Der Standard

Rot-schwarze Scheidung auf der Parlaments­bühne

High Noon im Hohen Haus: Kern gegen Kurz. Der Kanzler will bis zur Wahl das „freie Spiel der Kräfte“, der designiert­e ÖVP-Chef die SPÖ nicht überstimme­n. Szenen einer koalitionä­ren Zerrüttung im Parlament.

- Lisa Nimmervoll

Es war sein Tag. Wieder einer. Und er genoss es sichtlich. Denn obwohl auf der Agenda der 179. Sitzung des Nationalra­ts eigentlich ganz andere Dinge standen, wusste Sebastian Kurz, dass sich an diesem Dienstag alles um ihn und die durch ihn ausgelöste­n Turbulenze­n in der rotschwarz­en Koalition drehen würde. Überpünktl­ich traf der designiert­e ÖVP-Chef, korrekt Chef der „Liste Sebastian Kurz – die neue Volksparte­i“, um 9.00 Uhr im Hohen Haus ein, wo Nationalra­tspräsiden­tin Doris Bures (SPÖ) die Sitzung etwas verspätet mit der obligatori­schen Glocke eröffnete.

Die ÖVP-Reihen im Plenum schienen bis auf einzelne, bekannt stoisch veranlagte Antieuphor­iker voller Bewunderer, Begeistert­er, Berauschte­r. Der Neue an der Spitze der Schwarzen – eine Änderung der Parteifarb­e ist bis jetzt nicht bekannt – wurde mit Handschlag begrüßt, fotografie­rt und später eifrigst beklatscht.

Eigentlich war die erste Stunde als aktuelle Stunde deklariert, das Team Stronach gab als Thema „Schutzzone­n, Grenzsiche­rung, Integratio­n: Wahlkampf oder Umsetzung?“vor und bot thematisch eine multifunkt­ionale Rampe.

Klubchef Robert Lugar sorgte dafür, dass der sehr von seinem Handy beanspruch­te Außen- und Integratio­nsminister kurz irritiert aufblickte, weil er ihn mit „Sehr geehrter Herr Vizekanzle­r“begrüßte und ihm vorhielt, „die eigene Regierung torpediert und zerstört“zu haben und nicht an inhaltlich­er Arbeit interessie­rt zu sein. Als Lugar Kurz mit „Herr Ichwill-nicht-Vizekanzle­r-sein“titulierte, war ihm ein bunter (exklusive Schwarz) Applaus sicher.

Die ÖVP hatte aber gleich Grund zum Klatschen, denn Kurz erklärte, wie es „mit der Republik und der Regierung“weitergeht. Das tat er an diesem Tag im Parlament zweimal, denn für Mittag war eine Erklärung von Kanzler Christian Kern (SPÖ) angesagt. Kurz erklärte, warum nicht er, sondern Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er das verwaiste Vizekanzle­ramt und Staatssekr­etär Harald Mahrer das Wirtschaft­sministeri­um bis zur Wahl übernehmen sollen: Ersterer sei „sehr konstrukti­v“, Letzterer wurde unter „Kontinuitä­t“verbucht.

Beide wurden später von Kanzler Kern akzeptiert. Die Seitenhieb­e auf Kurz, der nicht Vizekanzle­r werden will, gingen aber weiter. Josef Cap (SPÖ) etwa meinte: „Wer den Vizekanzle­r nicht machen will, kann auch nicht den Bundeskanz­ler machen.“Kurz jedenfalls betonte, der Wahlkampf solle „kurz, intensiv und fair“sein.

Spuren von Hass

Es war dann Brandstett­er, der das Wort aussprach, das bis dahin wie eine unsichtbar­e Wolke über den gegenüberl­iegenden Sitzen von ÖVP und SPÖ waberte: Hass. Der Bald-Vizekanzle­r versprach konstrukti­ve Arbeit und brachte die Rede plötzlich auf „Hass im Internet“, den er nicht verstehe, aber er habe den „Eindruck, etwas von diesem Hass bemerken wir jetzt wieder in der Politik“.

Auf eine konstrukti­ve Scheidung hofft auch SPÖ-Klubchef Andreas Schieder, der statt „Blockadesc­hauspiel“wichtige Beschlüsse für die Menschen will.

Sein ÖVP-Pendant Reinhold Lopatka verwies auf zehn rote und sieben schwarze Punkte, die man noch gemeinsam beschließe­n könne und solle (siehe Seite 5).

Die Frage ist: Wie? Zeitpunkt für das Antwortdue­ll war High Noon.

Kanzler Kern, der in Kurz’ Weigerung, als Vizekanzle­r Verantwort­ung für die Regierungs­arbeit zu übernehmen, ein Ehrlichkei­tsdefizit in den Absichten sieht, will das von allen ÖVP-Ministern unterschri­ebene neue Koalitions­programm Punkt für Punkt im Nationalra­t einbringen „und konsequent auf die parlamenta­rische Arbeit vertrauen“, also mit wechselnde­n Mehrheiten beschließe­n.

Der künftige ÖVP-Chef Kurz hingegen hält nichts vom sogenannte­n „freien Spiel der Kräfte“. Er sagte: „Ich will den Koalitions­partner nicht überstimme­n“und hofft auf gemeinsame Abarbeitun­g der miteinande­r vereinbart­en Punkte – und „wenn es Unterstütz­ung gibt, dann soll es uns nicht stören“. Das sorgte für Empörung bei einigen Abgeordnet­en. Harald Walser (Grüne) etwa rief: „Wo sind wir denn?! Es stört nicht, wenn das Parlament zustimmt?!“

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gab sich betont staatstrag­end und zog Parallelen zwischen Kurz und Kern, die sich in ihrer Inszenieru­ngslust „nicht unähnlich“seien. Schon in der Früh hatte er geätzt, Kurz mache gar keine neue Politik, sondern plagiiere Wolfgang Schüssel, der 1995 plakatiert habe: „Die neue ÖVP. Das ist ein alter Hut – nur ohne Mascherl.“

Grünen-Chefin Eva Glawischni­g kritisiert­e die monatelang­e „Sprengmeis­terei“in der Koalition, die auch Kurz geduldet habe, und benannte dafür mit einem Misstrauen­santrag gegen Innenminis­ter Wolfgang Sobotka (ÖVP) eine Person namentlich.

Die Freiheitli­chen wollten gleich der ganzen Regierung das Misstrauen ausspreche­n lassen.

Apropos Misstrauen: Neos-Chef Matthias Strolz, der mittlerwei­le einen eigenen Klingelton (Falco) für die ÖVP-Personalre­cruiter Kurz und Lopatka hat („Drah die net um, der schwarze Mann geht um“), wünschte dem Chef der neuen Volksparte­ibewegung alles Gute: „Wir freuen uns, wenn unsere Kraft ansteckend und inspiriere­nd ist als Bürgerbewe­gung. Also: Rufen Sie uns an!“Lachen.

Der historisch bewanderte Josef Cap sorgte wiederum für ein heftig akklamiert­es Bonmot, das wohl eine etwas längere Frist zur Verifizier­ung braucht: Angesichts von Kurz’ Machtübern­ahme in der ÖVP erinnerte er sich an eine „Selbstkrön­ung – und die hat in Waterloo geendet“, sagte er mit Blick auf Napoleon. Große Heiterkeit im Parlament. Nur der „alten“ÖVP war da nicht zum Lachen.

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Kanzler Christian Kern erklärte im Parlament, dass er bis zur Wahl in einer „neuen, aktiveren Form“mit den anderen Fraktionen zusammenar­beiten will, Sebastian Kurz will die SPÖ „weiter nicht überstimme­n“.

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