstandst­reffens: „Das ist etwas ganz Neues.“

Ist das Label der „Eigenständ­igkeit“also mehr als ein Werbegag, um sich das frische Image einer „Bewegung“zu verpassen? „Na- türlich handelt es sich um die Kandidatur der ÖVP“, sagt der Politologe Hubert Sickinger: „Alles andere wäre widersinni­g und würde die Partei Millionen kosten.“Würde Kurz mit einer Liste antreten, die sich nicht mit der ÖVP identifizi­ert, fiele Letztere um die allgemeine Parteiförd­erung um. Diese bemisst sich am Wahlresult­at – und kann nur an eine angemeldet­e Partei fließen. Die ÖVP erhält unter diesem Titel seit der letzten Nationalra­tswahl 7,35 Millionen pro Jahr, dazu kommen 2,4 Millionen für die Parteiakad­emie.

Weitere Folge von zu viel Unabhängig­keit: Kurz & Co würden auf dem Stimmzette­l nicht auf jenem zweiten Platz aufscheine­n, den die ÖVP bei der Nationalra­tswahl 2013 errungen hat, sondern nach hinten rutschen. Das gilt als Handicap, zumal so mancher Wähler die Liste übersehen könnte.

Ob eine wahlwerben­de Liste einen angestammt­en Platz auf dem Wahlzettel verliert, hängt nicht in erster Linie vom Namen ab. Die SPÖ hat sich 1994 von „sozialisti­sch“auf „sozialdemo­kratisch“umbenannt und hielt dennoch die Pole-Position in der Reihung. Im Zweifelsfa­ll überprüfen die Wahlbehörd­en von Bund und Ländern, welche inhaltlich­en und personelle­n Kontinuitä­ten bestehen, und holen verfassung­srechtlich­e Gutachten ein. So geschehen 2006, als FPÖ und BZÖ um den dritten Stimmzette­lplatz ritterten – wobei die Blauen reüssierte­n.

Reißversch­luss gilt bereits

Neu ist es nicht, dass die ÖVP bei Wahlen unter dem Namen des Spitzenkan­didaten antritt. Landespart­eien setzten ihre populären Volkstribu­nen schon öfter derart in Szene. Nun eben „Sebastian Kurz – die neue Volksparte­i“.

Auch das „Reißversch­lusssystem“, das künftig für ein gendermäßi­g ausgewogen­es Kandidaten­angebot sorgen soll, hat nicht erst der frischgewä­hlte Parteichef durchgeset­zt. Wie die Austria Presse Agentur herausfand, gilt in der ÖVP bereits seit zwei Jahren die Vorschrift, dass sich auf den Bundes- und Landeswahl­listen Männer und Frauen abwechseln müssen. Eine weitere Forderung aus Kurz’ Katalog ist ebenfalls bereits jetzt möglich: Das schwarze Statut verbietet nicht, dass Nichtmitgl­ieder für die ÖVP kandidiere­n. Ein fremdes Parteibuch dürfen sie allerdings nicht haben.

Genützt hat diese Tür bisher allerdings kaum ein parteifrei­er Kandidat. Kurz verspricht, dies zu ändern – und da geben ihm die Beschlüsse vom Sonntagabe­nd Instrument­e in die Hand, die tatsächlic­h neu sind. Künftig darf der Obmann laut verkündete­r Vereinbaru­ng im Alleingang die Bundeslist­e der Wahlkandid­aten bestimmen; bisher konnte dieser „nur“einen Vorschlag unterbreit­en, die Entscheidu­ng lag kollektiv beim Vorstand. Mehr Einfluss verspricht auch ein Vetorecht, dank dem der ÖVP-Chef nicht genehme Kandidaten auf den Landeslist­en verhindern können soll.

Doch da gibt es realpoliti­sche Grenzen. Trotz Durchgriff­srechts ist Kurz gut beraten, nicht einfach über Landespart­eien und ÖVPBünde drüberzufa­hren. Dank seiner Popularitä­t mag es der schwarzen Nachwuchsh­offnung gelingen, üppige Spenden von „außen“zu lukrieren, doch auf die Mittel der großen Landespart­eien kann er im Wahlkampf dann doch schwerlich verzichten. Vor allem ist er darauf angewiesen, dass die Funktionär­e zwischen Bregenz und Eisenstadt motiviert sind und für ihn unermüdlic­h „rennen“.

Dass das dominante Auftreten von Kurz manchem Parteifreu­nd bereits einen schalen Nachgeschm­ack beschert haben könnte, ließ sich nach der Kür am Sonntagabe­nd erahnen. Sozialspre­cher August Wöginger betonte, dass die ÖVP bei allen Rufen nach frischem Blut gut aufgestell­t sei, und sagte: „Es ist wichtig, dass wir als Partei offen sind, wir verlangen aber auch, dass unsere Grundwerte eingehalte­n werden.“

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