ORF-Debatte „Lose-lose- Situation für alle Beteiligten“
Medienwissenschafter Andy Kaltenbrunner hat für die SRG Qualität im Rundfunk untersucht. Ein Streit wie jener um den ORF, seine Information und Struktur, habe Anstalten international stets geschadet, sagt er. Da ist weiteres Versagen von Medienpolitik im
Standard: Sie haben für die Schweizer SRG eine Studie über Qualität und ihre Bestimmung im Rundfunk erstellt. Welche Qualität hat denn die seit Monaten laufende Debatte um die Neuorganisation des ORF, vor allem der Fernsehinformation, und deren politische Hintergründe? Kaltenbrunner: Wir müssen alle zuletzt staunend zusehen, wie im ORF der Streit um führende TVPositionen öffentlich eskaliert. Wann immer es vergleichbare Personaldebatten bei öffentlichem Rundfunk zum Beispiel in Italien, Spanien oder vor ein paar Jahren auch bei Deutschlands ZDF gab, hat sich der verärgerte Steuer- und Gebührenzahler schnell und oft dauerhaft mit Grausen abgewandt. Er vermutet ja, es gehe nur um Pfründe und Parteibegehrlichkeiten. Oft hat er recht. Nach privilegiert förderwürdiger Qualität von unabhängigem Journalismus schaut lautes Zetern, welcher Chef wann welches Reporter- und Kamerateam wohin schicken darf, dann jedenfalls nicht aus. Das ist eine Lose-lose-Situation für alle Beteiligten.
Standard: Dem Publikum scheint aber nicht restlos klar zu sein, warum es für den ORF zahlen soll. Kaltenbrunner: Die Frage geht weiter: Warum sind so viele professionelle ORF-Journalistinnen und -Programmmacher verunsichert, wo ihr Platz in der Mediengesell- schaft heute ist? Trotz ORF-Gesetz mit so vielen Details lesen und hören wir auch immer mehr verärgerte Publikumsfragen – und nicht nur die der Kampfposter in Zeitungsforen – ob es öffentlichen Rundfunk überhaupt noch braucht. Die häufigste Grundsatzdiskussion zum ORF im Internet ist wohl derzeit, wie man die GISGebühr umgehen kann – was naturgemäß nicht zum Selbstbewusstsein der ORF-Mitarbeiter beiträgt, eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen.
Standard: Und wozu braucht es 2017 öffentlich-rechtlichen und öffentlich finanzierten Rundfunk? Kaltenbrunner: Ein duales System mit relevanten Reichweiten von öffentlichem Rundfunk bietet den Bürgern mehr sachliche und neutrale Information an. Natürlich nicht immer, überall und um jeden Preis, aber doch meistens und in vielen europäischen Mediensystemen messbar. Umgekehrt heißt das: Qualität und Quantität der Berichterstattung vor allem zu Politik, Wirtschaft und Kultur gehen bei stärkerer Kommerzialisierung des Rundfunkmarktes insgesamt zurück.
Standard: Das heißt: je mehr private Konkurrenz, desto weniger Qualität im Rundfunk? Kaltenbrunner: Natürlich gibt es ganz unterschiedlich gewachsene Medienkulturen, aber salopp for- muliert: Ein bisserl mehr Public Broadcast nach europäischem Verständnis hätte den USA und ihren Wählern im vergangenen Jahr wohl nicht geschadet. Aber es gilt wohl auch: Der Fall des ORFMonopols ein Jahrzehnt früher hätte Österreich nicht geschadet, den ORF qualitativ früher mehr gefordert und dem Publikum gefallen. Forschung weist darauf hin, dass Ziele wie Meinungspluralismus in der Berichterstattung, Politik-, Kultur- und Bildungsvermittlung derzeit in dualen Mediensystemen mit öffentlich-rechtlichen Anbietern besser erreicht werden als in exponiert kommerziell orientierten Märkten. Das übersieht nicht, dass Corinna Milborn auf Puls 4 immer wieder ausgezeichnete Interviews macht und einer Phalanx im ORF damit Paroli bietet. Und dass Servus TV manchmal gute Diskussionsformate organisiert und das Universum- Team des ORF für gute Terra Mater abgeworben hat.
Standard: Deutschland hat von einer Rundfunkgebühr auf eine Abgabe für alle Haushalte unabhängig vom Empfang umgestellt, die Schweiz plant das bis 2019. Kaltenbrunner: Wenn damit nur eine größere Finanzierungssicherheit für den ORF gemeint ist, wo dann – hoppala, wie in Deutschland – mehr Erlös herauskommt, wird das schwer durchzubringen sein. Das ist auch nicht rechtfertigbar. Wenn eine neue Haushaltsgebühr aber zentrales Stück einer generellen Medienförderung werden soll, auch für private Sender, Printmedien und neue digitale Medien, ist das theoretisch sehr spannend und praktisch ein unendliches Konfliktprojekt. Selbst über simple Veränderungen von ein paar Millionen altmodischer Presseförderung nur für die Zeitungen wurde von der Koalition ja schon fast ein Jahrzehnt lang ergebnis- und mutlos nachgedacht. Eine Haushaltsabgabe verschiebt Milliarden und definiert damit den Markt und Qualitäten von Öffentlichkeit spektakulär neu. Eine Regierung, die keine gemeinsame Tagesordnung und Themenliste bei einer Rundfunk-Enquete schafft, sollte über so große Dinge lieber gar nicht laut reden. Da ist weiteres Versagen von Medienpolitik im Vergleich wohl ein Vorteil.
ANDY KALTENBRUNNER (54) ist Politikwissenschafter, ab 1981 Journalist bei „AZ“und „Profil“; seit 2000 Medienberater und -wissenschafter, etwa an der Akademie der Wissenschaften, Mitbegründer der Forschungsfirma Medienhaus Wien. Mittwoch 18 Uhr diskutieren Kaltenbrunner, Fidler und Publikum in der Concordia über Medienpolitik. pInterview lang: derStandard.at/Etat