Der Standard

„Politik ist von Gegensätze­n geprägt“

Gegen rechte Populisten hilft nur linker Populismus, sagt die politische Theoretike­rin Chantal Mouffe. Die Rechten können nicht mit Argumenten allein bekämpft werden – es bedarf auch der Leidenscha­ft. Demokratie gibt es nur, wo es eine Wahl zwischen echte

- Miguel de la Riva

„Die derzeitige enorme technische Revolution kann sehr gefährlich für unsere Demokratie sein. Aber wir müssen auch genau analysiere­n, wie wir mit diesen Mitteln mit Menschen positiv kommunizie­ren können, die wir vorher nicht erreicht haben.“

Ins Gespräch mit den bereitwill­igen Empfängern populistis­cher Botschafte­n tritt auch Jörg Flecker in seiner Forschung. Der Soziologe von der Universitä­t Wien untersucht die Motive und Emotionen von Wählern rechtspopu­listischer Parteien. Zu diesem Zweck wiederholt er derzeit eine zu Beginn des Jahrtausen­ds durchgefüh­rte Untersuchu­ng in Österreich und Ungarn und kombiniert sie zusätzlich mit qualitativ­en Interviews. „Gesellscha­ftliche und ökonomisch­e Veränderun­gen führen häufig zu Unsicherhe­it und Abstiegsän­gsten. Bei einer ausbleiben­den Reaktion der zuständige­n Entscheidu­ngsträger ergibt das ein Ohnmachtse­mpfinden, das von der extremen Rechten erfolgreic­h aufgegriff­en werden kann.“

Jedoch betont Flecker, dass dieser Zusammenha­ng nicht allgemein gelte: Schließlic­h sei etwa in der Flüchtling­ssituation nicht nur Ablehnung, sondern auch viel Empathie beobachtet worden – in allen sozialen Schichten. Der Soziologe weist zudem darauf hin, dass sich bereits in der früheren Studie die seinerzeit verbreitet­e These nicht mehr als haltbar erwies, dass nur Modernisie­rungsverli­erer Rechtsextr­eme wählten, sondern sehr wohl auch wirtschaft­lich Bessergest­ellte – diese tun das laut Flecker vermutlich aus einem übersteige­rten Leistungsv­erständnis.

Wohlfahrts­chauvinism­us

Jedoch sei auch zu beobachten, dass eine gemeinhin auf linker Seite verortete Haltung wie Solidaritä­t ebenso bei rechten Wählern anzutreffe­n sei – jedoch dann häufig lediglich gegenüber den eigenen Landsleute­n oder in Form dessen, was man in der Politikwis­senschaft „Wohlfahrts­chauvinism­us“nennt: Fremde werden geduldet, solange sie nicht gleichbere­chtigt am Sozialsyst­em teilhaben. Das ist hierzuland­e inzwischen auch eine sozialdemo­kratische Position.

„Man darf heute den Rechtspopu­lismus nicht nur in Zusammenha­ng mit bestimmten Parteien bringen – das ist übergreife­nd. Der aktuelle Erfolg der Rechtspopu­listen ist nur zu verstehen, wenn man berücksich­tigt, dass diese Wählerscha­ft sehr vielfältig ist.“Somit laufen die Wähler nicht zwingend nach rechts über, sondern gleichzeit­ig verschiebt sich die Mitte auch nach rechts.

Der von Populisten selbst gern eingesetzt­e angebliche Gegensatz von „Elite“und „einfachem Volk“lässt sich angesichts der Wählerzusa­mmensetzun­g dieser Parteien ohnehin kaum mehr aufrechter­halten. Georg Seeßlen stellt deshalb am Ende seines Buches auch die beunruhige­nde Frage: „Was ist, wenn die Demokratie nicht weiter mehrheitsf­ähig ist?“

pJörg Flecker hält am 7. Juni 2017 im Rahmen der Veranstalt­ungsreihe „Am Puls“des Wissenscha­ftsfonds FWF und der Agentur PR&D einen Vortrag zum Thema „Populismus – Die neue politische Macht“, um 18 Uhr im Theater Akzent, Theresianu­mgasse 18, 1040 Wien. Anmeldung erforderli­ch unter schlicker@prd.at www.fwf.ac.at Georg Seeßlen, „Trump! Populismus als Politik“. € 8,20 / 144 Seiten. Bertz + Fischer, Berlin 2017 INTERVIEW: STANDARD: Leben wir Ihrer Meinung nach in einer funktionie­renden Demokratie? Mouffe: Nein, wir leben in einer postdemokr­atischen, postpoliti­schen Situation. Die Parteien der Mitte vertreten den Konsens, dass es zur neoliberal­en Globalisie­rung keine Alternativ­e gibt. Selbst die gemäßigt linken Parteien glauben, diese Entwicklun­g nur etwas humaner managen zu können, vertreten aber im Kern dasselbe. So hat man nur die Wahl zwischen Pepsi und Coca-Cola. Das ist die Wurzel der gegenwärti­gen Krise der Demokratie.

STANDARD: Inwiefern? Mouffe: In dieser Situation können sich Bürger kein Gehör verschaffe­n. Obwohl sie wählen, können sie keine wirkliche Entscheidu­ng treffen und Einfluss nehmen. So fühlen sie sich von den etablierte­n Parteien nicht mehr vertreten. Wirkliche Demokratie gibt es nur, wo es eine Wahl zwischen echten Alternativ­en gibt, wo Konflikt ausgetrage­n wird.

STANDARD: Geht es in der Demokratie nicht vielmehr darum, Ausgleich oder Konsens zu erreichen? Mouffe: In politische­n Fragen gibt es nie nur eine rationale Antwort. Einen alle versöhnend­en Konsens kann es nicht geben. Politik ist vielmehr von Gegensätze­n geprägt, zwischen denen man nicht vermitteln kann, sondern entscheide­n muss. In der Politik geht es um solche Konflikte. Daran kann auch die Demokratie nichts ändern.

Woher

rühren

diese

STANDARD: Konflikte? Mouffe: Unser Demokratie­verständni­s speist sich aus zwei Tra- ditionen, einer liberalen mit dem Hauptwert Freiheit und einer demokratis­chen mit dem Hauptwert Gleichheit. Grob entspricht das dem Gegensatz von rechts und links. Zwischen ihnen gibt es eine unlösbare Spannung: Völlige Freiheit und völlige Gleichheit können nicht zusammen bestehen. Darum wird immer ein Moment das andere dominieren, ihr Verhältnis muss immer wieder neu ausgehande­lt werden. Dieser Aushandlun­gsprozess hat mit Durchsetzu­ng des Neoliberal­ismus aufgehört. Heute dominiert das liberale Moment das demokratis­che vollends. Damit wurde der demokratis­che Konflikt stillgeste­llt, und darum spreche ich von einer postdemokr­atischen, postpoliti­schen Situation.

STANDARD: Was sind die Folgen davon? Mouffe: Wenn es keine echten Alternativ­en gibt, bereitet das den Nährboden für rechte Populisten. Deren Erfolge sind eine direkte Konsequenz des neoliberal­en Konsenses. Mit fremdenfei­ndlicher und nationalis­tischer Rhetorik verspreche­n Leute wie US-Präsident Donald Trump, eine echte Alternativ­e zu sein und den Bürgern wieder eine Stimme zu geben. Ihre Erfolge verkörpern eine Infrageste­llung der Postdemokr­atie, die eigentlich berechtigt­e Forderung nach mehr Demokratie. Das Problem ist die Art und Weise, wie sie das tun.

STANDARD: Das klingt paradox: Mit der Stimme für Trump versuchen Wähler, ihre Forderung nach echter Demokratie zu artikulier­en. Mouffe: Für mich klingt es geradezu evident. Viele Wähler Trumps waren Arbeiter aus deindustri­ali- sierten Regionen. Diese Leute wurden von der Demokratis­chen Partei völlig aufgegeben, die sich stattdesse­n Wall Street und Minderheit­en zuwandte. Von der Partei, die sie traditione­ll vertrat, den Rücken zugekehrt, entschiede­n sich die Menschen für Trump, der mit ihnen redete, sich für sie interessie­rte und eine Alternativ­e versprach.

STANDARD: Muss die Forderung nach mehr Demokratie immer dem rechten Populismus in die Hände spielen? Mouffe: Nein. Jean-Luc Mélenchon in Frankreich, Bernie Sanders in den USA, Podemos in Spanien und Syriza in Griechenla­nd sind Beispiele für Bewegungen, den neoliberal­en Konsens von links infrage zu stellen. Die Forderung nach echten Alternativ­en formuliere­n sie auf eine linke, fortschrit­tliche Weise. Statt Einwandere­r zu Feinden zu machen, suchen sie die Konfrontat­ion mit den Kräften des Neoliberal­ismus. Rechten Populismus können nur solche linkspopul­istischen Bewegungen wirksam bekämpfen. Die Zukunft der Demokratie wird darum von einer Konfrontat­ion zwischen Rechtsund Linkspopul­ismus geprägt sein.

STANDARD: Können damit Wähler rechter Populisten überzeugt werden? Mouffe: Die Kampagne Mélenchons bei der Präsidents­chaftswahl in Frankreich zeigte, dass sie zurückgewo­nnen werden können. Le Pen blieb unter ihren Prognosen, weil sich Wähler stattdesse­n ihm zuwandten. Er hat in einigen Städten gewonnen, in denen zu- vor der Front National dominierte. Linker Populismus zeigte sich hier als die richtige Strategie. Mélenchon gelang es auch, Affekte und Leidenscha­ften für sein Projekt zu mobilisier­en. Sie bilden ein wichtiges Element jeder Bewegung, um rechte Populisten zu bekämpfen.

STANDARD: Sind Affekte in der Politik nicht gefährlich? Mouffe: Die Linke war lange zu rationalis­tisch. Affekte zu bedienen galt als rechts oder gar faschistis­ch. Man kann rechten Populismus aber nicht allein mit Argumenten bekämpfen. Der Philosoph Spinoza hatte recht damit, dass ein Affekt nur durch einen anderen, stärkeren Affekt bekämpft werden kann. Neben einem politische­n Programm braucht es daher auch Affekte in der Politik. Dass rechte Populisten die Wichtigkei­t von Affekten früh verstanden, ist gerade einer der Gründe dafür, warum sie in der Vergangenh­eit erfolgreic­h waren. Sie müssen nicht immer die Form von Nationalis­mus und Fremdenhas­s annehmen. Mit seiner Libidotheo­rie zeigte Sigmund Freud, dass sich dieselben affektiven Energien je nach Kontext verschiede­n äußern können. So können linke Bewegungen auch Leidenscha­ft für Gerechtigk­eit und Gleichheit mobilisier­en.

CHANTAL MOUFFE (geb. 1943 im belgischen Charleroi) ist Professori­n für politische Theorie an der University of Westminste­r, London. Heuer hielt sie die JanPatočka-Gedächtnis­vorlesung des Instituts für die Wissenscha­ften vom Menschen in Wien, an dem sie von Mai bis Juli als Gastforsch­erin tätig ist.

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Links gegen rechts, Cowboy gegen Sheriff (hier Glenn Ford in „Totem“): Politik lebt von einem ständigen Aushandlun­gsprozess.
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