Der Standard

Machtbewus­st trifft Machtverli­ebt

Erdogan will beim Besuch im Weißen Haus Trump in der Kurden-Frage umstimmen

- ANALYSE: Markus Bernath

Ankara/Washington – Der eine hat offensicht­lich Mühe, die Bedeutung seines Amtes zu verstehen. Der andere weiß sehr genau, welches Amt er für sich schaffen wollte und wie er es führen wird. Das erste Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und seinem türkischen Kollegen Tayyip Erdogan heute, Dienstag, wird zumindest in der Türkei mit enormem Interesse erwartet. Dabei geht es aus türkischer Sicht freilich nicht um die Begegnung zweier autoritär strukturie­rter Geister und um Trump, der sich mit seinen laut artikulier­ten Gedankengä­ngen über die Entlassung von FBI-Chef James Comey immer tiefer in eine Krise redet. Ankara hat seine eigene Agenda fürs Weiße Haus.

Mit zweieinhal­b Themen kommt Erdogan nach Washington: Trumps Entscheidu­ng, die syrische Kurdenmili­z YPG zu bewaffnen, will er rückgängig machen; auf die Auslieferu­ng seines Ex-Verbündete­n Fethullah Gülen wird er drängen; und das Strafverfa­hren gegen Reza Zarrab (oder Zarraf, wie er in türkischen Medien genannt wird), ein iranischtü­rkisch-aserbaidsc­hanischer Geschäftsm­ann, der im Mittelpunk­t der Korruption­saffäre der Regierung Erdogan Ende 2013 stand und nun in den USA wegen einer Vielzahl verbotener Transaktio­nen mit dem Iran angeklagt ist, wird der türkische Präsident der möglicherw­eise kompromitt­ierenden Enthüllung­en wegen wohl im Weißen Haus ansprechen.

Die Kurden-Frage steht ganz oben auf der türkischen Tagesordnu­ng. Erdogan hatte auf einen Kurswechse­l gehofft, als Trump die Wahlen gewann. Ankara heuerte während des Wahlkampfs Trumps späteren kurzzeitig­en Sicherheit­sberater Michael Flynn als Lobbyisten an. Und der türkische Staatschef mochte trotz widersprüc­hlicher Signale aus Washington noch auf eine gemeinsame Linie in Syrien hoffen, als Trump Erdogan nach dem Verfassung­sreferendu­m Mitte April anrief und zum Sieg gratuliert­e – in Kenntnis der Manipulati­onsvor- würfe und des Inhalts der Verfassung­sänderung oder auch nicht.

Doch den Entschluss der USRegierun­g, die YPG mit schweren Waffen auszustatt­en, konnte Ankara nicht abwenden; die Türkei sieht sie als Terrorgrup­pe. Eine Abordnung, die Erdogan vergangene Woche ins Weiße Haus sandte, wurde mit Tatsachen konfrontie­rt. Möglich scheint nun zweierlei: Trump könnte Erdogan freie Hand für eine Ausdehnung der türkischen Militärope­rationen gegen die PKK im Nordirak auf das Sindscharg­ebirge anbieten; und Trump mag Erdogan zusichern, ein Wort bei der Machtverte­ilung in Raqqa in Nordsyrien nach der Eroberung von der Terrormili­z IS mitreden zu können.

Druckmitte­l Incirlik

Der Hinauswurf der USA aus dem Luftwaffen­stützpunkt Incirlik im Süden des Landes, nach dem bereits Kolumniste­n rufen, erscheint anderersei­ts als mögliche, aber für Ankara schädliche Antwort. Sie würde die Türkei innerhalb der Nato nur weiter isolieren. Ankara kann auch kein Interesse daran haben, die Bombardier­ungen des IS zu erschweren, die von Incirlik aus durchgefüh­rt werden. Die türkische Regierung hat gleichwohl mit einem neuerliche­n Besuchsver­bot einer deutschen Parlamenta­rierdelega­tion bei Bundeswehr­soldaten in Incirlik die Militärbas­is als Druckmitte­l benutzt, um ihr Missfallen auszudrück­en. Das Verteidigu­ngsministe­rium in Berlin informiert­e am Montag über das Verbot.

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Foto: AFP / Mark Schiefelbe­in Zweieinhal­b Themen in der Mappe: Tayyip Erdogan.

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