„Politik ist von Gegensätzen geprägt“
Gegen rechte Populisten hilft nur linker Populismus, sagt die politische Theoretikerin Chantal Mouffe. Die Rechten können nicht mit Argumenten allein bekämpft werden – es bedarf auch der Leidenschaft. Demokratie gibt es nur, wo es eine Wahl zwischen echte
„Die derzeitige enorme technische Revolution kann sehr gefährlich für unsere Demokratie sein. Aber wir müssen auch genau analysieren, wie wir mit diesen Mitteln mit Menschen positiv kommunizieren können, die wir vorher nicht erreicht haben.“
Ins Gespräch mit den bereitwilligen Empfängern populistischer Botschaften tritt auch Jörg Flecker in seiner Forschung. Der Soziologe von der Universität Wien untersucht die Motive und Emotionen von Wählern rechtspopulistischer Parteien. Zu diesem Zweck wiederholt er derzeit eine zu Beginn des Jahrtausends durchgeführte Untersuchung in Österreich und Ungarn und kombiniert sie zusätzlich mit qualitativen Interviews. „Gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen führen häufig zu Unsicherheit und Abstiegsängsten. Bei einer ausbleibenden Reaktion der zuständigen Entscheidungsträger ergibt das ein Ohnmachtsempfinden, das von der extremen Rechten erfolgreich aufgegriffen werden kann.“
Jedoch betont Flecker, dass dieser Zusammenhang nicht allgemein gelte: Schließlich sei etwa in der Flüchtlingssituation nicht nur Ablehnung, sondern auch viel Empathie beobachtet worden – in allen sozialen Schichten. Der Soziologe weist zudem darauf hin, dass sich bereits in der früheren Studie die seinerzeit verbreitete These nicht mehr als haltbar erwies, dass nur Modernisierungsverlierer Rechtsextreme wählten, sondern sehr wohl auch wirtschaftlich Bessergestellte – diese tun das laut Flecker vermutlich aus einem übersteigerten Leistungsverständnis.
Wohlfahrtschauvinismus
Jedoch sei auch zu beobachten, dass eine gemeinhin auf linker Seite verortete Haltung wie Solidarität ebenso bei rechten Wählern anzutreffen sei – jedoch dann häufig lediglich gegenüber den eigenen Landsleuten oder in Form dessen, was man in der Politikwissenschaft „Wohlfahrtschauvinismus“nennt: Fremde werden geduldet, solange sie nicht gleichberechtigt am Sozialsystem teilhaben. Das ist hierzulande inzwischen auch eine sozialdemokratische Position.
„Man darf heute den Rechtspopulismus nicht nur in Zusammenhang mit bestimmten Parteien bringen – das ist übergreifend. Der aktuelle Erfolg der Rechtspopulisten ist nur zu verstehen, wenn man berücksichtigt, dass diese Wählerschaft sehr vielfältig ist.“Somit laufen die Wähler nicht zwingend nach rechts über, sondern gleichzeitig verschiebt sich die Mitte auch nach rechts.
Der von Populisten selbst gern eingesetzte angebliche Gegensatz von „Elite“und „einfachem Volk“lässt sich angesichts der Wählerzusammensetzung dieser Parteien ohnehin kaum mehr aufrechterhalten. Georg Seeßlen stellt deshalb am Ende seines Buches auch die beunruhigende Frage: „Was ist, wenn die Demokratie nicht weiter mehrheitsfähig ist?“
pJörg Flecker hält am 7. Juni 2017 im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Am Puls“des Wissenschaftsfonds FWF und der Agentur PR&D einen Vortrag zum Thema „Populismus – Die neue politische Macht“, um 18 Uhr im Theater Akzent, Theresianumgasse 18, 1040 Wien. Anmeldung erforderlich unter schlicker@prd.at www.fwf.ac.at Georg Seeßlen, „Trump! Populismus als Politik“. € 8,20 / 144 Seiten. Bertz + Fischer, Berlin 2017 INTERVIEW: STANDARD: Leben wir Ihrer Meinung nach in einer funktionierenden Demokratie? Mouffe: Nein, wir leben in einer postdemokratischen, postpolitischen Situation. Die Parteien der Mitte vertreten den Konsens, dass es zur neoliberalen Globalisierung keine Alternative gibt. Selbst die gemäßigt linken Parteien glauben, diese Entwicklung nur etwas humaner managen zu können, vertreten aber im Kern dasselbe. So hat man nur die Wahl zwischen Pepsi und Coca-Cola. Das ist die Wurzel der gegenwärtigen Krise der Demokratie.
STANDARD: Inwiefern? Mouffe: In dieser Situation können sich Bürger kein Gehör verschaffen. Obwohl sie wählen, können sie keine wirkliche Entscheidung treffen und Einfluss nehmen. So fühlen sie sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten. Wirkliche Demokratie gibt es nur, wo es eine Wahl zwischen echten Alternativen gibt, wo Konflikt ausgetragen wird.
STANDARD: Geht es in der Demokratie nicht vielmehr darum, Ausgleich oder Konsens zu erreichen? Mouffe: In politischen Fragen gibt es nie nur eine rationale Antwort. Einen alle versöhnenden Konsens kann es nicht geben. Politik ist vielmehr von Gegensätzen geprägt, zwischen denen man nicht vermitteln kann, sondern entscheiden muss. In der Politik geht es um solche Konflikte. Daran kann auch die Demokratie nichts ändern.
Woher
rühren
diese
STANDARD: Konflikte? Mouffe: Unser Demokratieverständnis speist sich aus zwei Tra- ditionen, einer liberalen mit dem Hauptwert Freiheit und einer demokratischen mit dem Hauptwert Gleichheit. Grob entspricht das dem Gegensatz von rechts und links. Zwischen ihnen gibt es eine unlösbare Spannung: Völlige Freiheit und völlige Gleichheit können nicht zusammen bestehen. Darum wird immer ein Moment das andere dominieren, ihr Verhältnis muss immer wieder neu ausgehandelt werden. Dieser Aushandlungsprozess hat mit Durchsetzung des Neoliberalismus aufgehört. Heute dominiert das liberale Moment das demokratische vollends. Damit wurde der demokratische Konflikt stillgestellt, und darum spreche ich von einer postdemokratischen, postpolitischen Situation.
STANDARD: Was sind die Folgen davon? Mouffe: Wenn es keine echten Alternativen gibt, bereitet das den Nährboden für rechte Populisten. Deren Erfolge sind eine direkte Konsequenz des neoliberalen Konsenses. Mit fremdenfeindlicher und nationalistischer Rhetorik versprechen Leute wie US-Präsident Donald Trump, eine echte Alternative zu sein und den Bürgern wieder eine Stimme zu geben. Ihre Erfolge verkörpern eine Infragestellung der Postdemokratie, die eigentlich berechtigte Forderung nach mehr Demokratie. Das Problem ist die Art und Weise, wie sie das tun.
STANDARD: Das klingt paradox: Mit der Stimme für Trump versuchen Wähler, ihre Forderung nach echter Demokratie zu artikulieren. Mouffe: Für mich klingt es geradezu evident. Viele Wähler Trumps waren Arbeiter aus deindustriali- sierten Regionen. Diese Leute wurden von der Demokratischen Partei völlig aufgegeben, die sich stattdessen Wall Street und Minderheiten zuwandte. Von der Partei, die sie traditionell vertrat, den Rücken zugekehrt, entschieden sich die Menschen für Trump, der mit ihnen redete, sich für sie interessierte und eine Alternative versprach.
STANDARD: Muss die Forderung nach mehr Demokratie immer dem rechten Populismus in die Hände spielen? Mouffe: Nein. Jean-Luc Mélenchon in Frankreich, Bernie Sanders in den USA, Podemos in Spanien und Syriza in Griechenland sind Beispiele für Bewegungen, den neoliberalen Konsens von links infrage zu stellen. Die Forderung nach echten Alternativen formulieren sie auf eine linke, fortschrittliche Weise. Statt Einwanderer zu Feinden zu machen, suchen sie die Konfrontation mit den Kräften des Neoliberalismus. Rechten Populismus können nur solche linkspopulistischen Bewegungen wirksam bekämpfen. Die Zukunft der Demokratie wird darum von einer Konfrontation zwischen Rechtsund Linkspopulismus geprägt sein.
STANDARD: Können damit Wähler rechter Populisten überzeugt werden? Mouffe: Die Kampagne Mélenchons bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich zeigte, dass sie zurückgewonnen werden können. Le Pen blieb unter ihren Prognosen, weil sich Wähler stattdessen ihm zuwandten. Er hat in einigen Städten gewonnen, in denen zu- vor der Front National dominierte. Linker Populismus zeigte sich hier als die richtige Strategie. Mélenchon gelang es auch, Affekte und Leidenschaften für sein Projekt zu mobilisieren. Sie bilden ein wichtiges Element jeder Bewegung, um rechte Populisten zu bekämpfen.
STANDARD: Sind Affekte in der Politik nicht gefährlich? Mouffe: Die Linke war lange zu rationalistisch. Affekte zu bedienen galt als rechts oder gar faschistisch. Man kann rechten Populismus aber nicht allein mit Argumenten bekämpfen. Der Philosoph Spinoza hatte recht damit, dass ein Affekt nur durch einen anderen, stärkeren Affekt bekämpft werden kann. Neben einem politischen Programm braucht es daher auch Affekte in der Politik. Dass rechte Populisten die Wichtigkeit von Affekten früh verstanden, ist gerade einer der Gründe dafür, warum sie in der Vergangenheit erfolgreich waren. Sie müssen nicht immer die Form von Nationalismus und Fremdenhass annehmen. Mit seiner Libidotheorie zeigte Sigmund Freud, dass sich dieselben affektiven Energien je nach Kontext verschieden äußern können. So können linke Bewegungen auch Leidenschaft für Gerechtigkeit und Gleichheit mobilisieren.
CHANTAL MOUFFE (geb. 1943 im belgischen Charleroi) ist Professorin für politische Theorie an der University of Westminster, London. Heuer hielt sie die JanPatočka-Gedächtnisvorlesung des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen in Wien, an dem sie von Mai bis Juli als Gastforscherin tätig ist.