Der Standard

Archaische Bilder aus den Krisenregi­onen

Kunst zwischen Krieg und Antike in den Pavillons von Syrien, dem Irak und Iran auf der Biennale

- Colette M. Schmidt aus Venedig

Everybody admires Palmyra’s Greatness ist der harmlose Titel der Ausstellun­g, mit der Syrien auf der Biennale in Venedig auf Giudecca im Stadtteil Dorsoduro vertreten ist. Kurator Emad Kashout will der antiken Oasenstadt Tribut zollen. Doch zu sehen ist weniger die Pracht des Unesco-Weltkultur­erbes Palmyra, sondern die Trauer über die Zerstörung durch die Terrororga­nisation „Islamische­r Staat“seit 2015.

„Als bei uns 2011 der Krieg ausbrach, habe ich fünf Jahre nicht gearbeitet“, erzählt Anas Al Raddawi, einer der hier präsentier­ten Künstler, „und als ich jetzt wieder begonnen habe, war meine Kunst eine andere“. Raddawi zeigt drei großformat­igen Collagen mit Schwarz-Weiß-Fotografie­n. Auf einer sind Kindersold­aten aus aller Welt zu sehen, auf einer anderen eben Bilder aus Palmyra. Es sind Fotos und Videostill­s aus dem Internet, die die Zerstörung der Stadt dokumentie­ren. Dazwischen tauchen Frauen auf, die für eine ganze geschändet­e Kultur um Hilfe schreien.

Reifenspur­en verlaufen quer über die Bilder, Raddawi fuhr tat- sächlich mit seinem Wagen darüber. Auf einigen Bildern ist Khaled Asaad, der bekannte Archäologe, der vom IS umgebracht wurde, zu erkennen. Für viele ist er ein Held, weil er sich weigerte, Terroriste­n zu zeigen, wo wertvolle Artefakte versteckt waren.

Stein, Glas, Ton

Die Malerin Asma Alfyoumi aus Damaskus deutet die weinende Stadt Palmyra mit stilisiert­en Frauen an, deren Handhaltun­g typisch für viele der zerstörten Statuen ist. Über der Ausstellun­g, auch über den Fotografie­n von Abdullah Reda und Angelo Dozio, liegt eine stille Trauer.

Auch im Pavillon des Irak im Palazzo Cavalli-Franchetti bei der Accademia-Brücke geht man weit zurück in die Geschichte. Acht Künstler und Fotografen zeigen hier Installati­onen, Filme und Fotografie­n neben 40 antiken Artefakten aus Stein, Glas und Ton, die teilweise bis zu 8000 Jahre alt sind: Alltagsgeg­enstände, Figurinen, medizinisc­he Instrument­e.

Die Kuratoren Tamara Chalabi und Paolo Colombo stellen mit dem Titel Archaic das antike Erbe, auch jenes der Schrift aus der babylonisc­hen Zeit, der politisch und ökonomisch unsicheren Gegenwart des Landes gegenüber. Stimmig passiert das in der Biblio- thek des Palazzos, wo in alten Schubladen und Regalen Zeitgeschi­chtevideos flimmern. Trotzdem wirken die Arbeiten, die jede für sich sehenswert ist, teilweise beliebig nebeneinan­dergestell­t.

Archaisch mutet auch die Installati­on Tapesh („Herzschlag“) von Bizhan Bassiri für den Pavillon des Iran am Fondamente Nove an. Bassiri, geboren 1954 in Teheran und seit seiner Studienzei­t in Italien, spielt mit Archetypen, die sich weltweit in Mythologie­n wiederfind­en.

Bezüge zur aktuellen Politik drängen sich nicht auf. Die 32 mannshohen Figuren aus schwarzem Papiermach­é sind – entlang eines metallenen Pfades mit Becken mit blutroter Flüssigkei­t – in weißem Marmorsand in Zweierreih­en aufgestell­t. Sie sehen aus wie düstere Wächter oder Geister – nicht nur, weil der Palazzo Donà delle Rose über das Wasser direkt auf die Friedhofsi­nsel blickt. In ihrer Mitte liegen auf schwer einsehbare­n hohen Pulten Bücher – dazwischen goldene Würfel in einer ölig roten Flüssigkei­t: „Würfel des Schicksals“, nennt sie Bassiri. „Gott würfelt nicht“, hört man Einstein sagen. Der Künstler schon: zweimal die Sechs.

 ?? Foto: Ali Arkady / VII ?? Fotojourna­list Ali Arkady dokumentie­rt das Leben der Soldaten und Zivilisten im Irak, seit 2014 vor allem Attacken des IS. Seine Bilder sind Teil der Schau „Archaic“.
Foto: Ali Arkady / VII Fotojourna­list Ali Arkady dokumentie­rt das Leben der Soldaten und Zivilisten im Irak, seit 2014 vor allem Attacken des IS. Seine Bilder sind Teil der Schau „Archaic“.

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