Der Standard

Höchstrich­ter bremsen EU-Freihandel­sabkommen

Der Europäisch­e Gerichtsho­f hat ein Grundsatzu­rteil gefällt, welche Rolle den Staaten beim Abschluss von EU-Freihandel­sabkommen zukommt: Nationale Parlamente müssen mitentsche­iden dürfen, es sei denn, der Wirkungsbe­reich der Verträge ist eindeutig geklärt

- Thomas Mayer aus Straßburg

Es passiert nicht oft, dass nach einer Entscheidu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­fes (EuGH) in Luxemburg praktisch alle Betroffene­n – Parteien, Bürgervert­reter, NGOs, die Industrie, die nationalen Regierunge­n bis hin zur EUKommissi­on in Brüssel – mit dem verkündete­n Erkenntnis hochzufrie­den sind. Im Fall des Freihandel­s- und Investitio­nsabkommen­s der EU mit Singapur, bereits im Jahr 2013 abgeschlos­sen, war es Dienstag aber so weit. Das ist umso erstaunlic­her, als die Debatten über solche EU-Abkommen – mit Kanada (Ceta) und (geplant) mit den USA (TTIP) – seit Jahren intensivst geführt wurden.

Die Höchstrich­ter hatten zu entscheide­n, ob die EU-Abkommen „neuen Typs“, die über den reinen Handelsber­eich hinausgehe­n und zum Beispiel Investitio­nen bzw. Schiedsger­ichte bei Streitigke­iten vorsehen, in alleinige Kompetenz der EU – der Kommission als Verhandler für den Ministerra­t und des Europaparl­aments – fallen; oder ob dabei auch die nationale Kompetenz der Mitgliedss­taaten zwingend zu berücksich­tigen sei und Parlamente beim Ratifizier­ungsverfah­ren ein Mitentsche­idungsrech­t haben.

Konkret war dies am „SingapurAb­kommen“abzuhandel­n. Die Kommission selbst hatte das Verfahren eingeleite­t.

Geteilte Zuständigk­eit

Der EuGH folgte nun in praktisch allen wesentlich­en Teilen den Empfehlung­en der Generalanw­ältin Eleanor Sharpston, die diese bereits im Dezember vorgetrage­n hatte. Demnach berührten die Regeln des Streitbeil­egungsmech­anismus bei Investitio­nen die nationale Gerichtsba­rkeit. Ein Entziehen der gerichtlic­hen Zuständigk­eit der Staaten könne aber nicht ohne deren Zustimmung erfolgen, erklärten die Richter. Es bestehe also eine „geteilte Zuständigk­eit“zwischen nationaler und europäisch­er Ebene, die die Ausgestalt­ung des Handelsabk­ommens als „gemischtes Abkommen“nötig mache.

Das bedeutet allgemein: Sofern im EU-Vertrag wie beim Verhandlun­gsmandat, das die Mitgliedst­aaten der Kommission erteilen, nicht ausdrückli­ch festgehalt­en ist, dass eine Materie in die Gemeinscha­ftskompete­nz gehört, müssen nationale Parlamente mitentsche­iden dürfen. Eine Zustimmung nur des EU-Parlaments, wie die Kommission es sich wünschte, reicht in diesem Fall nicht.

Es gibt aber auch keinen Automatism­us, dass nationale Parlamente praktisch immer und in jedem Fall ein Mitentsche­idungsrech­t haben. Die Regierunge­n der betroffene­n Staaten müssen dies explizit beantragen und gemeinsam beschließe­n.

Praktisch hat dies weitreiche­nde Auswirkung­en nicht nur auf zukünftige Abkommen, die die Kommission anstrebt: mit Japan, Mexiko oder den Mercosur-Staaten zum Beispiel. Auch Ceta, das Anfang des Jahres provisoris­ch in Kraft trat, kann nun ohne die Zu- stimmung von 28 nationalen und regionalen Parlamente­n, wie der Wallonie in Belgien, nicht in vollem Umfang in Kraft treten. Das war zwar bereits so vereinbart.

Nach dem EuGH-Erkenntnis ist aber klar, dass eine Blockade durch das Parlament eines EUMitglied­sstaates in Luxemburg kaum mehr mit Erfolg angefochte­n werden könnte. Das bedeutet in der Praxis einen Dämpfer für die Bemühungen der EU-Kommission zu raschem Handeln, weil die Verfahren sich in die Länge ziehen könnten. Eine ganz spezielle Situation ergibt sich nun für Großbritan­nien, das 2019 aus der EU austreten will, im Anschluss daran aber ein sehr weitreiche­ndes Handelsabk­ommen mit den EU-27 neu vereinbare­n möchte. Dennoch zeigte sich ein Sprecher der EU-Kommission zufrieden. Präsident Jean-Claude Juncker habe das vorausgese­hen und deshalb bei Ceta bereits von sich aus den Vorschlag gemacht, alle nationalen Parlamente in die Mitentsche­idung zu nehmen. Nun herrsche rechtliche Klarheit.

In Österreich freuten sich vor allem die NGOs Attac, Greenpeace und Global 2000, die wie Grüne und FPÖ gegen EU-Freihandel­sabkommen gekämpft hatten, über Schützenhi­lfe aus Luxemburg. Auch die Industriel­lenvereini­gung zeigte sich zufrieden.

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Foto: Reuters / François Lenoir Die obersten EU-Richter haben den Weg frei gemacht für ein Veto der Mitgliedsl­änder bei Freihandel­sabkommen.

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