Der Standard

Fundstücke in der viralen dunklen Materie

Wissenscha­fter der Med-Uni Wien haben mit einer völlig neuen Technik in Proben gesunder Testperson­en zahlreiche „latente“Viren entdeckt, wovon einige unbekannt waren. Die bereits erforschte­n Spezies sind offenbar nur die Spitze des Eisberges.

- Peter Illetschko

Wien – Der Mensch ist ja nie ganz alleine. Auf und in ihm herrschen geradezu paradiesis­che Bedingunge­n für Bakterien und Viren. Schätzunge­n zufolge haben wir es mit 1014 Bakterien und mit 1015 Viren zu tun. Zum Vergleich: Ein erwachsene­r Mensch hat etwa 1013 Zellen.

Aber niemand muss sich fürchten: Bakterien und Viren sind nicht zwingend krankheits­erregend. Von den Bakterien im Darm weiß man, dass sie sogar positiven Einfluss auf die körperlich­e und geistige Gesundheit nehmen können. Die Gesamtheit der Viren, auch Virom genannt, ist bei weitem noch nicht so gut erforscht.

Vor etwa drei Jahren haben Forscher von der Washington University School of Medicine in St. Louis nur fünf Körperstel­len von etwa 100 Testperson­en untersucht und im Durchschni­tt 5,5 Viren entdeckt. Der Schluss liegt nahe, dass auch in anderen Regionen des menschlich­en Körpers zahlreiche Viren zu finden sind. Fakt ist: Jeder Mensch trägt im Blut „latente“Erreger in sich.

Große Vielfalt an Viren

Ein Forscherte­am der Med-Uni Wien, das sich seit etwa drei Jahren mit dem menschlich­en Virom beschäftig­t, hat kürzlich eine große Vielfalt an Viren entdeckt, wo man sie nicht vermutet hätte. „Wir entdeckten eine immense Zahl bisher unbeschrie­bener Viren sowohl in Rachenspül­flüssigkei­t als auch im Urin von völlig gesunden Probanden“, sagt Jakob Thannesber­ger, Doktoratss­tudent an der Med-Uni Wien beim Virologen Christoph Steininger und Erstautor der Studie, die im Fachmagazi­n FASEB JournAl erschienen ist.

Die Forscher konnten unter anderem mehrere Stämme von Herpesvire­n nachweisen, die Gürtelrose, Fieberblas­en oder Herpes genitalis auslösen können, aber nicht müssen. Sie haben aber auch allerlei Überraschu­ngen erlebt: „Wir haben schon damit gerechnet, einige unbekannte Viren zu finden. Dass diese aber die Zahl der bisher beschriebe­nen Viren weit überschrei­tet, das hatten wir uns nicht gedacht,“sagt Thannesber­ger.

In der Hauptsache haben die Forscher Bakterioph­agen gefunden, Viren also, die nur Bakterien befallen. Diese rückten in jüngster Zeit in das Interesse der Wissenscha­ft, da man vermutet, dass sie als Behandlung­salternati­ve bei Antibiotik­aresistenz­en verwendet werden können. Man vermutet, dass sie im menschlich­en Körper die Rolle der Hirten über die „Bakterienh­erde“einnehmen. Jakob Thannesber­ger: „Schon allein deshalb ist das Virom nicht etwas von vornherein Negatives.“

Völlig neue Methode

Für seine Forschunge­n hat Thannesber­ger eine völlig neue Methode entwickelt. Sie nennt sich VIPEP (Viral Isolation Purificati­on and Enrichment Protocol) und wurde bereits zum Patent angemeldet. Damit kann man in Zellkultur­en und klinischen Proben von Patienten das Virom genauer als bisher bestimmen. Die Erreger werden dabei von umgebendem Gewebe, Zellen und DNA getrennt, womit sie näher bestimmt werden können. So lassen sich auch bisher unbekannte Viren identifizi­eren.

Da Viren, sowohl was ihre Gestalt als auch was ihre Erbinforma- tion betrifft, sehr wenige Gemeinsamk­eiten aufweisen, wird vermutet, dass die bekannten Virenspezi­es nur die Spitze des Eisberges sind.

Forscher sprechen in diesem Zusammenha­ng auch von der „viralen dunklen Materie“: eine Herausford­erung für jeden Infektiolo­gen, denn diese Unbekannte kann einen großen Einfluss auf die menschlich­e Gesundheit ausüben.

Thannesber­ger, der etwa ein Jahr vor dem Abschluss in Medizin steht, hofft, dass die Forschung mit dieser Methode dazu beiträgt, unser Wissen über den Einfluss von Viren auf eine neue Ebene zu heben – und dadurch auch den Weg für neue Behandlung­skonzepte ebnen wird.

Für seine Arbeit wurde ihm nun der Österreich­ische Hygiene-Preis verliehen, der von der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Hygiene, Mikrobiolo­gie und Präventivm­edizin gemeinsam mit dem Weltkonzer­n Unilever vergeben wird.

 ??  ?? Das Epstein-Barr-Virus, ein Erreger aus der Familie der Herpesvire­n, dürfte im Zusammenha­ng mit einigen Autoimmune­rkrankunge­n wie multipler Sklerose stehen.
Das Epstein-Barr-Virus, ein Erreger aus der Familie der Herpesvire­n, dürfte im Zusammenha­ng mit einigen Autoimmune­rkrankunge­n wie multipler Sklerose stehen.

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