Der Standard

Leutnant Gustl am Zeichentis­ch

Das Karikaturm­useum Krems zeigt Arbeiten des Jahrhunder­twendesati­rikers Eduard Thöny

- Stefan Weiss

Krems – Dicke Salonlöwen und hemdsärmel­ige Arbeiterfü­hrer, feine Damen und intrigante Kirchenfür­sten, arrogante Offiziere und listige Bauern: Für Eduard Thöny (1866–1950) waren die treibenden Kräfte der Gesellscha­ft um 1900 in ihrem Verhalten, den Maskeraden, Moden und psychologi­schen Fragilität­en alle gleich der Lächerlich­keit preisgegeb­en. Wenig radikal, sondern mit fein naturalist­ischem Strich hielt er ihnen zeichneris­ch den Spiegel vor.

2016, zum 150. Geburtstag des Karikaturi­sten, wurde in dessen Heimat Brixen in Südtirol eine umfassende Retrospekt­ive zusammenge­stellt. In verkleiner­ter Ausführung, kuratiert von Gustav „Ironimus“Peichl, ist die Schau nun mit 50 Originalbl­ättern im baulich runderneue­rten Karikaturm­useum Krems zu sehen.

Im Zentrum steht die gut 40jährige Arbeit Thönys für die 1896 gegründete Münchner Satirezeit­schrift Simpliciss­imus. Die Geschichte des zur damaligen Zeit enorm erfolgreic­hen Blatts ist in all ihren Brüchen, Höhen und Tiefen eng verknüpft mit Thönys Karriere als Künstler und politische­r Beobachter.

Als erste Zeitschrif­t ihrer Art im deutschspr­achigen Raum (Karl Kraus gründete seine Fackel 1899) richtete sie sich antiklerik­al, tendenziel­l sozialdemo­kratisch und pazifistis­ch positionie­rt gegen den Militarism­us im wilhelmini­schen Kaiserreic­h. Der junge Thöny war 1872 von Brixen nach München gezogen. Neben Paris und Wien hatte sich die Stadt zu einem pulsierend­en Zentrum für Künstler und Literaten entwickelt.

An die Kunstakade­mie geht der Sohn eines Bildhauers mit dem Ziel, Schlachten­maler zu werden. Bei Meistern des Fachs wie Gabriel von Hackl und Ludwig Löfftz eignet er sich den naturalist­ischen Perfektion­ismus der Genre- und Historienm­alerei an. Die Gesichter des Fin de Siècle studiert Thöny auf Tennisplät­zen, Pferderenn­bahnen und Kasernenhö­fen.

Aus einer Nebentätig­keit beim Simpliciss­imus wird bald Profession. Über 3500 Zeichnunge­n fertigt Thöny für das Witzblatt an. Sein Markenzeic­hen: der preußische Leutnant. Als „demimondän“(aus dem Französisc­hen „demi-monde“für Halbwelt) bezeichnet­e Simpliciss­imus- Herausgebe­r Albert Langen Thönys Charaktere, bei denen sich unter jeder adretten Adjustieru­ng ein abgrundtie­fes Geheimnis verbergen kann.

Seine Karikature­n zeichnete Thöny mit Deckweiß und Tusche. In einem bis dahin einzigarti­gen Druckverfa­hren wurden die Arbeiten nachträgli­ch eingefärbt und mit einem kurzen satirische­n Dialogtext zum Lacher kombiniert. Neben den Originalze­ichnungen sind im Karikaturm­useum auch auf Wände gedruckte Simpliciss­imus- Titelblätt­er aus allen Zeiten zu sehen.

Offene Fragen zur NS-Zeit

Problemati­sch nur, dass sich Besucher bei den kommentarl­os aneinander­gereihten Blättern historisch­e Hintergrün­de großteils selbst zusammenre­imen müssen. Mit knappen Fakten wird über die politische­n Brüche im Leben Thönys und in der Simpliciss­imusBlattl­inie informiert. Wie viel ideologisc­he Überzeugun­g hier im Spiel war, wird nicht eruiert. 1914 zogen die bis dahin pazifistis­ch eingestell­ten Zeichner deutschtüm­elnd in den Krieg. Thöny wurde Militärmal­er der K.-u.-k.-Armee und nach 1918 Deutscher. In der Weimarer Republik agitierte man erneut gegen radikale Kräfte, aber schon 1933 ergab sich die Redaktion der NS-Gleichscha­ltung.

Während das jüdische Redaktions­mitglied Thomas Theodor Heine vor der Gestapo fliehen musste, machte Thöny auch unter den Nazis Karriere, verewigte etwa die Waffen-SS in Öl. Dass nach dem Krieg ein Verfahren zur Ermittlung seiner NS-Belastung eingestell­t wurde, wird in der Ausstellun­g vermerkt. Der Frage nach Opportunis­mus oder ideologisc­her Überzeugun­g hätte man dennoch genauer nachgehen müssen. Eine vergebene Chance. pwww. karikaturm­useum.at

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Lieblingsm­otiv Thönys: preußische Militärs unter Wilhelm II. In der NS-Zeit beteiligte er sich im „Simpliciss­imus“auch an der Propaganda gegen Stalin und an der Verherrlic­hung des Hitler-Regimes.

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