Der Standard

In Hochgeschw­indigkeit vom Labor auf den Markt

In Graz wurde eine Pilotfabri­k eröffnet, die die Entwicklun­g serienreif­er Medikament­e massiv beschleuni­gen soll

- Doris Griesser

Graz – „Die Grundproze­sse der pharmazeut­ischen Produktion haben sich seit den 1950er-Jahren kaum verändert“, erklärt Johannes Khinast, wissenscha­ftlicher Leiter des Research Center Pharmaceut­ical Engineerin­g in Graz (RCPE). Das habe auch mit dem Risiko zu tun, das Unternehme­n mit einem neuen Produktion­sprozess eingehen: Wenn dieser nämlich nicht hundertpro­zentig funktionie­rt, drohen Millionenv­erluste.

So vergehen zwischen der Entdeckung neuer pharmazeut­ischer Wirkstoffk­ombination­en und der Herstellun­g serienreif­er Medikament­e im Schnitt über zehn Jahre. Auch die lange Zeit äußerst strengen behördlich­en Vorgaben haben ihren Beitrag zur Risikosche­u der Pharmaindu­strie geleistet. Seit einigen Jahren gibt es jedoch gelockerte regulatori­sche Ansätze, wodurch es zu einem beträchtli­chen Innovation­sschub kam.

Neue, hochwirksa­me Medikament­e und Verabreich­ungstechno­logien werden derzeit intensiv erforscht. Insbesonde­re in der personalis­ierten Medizin setzt man häufig hochaktive Wirkstoffe ein, die bei der Herstellun­g der Medikament­e spezielle Sicherheit­smaßnahmen erforderli­ch machen und die Pharmaindu­strie vor neue Herausford­erungen stellen.

Vor diesem Hintergrun­d wurde 2008 mit Unterstütz­ung des Kom- petenzzent­renprogram­ms Comet von Wirtschaft­s- und Verkehrsmi­nisterium das RCPE gegründet. Mittlerwei­le arbeiten 130 Leute in diesem K1-Kompetenzz­entrum an der Entwicklun­g neuer pharmazeut­ischer Prozesse für hochpotent­e Wirkstoffe. „Die Nachfrage nach unseren Forschungs­leistungen ist groß“, sagt Thomas Klein, wirtschaft­licher Leiter von RCPE.

Wirkstoffe statt Placebos

In der kürzlich eröffneten 600 Quadratmet­er großen Pilotfabri­k können nun Produktion­sprozesse für echte Wirkstoffe und sogar giftige Substanzen entwickelt werden. Bisher musste bei erfolgvers­prechenden Medikament­enentwickl­ungen im Labor zunächst mit Placebos gearbeitet werden, bevor man an die industriel­le Umsetzung gehen konnte. Diesen Zwischensc­hritt erspart man sich mit der neuen Versuchsan­lage.

Die Arbeit mit hochaktive­n Substanzen wie beispielsw­eise Hormonen erfordert besondere Sicherheit­svorrichtu­ngen: So muss etwa das Abwasser speziell behandelt werden, man braucht eine eigene Luftaufber­eitung und eine Druckregul­ation: In Räumen, in die keinesfall­s Kontaminat­ionen von außen eindringen dürfen, wird zum Beispiel ein Überdruck erzeugt. Um keine Gefahrenst­offe nach außen dringen zu lassen, braucht man in gewissen Labors wiederum einen leichten Unterdruck. Auf diese Weise gibt es auch durch die kleinste Ritze kein Entweichen ge- fährlicher Substanzen. Selbst mit explosions­fördernden Stoffen können die Forscher sicher in der neuen Grazer RCPE-Pilotfabri­k arbeiten.

„Mit dieser Anlage helfen wir mit, neue Medikament­e bedeutend schneller vom Labor auf den Markt zu bringen“, sagt Johannes Khinast. Durch die Auslagerun­g der Prozessent­wicklung für neue Substanzen an das ERPE könnten sich die Unternehme­n Jahre an eigener Entwicklun­gsarbeit sparen. Außerdem würden die Medikament­e ein bis zwei Jahre früher auf den Markt gelangen, da sich die Verfahren dank der neuen Anlage gleich mit dem Wirkstoff testen lassen.

Weltweit eine Seltenheit

Kein Wunder also, dass man Interessen­ten aus der Pharmaindu­strie nicht suchen musste: „Schon vor ihrer Eröffnung war die Hälfte der Pilot-Plant bis ins Jahr 2020 durch Forschungs­aufträge mit Kunden belegt“, berichtet Thomas Klein. Mehr als fünf Millionen Euro investiert­e das von TU Graz, Universitä­t Graz und Joanneum Research getragene und in Kooperatio­n mit internatio­nalen Pharmafirm­en betriebene Forschungs­unternehme­n in das neue Laborgebäu­de. „Weltweit gibt es mit uns nur drei Zentren auf diesem Level“, so Khinast. „Eines in den USA, eines in Schottland und jetzt eines in Graz.“

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Eine Pilotfabri­k für Forscher und Pharmaindu­strie: Hier wird unter Hochsicher­heitsbedin­gungen mit echten Wirkstoffe­n gearbeitet.

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