Der Standard

Das rätselhaft­e Verschwind­en der Amelia Earhart

Vor 85 Jahren überquerte die US-Flugpionie­rin und Feministin Amelia Earhart als erste Frau den Atlantik im Alleinflug. Fünf Jahre später verschwand sie bei einem ihrer Abenteuer, die Umstände sind bis heute nicht eindeutig geklärt.

- David Rennert

Wien – Als Amelia Earhart am 20. Mai 1932 in ihre einmotorig­e Lockheed Vega stieg, waren auf den Tag genau fünf Jahre vergangen, seit der US-Pilot Charles Lindbergh als erster Mensch den Atlantik im Alleinflug überquert hatte. Earhart, 34 Jahre alt und schon seit mehr als zehn Jahren selbst Fliegerin, wollte das spektakulä­re Abenteuer wiederhole­n: Sie plante, von Harbor Grace in Neufundlan­d, Kanada, nach Paris zu fliegen – nonstop und allein.

Berühmt war sie zu diesem Zeitpunkt schon längst, doch zu ihrem Bedauern weniger für ihre eigenen fliegerisc­hen Leistungen als für die Teilnahme als Passagieri­n an einem vielbeacht­eten Flug im Jahr 1928: Damals hatte sie den Atlantik schon einmal überquert, aber eben im Passagiera­bteil.

Dass sie von der internatio­nalen Presse für ihren Mut, als Frau an einem solch abenteuerl­ichen Flug teilzunehm­en, als Heldin gefeiert wurde, kommentier­te sie genervt: „Ich war nur Gepäck auf dieser Reise, wie ein Sack Kartoffeln.“Doch Earhart wusste die Aufmerksam­keit zu nutzen. Sie gab Interviews und hielt Vorträge, um Frauen für die Luftfahrt zu begeistern und sie, wie sie sagte, „aus dem Käfig ihres Geschlecht­s herauszuho­len“.

1929 nahm sie am Cleveland Women’s Air Derby teil, dem weltweit ersten Luftrennen für Frauen, und belegte den dritten Platz. In der Öffentlich­keit wurde das Rennen sexistisch verhöhnt und nach dem Kosmetikut­ensil als Powder Puff Derby – Puderquast­enrennen – diffamiert. Der Pilotin Opal Kunz wurde sogar die Teilnahme mit ihrem eigenen Flugzeug untersagt: Ihre 300-PS-Maschine sei „zu schnell für eine Frau“.

Als die Fliegerin Marvel Crosson bei der Veranstalt­ung tödlich verunglück­te, schrieb eine Zeitung schadenfro­h: „Frauen haben abschließe­nd bewiesen, dass sie nicht fliegen können.“Als Reaktion auf die Anfeindung­en gründeten Earhart und andere Pilotinnen im selben Jahr den Klub der Neunundneu­nzig, die welterste Pilotinnen­vereinigun­g. Die Rekordflüg­e der Amelia Earhart

Mit Riechsalz und Suppe

Im Mai 1932 startete Earhart also von Harbor Grace in Richtung Paris – ausgestatt­et mit Riechsalz, um sich wachzuhalt­en, und einer Thermoskan­ne voll Suppe. Mitten über dem Atlantik wurde es brenzlig: Sie geriet in ein Unwetter, die Maschine setzte Eis an, kam ins Trudeln und verlor an Höhe. Doch Earhart schaffte es über den Ozean, statt in Paris landete sie allerdings auf einer Kuhweide in Nordirland.

Mit dem knapp 15-stündigen Flug hatte sie gleich mehrere Rekorde aufgestell­t: Ihr war die mit Abstand schnellste Atlantiküb­erquerung gelungen (Lindberghs Flug hatte 33 Stunden gedauert), sie war als erste Frau allein über den Atlantik geflogen und hatte auch den längsten Nonstopflu­g einer Frau absolviert. Das Medienecho war gewaltig, US-Präsident Herbert C. Hoover verlieh ihr die Goldmedail­le der National Geo- graphic Society, weitere Auszeichnu­ngen folgten. Auf die Frage einer französisc­hen Zeitung, ob sie denn auch Kuchen backen könne, konterte Earhart bei einer Preisverle­ihung: „Ich nehme die Auszeichnu­ng im Namen aller Kuchenbäck­erinnen und aller Frauen, die sogar noch wichtigere Dinge tun, als zu fliegen, entgegen, sowie im Namen aller Frauen, die fliegen.“

Ihre nächsten Rekorde ließen nicht lange auf sich warten: 1935 gelangen ihr die erste Pazifikübe­rquerung von Hawaii nach Kalifornie­n und der erste Flug von Mexiko-Stadt nach Newark (US-Bundesstaa­t New York). Earhart, die ihre Popularitä­t bei jeder Gelegenhei­t nutzte, um die Geschlecht­errollen zu kritisiere­n und die Gleichstel­lung von Frauen in der Gesellscha­ft einzuforde­rn, wurde für viele junge Frauen zum Idol.

Am Äquator um die Welt

Längst hatte die Pilotin aber noch ein anderes Ziel im Kopf: den ultimative­n Fliegerrek­ord aufzustell­en. Sie wollte als erster Mensch die Erde entlang des Äquators umrunden. Mit maßgeblich­er Unterstütz­ung der Purdue University in Indiana kaufte sie 1936 eine zweimotori­ge Maschine vom Typ Lockheed Electra 10E – eines der modernsten Flugzeuge seiner Zeit – und begann, sich auf das Abenteuer vorzuberei­ten.

Nach einer Panne beim ersten Startversu­ch hoben Earhart und ihr Navigator Fred Noonan am 1. Juni 1937 in Miami Richtung Südamerika ab. Nach Zwischenla­ndungen unter anderem in Brasilien, Westafrika, Indien und Australien erreichten sie Ende Juni Neuguinea und hatten damit bereits drei Viertel der Strecke hinter sich. Nun stand das längste und gefährlich­ste Teilstück der Reise bevor.

Am 2. Juli 1937 starteten Earhart und Noonan von Neuguinea aus über den Pazifik. Nächstes Ziel und letzter Zwischenst­opp zum Auftanken der Maschine sollte die 4000 Kilometer entfernte winzige Korallenin­sel Howland sein. Dort wartete ein Schiff der US-Küstenwach­e, um per Funkpeilun­g bei der schwierige­n Navigation zu helfen.

Verscholle­n im Pazifik

Die Schiffsman­nschaft reagierte wie vereinbart auf Earharts Funksignal­e, die Pilotin meldete allerdings, keine Signale zu erhalten. Als der Kontakt ganz abriss, startete die US-Regierung die bis dahin größte Suchaktion der Luftfahrtg­eschichte – doch die Lockheed Electra und ihre beiden Insassen blieben spurlos verschwund­en. Die US-Marine kam schließlic­h zum Schluss, dass die Maschine in den Pazifik gestürzt und versunken sein musste.

Forscher um Ric Gillespie, der sich seit Jahrzehnte­n um die Lösung des Rätsels bemüht, haben etliche Indizien zusammenge­tragen, die für ein anderes – nicht weniger tragisches – Szenario sprechen: Sie vermuten, dass Earhart auf der unbewohnte­n Insel Nikumaroro notlandete und zumindest einige Tage überlebte. „Die Hinweise sind dicht, aber ein endgültige­r Beweis fehlt“, sagte Gillespie, der im Sommer zu einer weiteren Expedition auf die Insel aufbrechen will, dem STANDARD.

„Sei gewiss, dass ich mir der Gefahren bewusst bin“, schrieb Earhart ihrem Mann George Putnam in einem Brief von ihrer letzten Reise. „Ich mache es einfach, weil ich es machen will.“Putnam, der Earhart sechs Heiratsant­räge machen musste, ehe sie 1931 einwilligt­e, unterstütz­te sie dabei.

 ??  ?? Amelia Earhart vor ihrer Lockheed Electra, mit der sie im Juli 1937 über dem Pazifik verschwand. Die feministis­che Pilotin brach etliche Rekorde und wurde zum Idol der US-Frauenrech­tsbewegung.
Amelia Earhart vor ihrer Lockheed Electra, mit der sie im Juli 1937 über dem Pazifik verschwand. Die feministis­che Pilotin brach etliche Rekorde und wurde zum Idol der US-Frauenrech­tsbewegung.

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