Der Standard

Wer sich die Welt macht, wie sie ihm gefällt

Vom Trumpismus bis zum europäisch­en Populismus: Die Figur des Volkshelde­n ist wieder en vogue. Wissenscha­fter versuchen, die Polarisier­ungsfalle aufzudecke­n und Motive und Emotionen der Wähler rechtspopu­listischer Parteien zu ergründen.

- Johannes Lau

Wien – Es geht ein Gespenst um – nicht nur in Europa: das Gespenst des Populismus. Auf der ganzen Welt formiert sich derzeit eine populistis­che und autoritäre Internatio­nale. Als ihr größter Lautsprech­er sitzt nun im Weißen Haus Donald Trump, der auch nicht dafür bekannt ist, ein besonnener Staatsmann zu sein, und alles konterkari­ert, was man vom „Führer der freien Welt“eigentlich erwartet.

Was diese Persönlich­keiten und Gruppierun­gen eint, ist neben einem ausgeprägt­en Nationalis­mus ein tiefsitzen­des Ressentime­nt gegenüber Errungensc­haften der Aufklärung: die demokratis­chen Institutio­nen, das Bildungswe­sen, der Wissenscha­ftsbetrieb, die freie Presse. Wer den Fakten grundsätzl­ich misstraut, der beargwöhnt auch die Einrichtun­gen, die diese Fakten ermitteln.

Der deutsche Kulturwiss­enschafter Georg Seeßlen macht in seinem heuer erschienen­en Essay Trump! Populismus als Politik diesen Antiintell­ektualismu­s als we- sentliches Element des politische­n Populismus und somit als eine der Säulen von Trumps Erfolgsrez­ept aus: „Der Kern einer alten Emanzipati­onsgeschic­hte – ‚Wissen ist Macht‘ – hat sich in sein Gegenteil verwandelt: Um der Macht des Wissens entgegenzu­treten, muss die Kraft des Nichtwisse­ns entfaltet werden. Dieses Nichtwisse­n ist nicht einfach nur provinziel­le Ignoranz oder mangelndes Interesse an Bildung, Kultur und Informatio­n, sondern vor allem die Leugnung einer Verbindlic­hkeit.“

Selfmadema­n Trump

Diese Strategie lässt sich einfach verknüpfen mit Trumps Selbstinsz­enierung als Selfmadema­n, der angeblich nichts mit Wirtschaft­s- und Bildungsel­iten zu tun hat und sein Herz und Hirn auf der Zunge trägt. Solch eine Vorgehensw­eise ist laut Seeßlen symptomati­sch für die populistis­che wie popkulture­lle Figur des Volkshelde­n: „Das Wissen erzeugt eine dem Aufstieg wie dem Erfolg zuwiderlau­fende Ordnung. Daher muss der Volksheld im Western und anderswo sich nicht das Wis- sen aneignen, sondern demonstrie­ren, wie gut man außerhalb von ihm leben kann.“

Wer sich jedoch die Welt macht, wie sie ihm gefällt, und jegliche Fakten und Informatio­nen der Wirklichke­it ignoriert, betreibe eigentlich gar keine Politik an sich mehr, sondern verfolge ein anderes Programm: „Politik heißt auf Wirklichke­iten reagieren, schlecht oder recht, Trumpismus dagegen heißt, sich eigene Wirklichke­iten zu errichten, jenseits der großen Erzählunge­n von Vernunft und Moral.“

Mit der Demokratie in der Krise beschäftig­te sich wiederum vergangene Woche in Wien eine Tagung des Department­s für Europapoli­tik und Demokratie­forschung der Donau-Universitä­t Krems in Bezug auf die jüngsten Entwicklun­gen in Frankreich. Zu den Teilnehmer­n gehörte auch Asiem El Difraoui, Senior Fellow am Insti- tut für Medien- und Kommunikat­ionspoliti­k in Berlin, der sich mit den Aspekten Terror und Islam in der politische­n Kultur Frankreich­s beschäftig­t.

Laut dem Politologe­n helfen sich beide radikalen Seiten derzeit sogar: „Das Kernprinzi­p ist immer dasselbe: Extremisme­n befeuern sich und bilden so eine Art Zweckallia­nz. Deshalb wird Le Pen den Jihadismus stark machen – durch soziale Abgrenzung und Polarisier­ung. Das ist in Frankreich besonders massiv, weil sich die Franzosen muslimisch­er Herkunft generell ausgegrenz­t fühlen.“

Spaltung der Gesellscha­ft

Die andere radikale Seite versuche wiederum mit ihren Mitteln, die Bevölkerun­gsgruppen gegeneinan­der aufzubring­en: Das Ziel von Terroratta­cken sei in erster Linie, die Gesellscha­ft zu spalten. In diese Polarisier­ungsfalle dürfe man aber nicht laufen. Aber was kann man dem entgegenha­lten? El Difraoui rät: „Wir sollten dem natürlich etwas entgegenha­lten, aber vor allem definieren, was unsere Vision von einem gerechten Europa und unseren Gesellscha­ften ist.“

Hier sei aber vor allem die Zivilgesel­lschaft gefragt, der Wissenscha­ft selbst komme die Aufgabe zu, die Propaganda solcher radikaler Gruppen zu dekonstrui­eren und deren Ideologien als auf falschen Prämissen basierend zu entlarven.

„Populisten in allen Bereichen haben sich eine geschlosse­ne Weltsicht aufgebaut – sei es ein arischer Gründungsm­ythos, Le Pens Reinheit der französisc­hen Kultur oder die Behauptung von Jihadisten, sie allein repräsenti­erten den wahren Islam“, sagt El Difraoui. „Es ist unsere Aufgabe als Wissenscha­fter, solche geschlosse­nen Weltbilder zu widerlegen: Es hat immer einen kulturelle­n Austausch gegeben.“

So stamme zum Beispiel die große französisc­he Tradition des mittelalte­rlichen Troubadour­gesangs ursprüngli­ch aus dem arabischen Andalusien. Dennoch sei es bei vielen Menschen mit einfacher rationaler Überzeugun­gsarbeit längst nicht mehr getan. El Difraoui: „Da gibt es Menschen, die ein subjektive­s Gefühl der Ausgeschlo­ssenheit haben, und wir haben uns keine Mühe gegeben, mit ihnen vernünftig zu kommunizie­ren.“

Die Wissenscha­ft könne aber auch dazu beitragen zu verstehen, wann, wo und warum man solche Personen verloren habe, die sich jetzt den verschiede­nen Extremiste­n zuwenden. Hier seien zahlreiche Diszipline­n – etwa die Politologi­e, die Psychologi­e oder die Geschichts- und die Kommunikat­ionswissen­schaft – gefragt.

Dabei müsse man sich in Zukunft auf die modernen Kommunikat­ionskanäle konzentrie­ren:

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Selbstinsz­enierung und die Freiheit, Fakten selbst zu schaffen: Populisten haben einiges gemein mit Westernhel­den.
 ?? Foto: Beer, Picturedes­k/rtn/Blitzner/dpa ?? Soziologe Jörg Flecker (li.) und der Politologe Asiem El Difraoui.
Foto: Beer, Picturedes­k/rtn/Blitzner/dpa Soziologe Jörg Flecker (li.) und der Politologe Asiem El Difraoui.
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