Der Standard

Die Aufsteiger in der Volksparte­i

Wolfgang Brandstett­er ist der neue, dem Regierungs­chef in dieser Funktion nicht besonders willkommen­e Vizekanzle­r im Kabinett von Christian Kern. Harald Mahrer rückt in die Funktion des Wirtschaft­sministers nach – das Ministeriu­m kennt er bereits als Staa

- Maria Sterkl Conrad Seidl

Er habe „keine Ambitionen“auf ein weiteres Amt, werde sich für die Funktion des Vizekanzle­rs aber „gerne zur Verfügung stellen“, sofern man ihn in Ruhe arbeiten lasse: Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er gab sich katholisch-bescheiden, als er Dienstagvo­rmittag mit seiner neuen Aufgabe konfrontie­rt wurde. Die SPÖ wiederum brauchte etwas länger, um sich einig zu werden, wie man zu Brandstett­er als Vizekanzle­r stehe. Auf keinen Fall, hieß es zuerst – man akzeptiere nur Sebastian Kurz als Vize; um nämlich zu verhindern, dass Brandstett­er erst recht wegen jeder Kleinigkei­t beim designiert­en Parteichef nachfragen müsste.

Aus dem Nein wurde aber bald ein Ja, Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) erklärte sich bereit, den Justizmini­ster als neuen Vize- kanzler vorzuschla­gen. Die Verfassung sieht vor, dass Regierungs­mitglieder vom Bundespräs­identen auf Vorschlag des Kanzlers ernannt werden.

Weniger umstritten war die Nachbesetz­ung im Bundesmini­sterium für Wirtschaft, Wissenscha­ft und Forschung. Hier hatte Harald Mahrer bereits seit gut zweieinhal­b Jahren die Funktion eines Staatssekr­etärs ausgeübt – und Minister Reinhold Mitterlehn­er immer dann vertreten, wenn dieser als Vizekanzle­r oder Parteichef andere Verpflicht­ungen wahrzunehm­en hatte.

Mahrer war bis zu seinem Eintritt in die Bundesregi­erung nur Insidern ein Begriff, diesen dafür aber sehr eindringli­ch: Als Präsident der Julius-Raab-Stiftung (benannt nach dem früheren Bundeskanz­ler und Wirtschaft­skammerPrä­sidenten) hat er sich als ParteiVord­enker betätigt und eine Schriftenr­eihe (Edition Noir) initiiert, die in sechs Bänden die Grundwerte der Sozialen Marktwirts­chaft erläutert hat.

Sozialer Marktwirts­chaftler

Er selbst formuliert­e das 2012 – im Vorfeld der vorigen Nationalra­tswahl – so: „Die intensive Auseinande­rsetzung mit dem Wert der Solidaritä­t ist heute auch deshalb so dringend geboten, weil er oft als Gegenwert zu wirtschaft­licher Tätigkeit gesehen bzw. inszeniert wird. Das aber ist grundfalsc­h. Das Wirtschaft­s- und Ordnungsmo­dell der Sozialen Marktwirts­chaft verweist auf die Voraussetz­ungsabhäng­igkeit der Realisieru­ng von Solidaritä­t. Wirtschaft­liche Freiheit und Leistungsk­raft sind die unverzicht­baren Voraussetz­ungen für institutio­nell verbürgte Solidaritä­t. Wer weniger Freiheit fordert, kann nicht mit mehr Solidaritä­t rechnen. Wer Leistung als Wert infrage stellt, sägt am Ast, der unseren Solidar- und Sozialstaa­t trägt.“

Seine theoretisc­hen Erwägungen flossen damit auch in das vor zwei Jahren beschlosse­ne Parteiprog­ramm ein – in das Mahrer als ganz praktische Klausel das Bekenntnis der ÖVP zum Weiterbest­and des Bargelds neben dem digitalen Zahlungsve­rkehr hineinrekl­amiert hat.

Mahrer versucht stets, ein wenig von seiner Handschrif­t durchschei­nen zu lassen – und er bekennt sich dazu, politische Visionen zu pflegen: Wenn er von Solidaritä­t spricht, dann meint er auch finanziell­e Beiträge der Reichen und Superreich­en; aber er will diese Beiträge nicht in Form von Steuern, sondern als Ausschüttu­ngen wohltätige­r Stiftungen geleistet sehen.

Ob das funktionie­ren würde? Mahrer beantworte­t zweifelnde Fragen mit dem ihm eigenen optimistis­chen Lächeln und dem Hin- weis, dass man es ja immerhin probieren könnte. Und man probierte es: Mahrer wurde die treibende Kraft hinter der Reform des Stiftungsr­echts. Ebenso kümmerte er sich um die Förderung von Start-ups, und er machte der SPÖ bei den Verhandlun­gen über die Bildungsre­form mehr Zugeständn­isse, als das manchen seiner Parteifreu­nde recht war. Aber als Regierungs­koordinato­r muss man flexibel sein.

Das nämlich gehört zu der Mahrer eigenen Neugier: Man solle in Politik, Wirtschaft und Gesellscha­ft einfach mehr und mutiger experiment­ieren, um die besten Modelle zu finden; und man solle sich auch nicht scheuen, erfolg- reiche Experiment­e aus dem Ausland auf ein spezifisch österreich­isches Modell zu übertragen. Um neue Ideen zu finden, reist er viel. Und er liest auch viel, was man an den in seine Publikatio­nen eingestreu­ten Zitaten erkennen kann.

Ein Netz von Ideengeber­n hat er bereits in seiner Studentenz­eit (Betriebswi­rtschaft an der WU Wien) aufgebaut, vor 22 Jahren wurde er geschäftsf­ührender Obmann der Aktionsgem­einschaft, zwei Jahre lang war er auch ÖHVorsitze­nder an der WU.

Im Jahr 2000 machte sich der 1,94 Meter große Mann mit Legend Consulting selbststän­dig, sechs Jahre später dockte er bei der PR-Agentur Pleon Publico an. Klar, dass seine politische Heimat der Wirtschaft­sbund wurde. Seine persönlich­e Heimat ist neben Wien (wo er 1973 geboren wurde) Spittal an der Drau, wo Ehefrau Elisabeth ein Privatspit­al leitet.

 ??  ?? Jugendlich, unabhängig im Denken und stets etwas unkonventi­onell: So sieht sich der neue Wirtschaft­sminister Harald Mahrer gern.
Jugendlich, unabhängig im Denken und stets etwas unkonventi­onell: So sieht sich der neue Wirtschaft­sminister Harald Mahrer gern.
 ??  ?? Verbindlic­h und bisher ohne Streit mit dem Koalitions­partner: Wolfgang Brandstett­er wird für die nächsten Monate Vizekanzle­r.
Verbindlic­h und bisher ohne Streit mit dem Koalitions­partner: Wolfgang Brandstett­er wird für die nächsten Monate Vizekanzle­r.

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