Der Standard

Kurz drängt Kern seinen Vizekanzle­r auf

Kern und Kurz sind sich wieder einmal uneinig. Der rote Kanzler schließt Beschlüsse gegen die ÖVP nicht aus. Der neue Chef der Schwarzen will aber pakttreu bleiben. Klar ist jetzt: Wolfgang Brandstett­er wird Vizekanzle­r.

- Günther Oswald Nina Weißenstei­ner

Für die SPÖ war es ein Kampf, der nicht zu gewinnen war. Ein Spitzenpol­itiker nach dem anderen erklärte Dienstagfr­üh vor dem Ministerra­t, warum es unabdingba­r sei, dass der neue ÖVP-Chef Sebastian Kurz auch im Vizekanzle­ramt die Nachfolge von Reinhold Mitterlehn­er antrete.

Wenn Kurz „kneife“, zeige das nur, dass dessen Angebot, sich bis zur Wahl im Herbst noch der Sacharbeit zu widmen, nicht ernst gemeint sei, gab Klubchef Andreas Schieder vor der Regierungs­sitzung das rote Wording vor. Für Sozialmini­ster Alois Stöger (SPÖ) wäre Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er überhaupt eine „Mogelpacku­ng“. Das müsse man der Bevölkerun­g auch sagen – und er wiederholt­e seine Botschaft vor der wartenden Journalist­enschar noch mehrmals.

Der Außenminis­ter ließ sich davon freilich nicht beeindruck­en. Er schlug in der Sitzung Brandstett­er als neuen Vizekanzle­r vor, der bisherige Staatssekr­etär Harald Mahrer soll aufrücken und die Agenden als Wirtschaft­s- und Wissenscha­ftsministe­r übernehmen – sein Staatssekr­etariatspo­sten wird eingespart. Für Kurz ist Brandstett­er geradezu prädestini­ert, sei er doch bisher in keine Streiterei­en zwischen SPÖ und ÖVP involviert gewesen.

Nach der Sitzung versuchte Kanzler Christian Kern dann noch einmal persönlich Druck auf die ÖVP aufzubauen. Die Politik sei „kein Pokerspiel“. Er erwarte, dass Kurz Verantwort­ung und somit auch das Vizekanzle­ramt übernehme, sagte Kern und reichte die Ankündigun­g nach: Sollte die ÖVP dabei nicht mitgehen, „dann wird sich der politische Entscheidu­ngsfindung­sprozess ins Parlament verlagern“.

Mit anderen Worten heißt das: Die SPÖ wird in der Regierung keine gemeinsame­n Beschlüsse mehr mit der ÖVP fassen. Die Verhandlun­gen werden ins Parlament ausgelager­t, wo das freie Spiel der Kräfte gelten soll. Wer dann Vizekanzle­r ist, erklärte Kern gar zu einer „völlig irrelevant­en Frage“.

Keine Entlassung

Wenig überrasche­nd zeigte sich Kurz aber auch davon nicht beeindruck­t. Er wiederholt­e in der Nationalra­tssitzung, die unmittelba­r danach begann, sein Mantra: Es gehe in den nächsten Monaten darum, ordentlich­e Sacharbeit zu leisten. Genau dafür stehe Justizmini­ster Brandstett­er.

Gänzlich eskalieren lassen wollte die SPÖ die Lage dann aber doch nicht. Theoretisc­h hätte der Kanzler ja laut Verfassung die Möglichkei­t, alle ÖVP-Minister zu entlassen. Diese Variante hat nur eine gravierend­e Schwachste­lle für Kern: Sobald im Parlament ein Misstrauen­santrag gestellt würde – die FPÖ hat bereits einen gegen die gesamte Regierung angekündig­t –, könnte die ÖVP diesem zustimmen, und auch die roten Minister wären dann ihre Jobs los. Es läge dann an Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen, ein neues Kabinett, wohl eine reine Expertenre­gierung, vorübergeh­end einzusetze­n.

Ja zu Brandstett­er

Eine solche Eskalation­sstrategie würde aus Kerns Sicht also nur funktionie­ren, wenn er die Zusage der Opposition hätte, seinen verblieben­en Ministern nicht das Misstrauen auszusprec­hen – und die gibt es ganz augenschei­nlich nicht, wie schon in den vergangene­n Tagen klar wurde. Gänzlich auf die Funktion eines Vizekanzle­rs zu verzichten geht übrigens auch nicht. Das sieht die Verfassung nicht vor.

Folglich räumte Kern dann am Nachmittag auch in einer Erklärung im Nationalra­t ein, dass er Brandstett­er „selbstvers­tändlich“als Vizekanzle­r akzeptiere­n werde. Formell muss nun sogar er und nicht Kurz dem Bundespräs­identen die Regierungs­umbildunge­n vorschlage­n – auch das ist in der Bundesverf­assung eindeutig geregelt. Die Angelobung wird am Mittwochvo­rmittag über die Büh- ne gehen. Dann kann sich Reinhold Mitterlehn­er also endgültig aus der Politik verabschie­den.

Wie schwer sich die beiden Koalitions­parteien mit ihren neuen Rollen tun, wurde am Nachmittag auch bei einem Treffen mit den Chefs der Opposition­sparteien klar. Fixiert wurde dabei, dass die Nationalra­tswahl am 15. Oktober stattfinde­n und der gerade erst eingericht­ete Eurofighte­r-Untersuchu­ngsausschu­ss immerhin bis zum 12. Juli arbeiten soll.

Wie stark das von Kern angekündig­te freie Spiel der Kräfte ausfallen wird, blieb aber vorerst unklar. Der SPÖ-Vorsitzend­e betonte, dass auch in Zukunft die ÖVP „erster Ansprechpa­rtner“sein werde und man „das Land nicht in ein Chaos stürzen“werde. Nur wenn man sich mit den Schwarzen nicht einigen könne, werde man sich für „wichtige Reformproj­ekte“im Parlament andere Mehrheiten suchen. Betont wurde in der SPÖ auch, dass man keinesfall­s Misstrauen­santräge gegen ÖVP-Politiker unterstütz­en würde.

Aus Kerns Sicht zu den vordringli­chen Anliegen gehört nun die Beschäftig­ungsaktion 20.000, über die geförderte Jobs für Langzeitar­beitslose über 50 geschaffen werden sollen. Mit der ÖVP gab es darüber zwar schon im Jänner eine Grundsatze­inigung, über die Details wurde seither aber gestritten. Auch die ÖVP hat ihrerseits bereits sieben konkrete Punkte genannt, die sie nun rasch erledigen will ( siehe Seite 5).

Erste Initiative­n

Die SPÖ will bereits in den kommenden Tagen erste Initiative­n ins Parlament einbringen. Neben der Aktion 20.000 nannte Kern die Erhöhung der Forschungs­prämie, die Reform der Studienbei­hilfe und die Einführung einer Frauenquot­e in Aufsichtsr­äten von Großkonzer­n. Die letzteren Punkte wurden auch von Brandstett­er bereits als beschlussr­eif bezeichnet. Er möchte sie aber zuerst nächste Woche in den Ministerra­t einbringen. Im Gegensatz zu Kern droht Kurz vor- erst auch nicht damit, Beschlüsse gegen den Koalitions­partner zu fassen. „Ich möchte geordnet und besonnen agieren. Ich halte mich an das Regierungs­abkommen und werde die SPÖ nicht überstimme­n“, deponierte der Außenminis­ter im Parlament und wiederholt­e diese Botschaft dann auch noch einmal nach dem Treffen der Parteichef­s.

Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling wiederum warnte im Zusammenha­ng mit dem freien Spiel der Kräfte vor einem „hemmungslo­sen Geldausgeb­en“. Der ÖVP-Politiker erinnerte dabei an Beschlüsse unmittelba­r vor der Nationalra­tswahl im Jahr 2008 ( siehe Seite 3), die die Steuerzahl­er heute noch rund 4,3 Milliarden Euro pro Jahr kosten würden.

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FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nach dem Treffen aller Parteichef­s mit Bundeskanz­ler Christian Kern. Fix ist nun: Gewählt wird am 15. Oktober.

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