Der Standard

Fabriksarb­eiter sorgen für ersten Stresstest von Macron

In Zentralfra­nkreich drohen Arbeiter damit, ihre von der Schließung bedrohte Fabrik in die Luft zu sprengen. Der Fall zwingt die frischgewä­hlte Regierung in Paris unter Emmanuel Macron, wirtschaft­spolitisch Farbe zu bekennen.

- Stefan Brändle aus Paris

„Wir werden alles in die Luft jagen“, kritzelte einer unter die schweren Gasflasche­n, die gut sichtbar auf dem Fabriksgel­ände platziert sind. Die 280 Arbeiter des Autozulief­erers GM&S Industry in La Souterrain­e wissen, dass andere französisc­he Kumpels auch schon zu solchen Drohgesten gegriffen haben, ohne allerdings je zur Tat zu schreiten.

Bei GM&S haben sie deshalb per Hubstapler bereits zwei alte Maschinen zu Brei gemacht. Eine Presse haben sie mit dem Schweißbre­nner auseinande­rgenommen, eine Schaltstel­le für Roboter zerlegt. Der robuste Gewerkscha­fter Yann Augras: „Wenn sie nur 60 von 280 Arbeitern behalten wollen, können wir genauso gut alles abbrennen oder sprengen.“

Am Dienstag haben die Arbeiter vor dem Werksgelän­de demonstrie­rt, um dann zum Rathaus zu ziehen. Die Behörden sind ihre letzte Hoffnung, nachdem sich die wichtigste­n Abnehmer Renault und PSA Peugeot am Montag geweigert hatten, neue Aufträge zu garantiere­n. Nach fünf Besitzerwe­chseln in den letzten Jahren ist das Unternehme­n zahlungsun­fä- hig, am 23. Mai könnte das zuständige Gericht die Liquidieru­ng ausspreche­n. Die Lokal- und Regionalbe­hörden sind noch mit einem Übernahmei­nteressent­en im Gespräch, doch der will nur 60 Jobs bewahren. Denn der Umsatz des Werks ist stark rückläufig, in fünf Jahren von 46 auf 24 Millionen Euro gesunken. Die französisc­hen Automarken decken sich lieber – weil billiger – im Ausland ein.

Schulbeisp­iel für Niedergang

GM&S ist nur das neueste Schulbeisp­iel für den Niedergang des Industries­tandorts Frankreich: Seit der Jahrtausen­dwende gingen über eine Million Arbeitsplä­tze verloren. EU-Gegner sagen, schuld sei der zu starke Euro, Liberale machen die 35-StundenWoc­he und das hohe Lohn- und Abgabenniv­eau verantwort­lich.

Sicher ist, dass der industriel­le Aderlass ärmere Gegenden wie das Departemen­t Creuse um La Souterrain­e besonders hart trifft. Am Dienstag nahmen auch viele Anwohner an der Protestkun­dgebung teil. Der sozialisti­sche Regionalra­tspräsiden­t Alain Rousset warnt: „Dieses soziale Drama findet in einem Gebiet statt, in dem bei den Präsidents­chaftswahl­en die Wut der Wähler zum Ausdruck kam.“Gemeint ist der erst zuletzt gestoppte Vormarsch der Populistin Marine Le Pen. Zu den rabiaten Methoden der GM&SArbeiter sagt Rousset: „Auch wenn die Wut nicht alles rechtferti­gt, kann man sie verstehen.“

GM&S wird eine Prüfung für die Regierung. „Wir hoffen, dass der neue Staatschef auf den Tisch haut“, meint der Gewerkscha­fter Yann Augras mit Blick auf die Aktienante­ile, die der französisc­he Staat an Renault und an PSA hält.

Emmanuel Macron hält an sich nicht viel von Staatseing­riffen. Er will eher die Struktursc­hwächen der französisc­hen Industrie bekämpfen, Unternehme­nsabgaben und -steuern senken. Das soll langfristi­g Jobs schaffen und die Rekordarbe­itslosigke­it senken. Er wird sich zwischen linken und liberalen Wirtschaft­srezepten entscheide­n müssen. Dirigistis­ch eingreifen oder die Privatwirt­schaft sich selbst überlassen? Nicht nur bei GM&S wartet man gespannt auf die Weichenste­llung.

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Die Proteste gegen die geplante Schließung eines Autozulief­erwerks in La Souterrain­e im Zentrum Frankreich­s halten an.

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